Eine Stadt in Niederösterreich schaffte, was die Mehrheit des Schweizer Wahlvolks deutlich ablehnt: ihre Muslime ein Minarett bauen zu lassen. Das Psychogramm einer Entscheidungsfindung anhand von Gesprächen mit dem Projektleiter Selfet Yilmaz und dem FPÖ-Bezirksobmann Peter Gerstner.Kein Wegweiser zeigt den Weg. Im Stadtplan ist es nicht vermerkt, das Tourismusbüro hat kein Prospekt. Das bemerkenswerteste neue Gebäude in der Kurstadt Bad Vöslau wird touristisch totgeschwiegen. Dabei kam zu seiner Eröffnung am 24. Oktober 2009 sogar das Schweizer Fernsehen. Gewiss, gerade die Schweizer hatten es nötig, das zu sehen: Da tanzten die Derwische und spielten die Blasmusiker, und ein Imam weihte neben zwei Pfarrern das neue Gotteshaus in Bad Vöslau ein. Das Gotteshaus ist eine Moschee, komplett mit zwei Minaretten und einer Kuppel.
Die Schweizer löcherten die Vöslauer, wie ein Gebäude mit Minaretten friedlich gebaut werden konnte, während sie selber sich gerade heillos über solche Türme zerstritten. Fünf Wochen nach der Eröffnung in Bad Vöslau entschied eine Mehrheit der Schweizer ein Minarettverbot zur weltweiten Bestürzung.
Auch in Bad Vöslau hat es gebrodelt, als der Plan für ein Kulturzentrum, so die offizielle Bezeichnung, bekannt wurde. Es gab Ängste, es gab Ablehnung in Teilen der Bevölkerung und quer durch die Parteien. In einem Mediationsverfahren ist eine für (fast) alle akzeptable Lösung ausgearbeitet worden. Der Nebeneffekt: MigrantInnen und einheimische PolitikvertreterInnen haben einander kennen und schätzen gelernt. Die Art und Weise, wie der Bau des Kulturzentrums zustande kam, ist ein gelungenes Beispiel partizipativer Demokratie.
Begonnen hat es mit einem Krach. Im September 2006 berichtete die Niederösterreichische Rundschau, dass ein türkischer Verein Baupläne für ein Kulturzentrum eingereicht habe. Wenig später wurden der Zeitung die Einreichpläne zugespielt. Sie zeigten eine klassische Moschee mit großer Kuppel und zwei fünfzehn Meter hohen Minaretten. Da brach der Wirbel los. Der Marketingberater des Bürgermeisters geriet in Wallung. Eine Moschee passt nicht in eine Kurstadt, beschied Berater Lutz Nowotny in einem Interview und echauffierte sich über ein türkisches Lebensmittelgeschäft mit Sesseln auf dem Gehsteig, dort sitzen den ganzen Tag Leute in Schlapfen und verschleierte Frauen. So wollen wir Kurgäste dazu bringen, Geld in unserer Stadt auszugeben?
Sozialdemokraten: zunächst Ja zur Moschee, Njet zum Minarett
Als Nowotny in einer Aussendung über das kulturuntypische Ortssignal herzog und in einem Leserbrief an die Kronen Zeitung schrieb, dass schön langsam die Minderheiten die Gestaltung der österreichischen Gesellschaft, die sie aufgenommen hat, übernehmen, feuerte der Bürgermeister seinen Berater. Bürgermeister Christoph Prinz von der unabhängigen Liste Flammer reagierte auf die wachsende Unruhe. Er bat an den Verhandlungstisch. In einer Mediation sollten Vertreter des türkisch-islamischen Vereins Atib Bad Vöslau und die im Gemeinderat vertretenen Parteien den dräuenden Konflikt lösen. Unterdessen sammelte eine Arbeitsgemeinschaft Europäischer Kultur Unterschriften gegen den Bau einer Moschee. Dahinter steckte der Elektrotechniker Bernhard Tschirk, der später bei den niederösterreichischen Landtagswahlen 2008 für die Liste Die Christen kandidierte. Unterstützung, wenn auch hinter den Kulissen, erhielt er von der FPÖ.
