"Nur eine Stadt mit wilden Plakaten ist eine gute Stadt"
Der Volkskundler Rudolf Hübl erinnert, dass das Plakatieren ursprünglich der Obrigkeit vorbehalten war: In Wien wurde diese in obrigkeitlichen Anschlagzetteln den Untertanen publiziert. Aber parallel dazu wurde wild plakatiert: Das älteste noch erhaltene Wildplakat stammt aus dem Jahr 1778 von einer Kleinkünstlerfamilie, die ihre Vorführungen durch Inserate und gleichzeitiges Wildplakatieren ankündigte. Die biedermeierlichen Kunst- und Kulturveranstaltungen (z. B.: Strauß, Nestroy ) wurden so reichlich wild plakatiert, dass damalige Journalisten die Häuserwände wegen der herunterhängenden Plakatfetzen als Lumpenfabriken bezeichneten (1837). Jedoch gab es trotz Plakatierfreiheit keine Meinungsfreiheit im Metternichschen Überwachungsstaat. Auch die politisch motivierten Maueranschläge im Revolutionsjahr 1848/49 waren wilde Affichen.
In der Zwischenkriegszeit war das Stadtbild einerseits von normalen kommerziellen Plakaten, andererseits auch von einer Fülle vor allem politischer Kleinplakate geprägt.
Während des Austrofaschismus war das wilde Plakatieren gefährlich, in der NS-Zeit konnte es das Leben kosten.
Erst nach 1945 herrschte wieder die Freiheit, freie Flächen im öffentlichen Raum für seine Anliegen mittels Plakaten zu nützen. Für die einen ein notwendiges Medium, um Veranstaltungen anzukündigen (oder auch unmittelbar nach 1945 Suchplakate nach Vermissten, später nach entlaufenen oder entflogenen Tieren), für die anderen ein Ärgernis (Haus- und Geschäftsbesitzer), und für die Werbewirtschaft der Raum, um zusätzliche Geschäfte zu machen.
Und weil die Werbewirtschaft bereit ist, für jede nur mögliche freie Fläche auch Geld zu bezahlen, wollte und will die Gemeinde dadurch verdienen. Somit wurde der öffentliche Raum immer mehr den Kommerzinteressen untergeordnet. Der öffentliche Raum wurde zunehmend privatisiert.
Über Jahrzehnte verdiente Wien an der Gewista als Werbefirma der Gemeinde.
Aber nur wer Geld hatte, konnte es sich leisten, von und durch Gewista plakatieren zu lassen. Kleine Konzertveranstalter, Galerien und andere alternative Veranstalter suchten sich selbst freie Flächen, um zu plakatieren. Die Gemeinde Wien reagierte auf diesen Wildwuchs mit Repression: Strafen für Veranstalter und Plakatierer.
Pressefreiheit inkludiert auch Ankleben von Druckwerken
Rudolf Hübl: Die Pressefreiheit, ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht, ist eine der erkämpften bürgerlichen Grundfreiheiten. Es besagt, dass der Einzelne das Recht hat, seine Meinung in einer von ihm gewählten Form kundzutun das beinhaltet auch das Anschlagen bzw. das Ankleben von Druckwerken. Dem gegenüber steht das Grundrecht des Einzelnen auf freien Zugang zu Information. Bereits 1983 sprach Armin Thurnher davon, dass die Plakatierfreiheit aus juristischer Sicht ein leeres Recht sei. Die in der Polizeiverordnung ausgezeichneten Flächen, wo es theoretisch Plakatierfreiheit gebe, sind an die Gewista und ähnliche offizielle Ankünder vergeben. Sie können sich natürlich im Falle des Überklebens erfolgreich wegen Sachbeschädigung und Besitzstörung wehren.
Er folgerte daraus, dass die Plakatierfreiheit, wie andere bürgerliche Freiheiten, eine fremde Gestalt bekommen hat. Es ist die Freiheit vom Erwerb bekanntlich zur Freiheit des Erwerbs geworden, die Plakatierfreiheit somit zur Freiheit, Plakatflächen zu mieten und zu vermieten. Das Recht geht vom Geld aus. Sein Artikel, an den damaligen Bürgermeister Leopold Gratz gerichtet, Sire, geben Sie Plakatfreiheit!, schließt mit der Behauptung: Nur eine Stadt mit wilden Plakaten ist eine gute Stadt (Falter 25/1983). Dies war 1983, als Wildplakate noch als ein zentrales basiskulturelles Medium galten und die Plakatierer in der Lage waren, Arrangements zu treffen.
Die Folge: Die Sanktionen gegenüber den Wildplakatierern blieben de jure zwar aufrecht, wurden jedoch de facto nicht verfolgt.
