Menschenzucht und Minusvariantentun & lassen

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Ähnlich dem «faulen N-» in den USA betritt «die Unterschicht» in Deutschland mit dem «nutzlosen Türken» die öffentliche Bühne: Die Thesen des Ex-Bankers Thilo Sarrazin fallen historisch aber nicht einfach vom Himmel. Gerade die genetische und bevölkerungspolitische Argumentation hat Traditionslinien.

In den 1920er Jahren stellte der Wiener Stadtrat Julius Tandler die Forderung nach einer «Aufzuchtsoptimierung als Hauptgewicht sozialer Bevölkerungspolitik» auf. Aus einem Bericht über Tandlers Vortrag im niederösterreichischen Gewerbeverein: «Wenn alle erwähnten Voraussetzungen erfüllt sein werden so schloss der Redner seinen von lebhaften Beifallskundgebungen der zahlreichen Zuhörerschaft begleiteten Vortrag dann erst werden die Qualitätszuchtbestrebungen für das Menschengeschlecht von Erfolg gekrönt sein, dann erst soll der Mensch den stolzen Titel erhalten, den er jetzt unverdient trägt : Homo sapiens.» Und weiters, wie verhindert werden kann, dass der Homo sapiens sich selbst abschafft: «Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass gerade durch den Umstand, dass so viel Untüchtige, also Minusvarianten () zur Reproduktion kommen, die Gefahr der Vermehrung dieser Minusvarianten für die nächste Generation größer ist als für die heutige und dass damit die nächste Generation noch mehr bemüßigt sein wird, diese Minusvarianten zu erhalten und zu stützen. So grausam es klingen mag, muss es doch gesagt werden, dass die kontinuierlich immer mehr steigende Unterstützung dieser Minusvarianten menschenökonomisch unrichtig und rassenhygienisch falsch ist». Und der Reichtagsabgeordnete Alfred Petren, schwedischer Kollege Julius Tandlers, beklagte die «unablässig steigenden Ausgaben für Defekte, Abnorme, asoziale Menschen verschiedener Art in allen Kulturländern». Die Vertreter diese Strömungen waren keine Nazis, aber völkische Demographen und Genetiker mit berechnender ökonomistischer Nützlichkeitslogik. Die Sarrazin-Thesen haben dieselbe ideologische Grundierung, wenn auch sprachlich und theoretisch modernisiert.

 

An die Programme der Menschenzucht schmiegen sich die Ideen des Sozialdarwinismus an. Darwin geht von der Annahme aus, dass sich alle Lebewesen weitaus stärker vermehren, als es die äußeren Lebensbedingungen zulassen. Die Konsequenz ist ein permanenter «Kampf ums Dasein», in dem sich nur die Lebenstüchtigsten durchsetzen können. Diese Selektion führt gleichzeitig aber auch zur Evolution, zur aufsteigenden Entwicklung der Arten. Diese Thesen Darwins werden nun im Sozialdarwinismus gesellschaftstheoretisch angepasst. Auch die menschliche Gesellschaft sei eine Arena, in der dieser Kampf ums Dasein stattfindet, auch hier gewinnen nur die Tüchtigsten, welche die gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben: «survival of the fittest». Soziale Ungleichheit, so die Botschaft des Sozialdarwinismus, hat nichts mit entstandenen Machtverhältnissen zu tun, sie darf auch nicht als Problem begriffen werden, sondern sie ist etwas ganz Natürliches. Arm und Reich sind dann nämlich nichts anderes als die gesellschaftliche Widerspiegelung der biologischen Ungleichheit von Menschen. Eine praktische Ideologie für die, die wollen, dass alle Ungerechtigkeiten so bleiben, wie sie sind.