Es hat teilweise eine sehr intensive Zusammenarbeit gegeben, sagt FPÖ-Bezirksobmann Peter Gerstner. Wir haben die Idee gemeinsam gehabt, doch er hat sie durchgeführt. Die Leute sollten nicht den Eindruck haben, da unterschreibe ich für die F. Rund 1600 Unterschriften kamen innerhalb weniger Wochen in der 12.700 Einwohner zählenden Stadt zusammen. Im Vergleich: Bei der für die FPÖ gut gelaufenen niederösterreichischen Landtagswahl 2008 erreichte sie 982 Stimmen.
Auch die SPÖ stellte sich anfangs gegen die Minarette. Die SPÖ spricht sich für ein türkisches Kulturzentrum aus, aber gegen eine Moschee mit Minaretten, steht in der SPÖ-Stadtzeitung Lupe vom Dezember 2006. Schuld sei die verfehlte Ausländerpolitik der Bürgermeisterpartei in den letzten 20 Jahren, die ein türkisches Ghetto entstehen ließ.
Plötzlich interessierten sich die StadtpolitikerInnen für den früheren Böhmzipf, das jetzige Klein-Istanbul in der Nähe einer längst stillgelegten Kammgarnfabrik, wo sich überwiegend türkische MigrantInnen in teils heruntergekommenen Häusern angesiedelt hatten. Eines der Häuser wurde als Gebetsraum benutzt ungeheizt und viel zu klein. In einem anderen Haus hingen Jugendliche herum. Atib ein Verein mit rund 100 zahlenden Mitgliedern wollte die Häuser schleifen und ein neues multifunkionales Gebäude bauen.
28-mal haben wir den Plan abgeändert
Als die türkische Community so plötzlich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte, wurde die Kommunikation mit den Einheimischen zum wichtigsten Faktor für Erfolg oder Scheitern des Projekts. Einige Leute baten den beruflich erfolgreichen und gut integrierten Selfet Yilmaz, Projektleiter zu werden. Es war eine heikle Sache, sagt Yilmaz. Mir war wichtig, dass wir eine Lösung ausarbeiten. Man musste das Ganze offensiv angehen und der Bevölkerung richtig rüberbringen. Der klassische Moscheeplan wurde fallen gelassen, stattdessen übernahm der Vöslauer Baumeister Werner Kosa die Planung. Kosa entwarf einen modernen Zweckbau. Über die Details wurde in den Mediationssitzungen gefeilscht. 28-mal haben wir den Plan abgeändert, erzählt Yilmaz. Nach jeder Sitzung haben wir umgezeichnet.
Immer wieder ging es um Kuppel und Minarette. Das seien Siegeszeichen des Islam, meinten die zwei FPÖ-Vertreter, und deshalb abzulehnen. Als Beweis dafür wird der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan herangezogen, der 1997 als Bürgermeister von Istanbul in einer Rede sagte: Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten. Es war eigentlich ein Gedicht des Schriftstellers Ziya Gökalp aus dem Jahr 1912, das Erdogan zitierte, und er wurde nach der Rede wegen Verhetzung zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt.
Die Wirkung der Symbole darf man nicht unterschätzen, sagt Gerstner. Kuppeln und Minarett stehen für gewisse Werte, eine gewisse Einstellung.
Für Kosa ist die Sache simpler: Den Leuten sind die Minarette komplett egal. Eigentlich wollen sie die Türken und die Muslime nicht. Es ist schlichte Ausländerfeindlichkeit, und die Minarette werden vorgeschoben. Dagegen verwahrt sich Gerstner. Er sei kein Ausländerfeind, schließlich habe er lange mit einer Polin gelebt. Doch türkische Männer unterdrückten ihre Frauen, und die türkischen Frauen hätten kein Interesse, Deutsch zu lernen. Im Mediationsprozess sind die Beteiligten nach der vierten oder fünften Sitzung zum Kern der Probleme vorgedrungen. Die Vertreter der Einheimischen meinten, die Türken wollten sich nicht integrieren und beherrschten die Sprache nicht, sagt Yilmaz. Ich weiß aber, welchen Effekt die pauschale Kritik am Islam nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte: Die muslimischen Migranten glaubten, dass auch sie mit schiefen Augen angeschaut würden und zogen sich immer mehr zurück.