Im herrschenden wirtschaftsliberalen Privatisierungswahn der Politik wurde ohne zwingenden Grund die Gewista inzwischen an einen französischen Werbekonzern verkauft. Damit nun der privatisierte Betrieb die Gewinne machen konnte, die früher der Gemeinnützigkeit zugeflossen waren.
Wie sehr die Ästhetik des öffentlichen Raumes bis in den letzten Winkel diktiert, ist derzeit am deutlichsten am Beispiel der Uhren im öffentlichen Raum sichtbar: Alle Uhren stehen still, wenn die Gemeinde es so will. Wenn sich sogar mit den Zeitanzeigern im öffentlichen Raum ein Geschäft machen lässt. Daher werden demnächst die Würfel-Uhren der Stadt gegen Werbeträger einer Versicherung ausgetauscht.
Leute, die diese neuen Uhren bereits gesehen haben, berichten, dass dabei die Werbung so penetrant im Vordergrund sei, dass die Zeit nur mehr schwer erkennbar sein werde.
Ein Schlag gegen die kleinen Kulturveranstalter
Aber zurück zum aktuellen Problem des Wildplakatierens. Vor einigen Monaten gab es eine Kampagne gegen das Wildplakatieren in der Presse. Speziell in der Brigittenau gegen türkische und kurdische Kulturveranstalter. Aber es würde ein hässliches rassistisches Gesamtbild ergeben, wenn nun die Gemeinde als Vollstrecker der Gewista gegen türkische, kurdische und andere Plakatierer vorgehen würde. Man hat gelernt.
Zuerst Knüppel aus dem Sack! Daher: Den Wildplakatierern wird wie in alten Zeiten mit Sanktionen gedroht (2180 Euro Ordnungsstrafe).
Und dann das Angebot zum Arrangement: Man gründete ein eigenes Unternehmen, in dem sich nun die Gewista, die bereits 21.000 Plakatierflächen der Stadt kontrolliert, sich künftig mit den Wild-Plakatierern die letzten verbliebenen Flächen, die bisher von der Alternativ-Szene verwendet wurde, aufteilt. An dieser Gesellschaft namens Kultur Plakat GmbH wird die Gewista 70 Prozent Anteile halten.
Die Gewista selbst gilt inzwischen in der Szene als größter und aggressivster Wildplakatierer. Kaum wird irgendwo ein Bauzaun an attraktiver Stelle in der Stadt errichtet, schickt die Gewista ihre Plakatier-Trupps los. Wenn einem Hauseigentümer das nicht passt und klagt, beruft sich ausgerechnet die Gewista auf die Gesetze betreffend der Meinungsfreiheit. Bisher immer erfolgreich.
Umgekehrt gibt es den Fall, dass wilde Plakatierer geklagt wurden, weil sie beispielsweise Schaufenster von leer stehenden Gassenlokalen beklebten, obwohl die Eigentümer ihnen das ausdrücklich erlaubt hatten. Wer da wohl der anonyme Anzeiger gewesen sein mag?
Gegen jene Plakatierer, die sich künftig diesem Diktat nicht unterordnen wollen, werde man in Zukunft mit Strafen vorgehen. Wie groß das Mitspracherecht der Wilden im gemeinsamen Boot mit der Gewista sein wird, kann sich jede/r denken.
Und weiters: Die bisherige Alternativ-Szene der Plakatierer befand sich jetzt schon in normaler Konkurrenz gegeneinander. Doch man arrangierte sich irgendwie.
Jetzt wird dieses Auseinanderdividieren von oben herab vorangetrieben: Die Guten bekommen ein paar Krümel, die bösen anderen werden gejagt.
Den kleinen Kulturveranstaltern, die während der vergangenen Jahre systematisch aufgrund laufender Subventionskürzungen ausgeblutet wurden, nimmt man eine kleine, bescheidene Werbemöglichkeit.
Die wenigen freien Plakatflächen waren ohnedies schon in den letzten Jahren von großen Museen, Theatern und Konzertveranstaltern mit deren Plakaten zugepflastert worden. Nun kostet das Plakatieren auf diesen Flächen auch für die Kleinen Geld. Sehr viel Geld.
Das Affichieren von Plakaten auf den wenigen freien Flächen wird Kleinveranstalter oder jenen, die außerparlamentarische politische Botschaften kundtun wollen, zukünftig ca. 14 Euro pro Plakat und Woche im 1. Bezirk kosten; in den anderen Bezirken immer noch ca. 4 Euro pro Plakat und Woche. Allerdings haben die Auftraggeber keinen Einfluss darauf, wo die Plakate geklebt werden. Da kann es dann passieren, dass eine Veranstaltung in Liesing in der Donaustadt beworben wird. Und umgekehrt. Dafür muss spätestens im November angemeldet werden, was im März oder April plakatiert werden soll.
Aus der Meinungsfreiheit im öffentlichen Raum wird das Eigentum des öffentlichen Raumes für die, die dafür bezahlen können.