«Meine Wohnungssuche ergab: 49 von 50 Wohnungen überteuert angeboten»
Zuerst ein Gedankenexperiment, dann der Versuch, einem betrügerischen System auf die Schliche zu kommen, und schließlich ein Leitfaden zur Selbsthilfe: Der Autor dieses Beitrags entschloss sich, nach einer Serie von negativen Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt, zu folgendem dreiteiligen Plädoyer für die Selbstaneigung mietrechtlichen Sachverstands.
Teil 1: Ein kurzes Gedankenexperiment, zu dem ich dich einlade
Stell dir vor, es gäbe ein Gesetz, nennen wir es der Einfachheit halber Straßenverkehrsordnung, eine Regel also, die z. B. besagt, mit welcher Geschwindigkeit du auf der Mariahilfer Straße mit einem Auto unterwegs sein darfst. Nimm an, 50 km pro Stunde sind erlaubt, du aber bewegst dich in Relation zu einem stillstehenden Objekt mit 67 km pro Stunde. Die Hüter des Gesetzes halten dich auf, erklären deinen Regelübertritt und erteilen dir eine Strafe von sagen wir 36 Euro.
Was ist passiert? Jemand übertritt ein Gesetz, wird dabei ertappt und «bestraft». So weit, so klar, oder? Der Rechtsstaat eben.
Stelle dir nun vor, es gäbe ein Gesetz, wir könnten es das Mietrechtsgesetz nennen, in dem für bestimmte Wohnungen ein ganz bestimmter Mietzins verlangt werden darf lasst uns hier vom Richtwertmietzins sprechen. Du bist nun Hausbesitzer_in, Immobilienfirma oder dergleichen, und dein primäres Interesse ist es, möglichst schnell von A nach B zu kommen, diesmal nicht mit dem Auto auf der Mariahilfer Straße, sondern mit Renditen im zweistelligen Bereich. Eines Tages findest du dich vor der Schlichtungsstelle wieder, da du einen überhöhten Mietzins verlangt hast. Die Schlichtungsstelle kommt zum klaren Urteil, du hättest das Gesetz, das Mietrechtsgesetz (MRG), verletzt. Wie gehts weiter? Die Miete muss von dir auf den Richtwertmietzinssatz angepasst werden, du musst keinerlei Strafzahlungen leisten, und damit ist auch schon wieder alles geregelt.
Was ist passiert? Du hast das Gesetz übertreten, wurdest dabei ertappt und nicht «bestraft». Was tust du zurück im Büro? Du markierst die lästige Mieter_in in deiner Kartei mit der Bemerkung «Vertrag nicht verlängern Mieterschutz». Du denkst auch nicht weiter drüber nach, da der Vertrag ohnehin bald ausgelaufen sein wird, und die restlichen «Trotteln» ohnehin nicht aufbegehren aus zweierlei Gründen; Zum einen wissen sie nicht um ihr Recht bescheid, zum anderen nehmen sie die überhöhten Mieten in Kauf, um nach Ablauf der Befristung einen weiteren befristeten Vertrag zu erheischen. So weit alles klar? Gratuliere, du hast soeben verstanden, warum das Mietrechtsgesetz im Zusammenhang mit Richtwertmietzinssätzen nicht so richtig zu greifen vermag.
Teil 2: Grobe Beleuchtung einiger Begriffe rund um den Richtwertmietzins (RMZ)
Dieser Abschnitt erhebt bei weitem keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wann gilt der RMZ? Nun, das ist gar nicht so einfach klar zu sagen, da es einige Ausnahmen gibt. Prinzipiell gilt der RMZ bei: Altbauten, vor 1. 7. 1953 erbaut, mehr als 2 Wohneinheiten im Haus, Wohnung kleiner als 130 Quadratmeter, kein Denkmalschutz, kein Dachgeschossausbau nach dem 31. 12. 2001 oder Zubau nach dem 31. 12. 2005 usw… Du findest hier Informationen zur Anwendbarkeit des Richtmietzinses: https://www.wien.gv.at/richtwert/anfrage/
Welche kniffligen Ausnahmen habe ich bisher finden können, in denen der RMZ nicht zur Geltung kommt bzw. wo kann ich mich erkundigen:
Denkmalgeschütztes Gebäude. Nachfragen beim Denkmalamt! (http://www.bda.at/organisation/846/Wien)
Haus steht unter §18 Verfahren, und die Mieten sind daher für eine bestimmte Zeit «eingefroren». Nachfragen bei der Schlichtungsstelle (http://www.wien.gv.at/wohnen/schlichtungsstelle)
Haus mit Kriegsschäden (Weltkrieg II). Dazu Informationen: http://www.wien.gv.at/kultur/kulturgut/plaene/kriegssachschaden.html
Es wurden zur Sanierung Fördermittel der Stadt Wien verwendet. Dann gilt der förderrechtlich festgelegte Mietzinssatz und nach Ablauf der Förderfrist der RMZ.
Es gibt auch den Begriff des angemessenen Mietzinses, der wohl von Sachverständigen festgelegt werden kann das kommt zum Beispiel bei Kategorie A, B, Wohnungen über 130 Quadratmeter zum Einsatz.
Teil 3: Anleitung zur Selbsthilfe
Hast du einen bestehenden Mietvertrag? Es ist sehr einfach und niederschwellig, diesen online zu prüfen und zwar mit dem Mietzinsrechner der Stadt Wien: (https://www.wien.gv.at/richtwert/anfrage/). Die ersten Fragen entscheiden, ob deine Wohnung prinzipiell unter den RMZ fällt, danach gibst du deine Wohnungsdaten ein, wobei als Ergebnis der ca. Mietzins steht. Stellst du eine grobe Differenz zu deiner momentanen Miete fest, dann werde Mitglied einer Mieterschutzvereinigung https://mietervereinigung.at/ oder http://www.mieterschutzwien.at/ und lass dich beraten. Laut einer rosafarbenen Zeitung wurden von 149 beanstandeten Mieten 147 herabgesetzt. Keine üble Aussicht, meinst du nicht, dass sich das auch in deinem Fall lohnen könnte?
Dann, und hier komme ich zum Ursprung dieses Artikels: Solltest du gerade Wohnung suchen, wäre es eine mögliche Idee, dir einen Altbau mit entsprechenden Merkmalen (siehe Mietzinsrechner) zu suchen, die einer sehr wahrscheinlichen Mietreduzierung entgegenkommen …
Ich konnte bei meiner eigenen Wohnungssuche Folgendes feststellen: 49 von 50 Wohnungen werden überteuert auf den Markt gebracht; einerseits von Privatpersonen, mehrheitlich von professionellen Immobilienmakler_innen, die genau wissen müssen, dass die angebotene Miete überteuert ist, und bei dem lukrativen Spiel mitzocken, da ja auch die «verdiente» Provision von der Miethöhe abhängt. Und hier ein besonderes Schmankerl aus dem MRG: Falls es zu einer Herabsetzung des Mietpreises kommt, so kann auch die zu viel bezahlte Provision rückverlangt werden. (Zitat Mietervereinigung: «sofern das Büro zu dem Zeitpunkt noch existiert») Bitte haltet kurz inne und verinnerlicht: Es wird hier vorsätzlich gehandelt mutwillig, wissentlich, geplant. Dem ist wenig hinzuzufügen …
Abschließend ein konkretes Beispiel
Nette «Starterwohnung» fürs «kleine» Portemonnaie in der Josefstadt, auf 5 Jahre befristet, 32 Quadratmeter, 3. Stock ohne Lift, keine adäquate Heizmöglichkeit (Elektro-Einzelöfen, nicht zentral steuerbar), Gangküche, Bad und WC in einem Raum nicht extra belüftet, ein abgewohnter Parkettboden, alte Kastenfenster, eine Miniküche … Mietvorstellung (inkl. Ust und Bk): 470,00 Euro/Monat. Zwei MM Provision. Ich lasse die angegebene Wohnung durch den Mietzinsrechner laufen und staune nicht schlecht, als ich folgende Zahl lese: 217,01 Euro. Wow, denke ich, das sitzt. Sicherheitshalber rechne ich noch 10 % dazu und komme auf einen Preis von runden wir auf: 240 Euro. Ein eklatanter Unterschied, wie ich meine. Ist das Haus vielleicht denkmalgeschützt? Nein. Ev. §18-Verfahren? Auch nicht. Ich zermartere mir den Kopf, was hier faul ist, und habe letztlich einen Verdacht: Ich soll der Trottel sein und einer Immobilienfirma zu einer hohen Rendite verhelfen Das tue ich gerne, ich mime gerne den Trottel und fordere aufrechten Hauptes meine Rechte ein. Im Endeffekt habe ich eine Wohnung in der Josefstadt um 240 Euro gefunden mit dem Wermutstropfen, dass es bis zum Entscheid der Schlichtungsstelle bzw. eines Gerichts keine Rechtssicherheit für mich gibt. Das heißt, ich muss im schlimmsten Fall damit rechnen, 470 Euro zu zahlen, habe allerdings sehr gute Chancen, auf die 240 Euro zu kommen.
Und da hat es klick gemacht bei mir! Bei euch auch? Der Wohnungsmarkt ist ein Casino, wobei der Verlust normalerweise kollektiv von Mieter_innen getragen wird. Mieter_innen haben das Risiko, vor der Schlichtungsstelle zu scheitern und zu viel Miete zu bezahlen oder aber eine Herabsetzung der Miete durchzubekommen und 3 oder 5 Jahre später zu verlieren, wenn sie höflich aus der Wohnung delogiert werden. Und dann kommt der nächste «Trottel», der vielleicht eh nicht klagt, weil er mitunter seine Rechte gar nicht kennt, oder weil er anderes zu tun hat, als alle paar Jahre eine gute, lebenswerte Wohnung zu suchen. Ein wahres Dilemma, denke ich. Trotzdem: Ich habe beschlossen zu mieten, zu klagen und zu gewinnen wenn auch nur temporär. Hier eine Idee und ein Aufruf: Wenn ihr rausfliegt aus einer Wohnung, weil ihr die Miete eingeklagt habt, so schickt doch nach einem halben Jahr ein nettes kleines Infobriefchen an die Ex-Adresse, erzählt, klärt auf und informiert die Nachmieter. Das könnte langfristig die Runde machen und großflächige Auswirkungen haben. Und denk daran: Wenn du es nicht tust, dann tut es keiner.
Und noch was: Ich habe beschlossen, mich solidarisch zu zeigen, meine Informationen zu teilen und Anstoß zu einer Bewegung zu geben, die wir als Gesellschaft brauchen, auch wenn dies (fürs Erste) lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein ist …
Gerhard S.