Die Gespräche in und abseits der Mediationssitzungen tauten die Leute immer mehr auf. Die SPÖ-Stadträtin Elisabeth Schirk, die anfangs Minarette ablehnte, änderte ihre Meinung und dokumentierte ihre Lernerfahrung mit kryptischen Sätzen auf der Website: Der Weg, den wir alle zu gehen haben, ist beschwerlich, aber auch eine Chance. Unser (aller) Problem ist, wir wollen immer missionieren, so oder so.
Nach fünf Monaten Mediation einigte man sich im Juni 2007 auf einen modernen Bau mit zwei transparenten, gläsernen Minaretten und einer dezenten Kuppel. Es war eine Einigung ohne die FPÖ-Vertreter die stiegen vor der letzten Mediationssitzung aus. Dennoch dankt ihnen Yilmaz: Es war eine ehrliche und aufrichtige Auseinandersetzung mit dem Thema, und auch ein ehrlicher Umgang miteinander. Auch mit dem Initiator der Unterschriftenliste führte Yilmaz lange Gespräche. Es war nicht möglich, dass wir eine Lösung ausarbeiten, mit der er sich identifizieren kann. Aber er hat gesagt, okay, mit dem könne er zumindest leben.
Auszug aus der „Neue Zürcher Zeitung“ vom24.10.2009
Zeichen unwürdiger Angst
Ein paar Wochen vor dem Datum der Schweizer Minarett-Volksbefragung warnte die führende bürgerliche Zeitung des Landes, die Neue Zürcher Zeitung, vor einem Ja zur Initiative. Leider vergebens.
Die Idee ist unseriös und perfid. Gegen Fundamentalistenund Extremisten, die wirklich Wachsamkeit erfordern, ist ein Minarettverbot völlig wirkungslos. Es verhindert auch keine einzige arrangierte Ehe unter Muslimen wie unter Nichtmuslimen. Es gilt pauschal, obwohl selbst seitens der Initianten teilweise zwischen Muslimen und Islamisten differenziert wird. Und es verletzt die Religionsfreiheit, da zu einer Glaubenspraxis auch Traditionen und sichtbare Ausdrucksformen gehören. Selbst wenn es nur wenige Projekte träfe, wäre ein Verbot des «Symbols Minarett» ein Symbol der Demütigung und als solches unnötig schädlich. Es wäre aber auch ein Zeichen unwürdiger Angst. Wer sozusagen auf «Religionsfrieden durch Repression» setzt, hat weder Vertrauen in die offene Gesellschaft noch in den Rechtsstaat und die direkte Demokratie der Schweiz.
() Den Menschen aus Bosnien, Mazedonien oder der Türkei, die in der Schweiz die Grundlage einer besseren Existenz gesucht und in harter Arbeit gefunden haben, die Absicht einer auch nur kulturellen «Eroberung» zu unterstellen, ist ebenso absurd, wenn nicht niederträchtig, wie sie für die Unterdrückung von Christen in Saudiarabien oder für Irans Raketen büßen zu lassen.
NZZ, 24. 10. 09
Gedanken von Robert Sommer:
Fängt es wieder so an, wie es anfing?
Nicht nur für mich ist Gott nichts, selbst ein Großteil der Wiener KatholikInnen steht dem vatikanischen Gottesbild verständnislos gegenüber, und bei Drewermann habe ich gelesen, dass selbst katholische Priester nicht an Gott glauben. Es hat also keinen Sinn, neue Gotteshäuser zu bauen; schon die bestehenden sind zunehmend leer; ein Teil davon müsste sofort entweder profanisiert und musealisiert oder den Obdachlosen, BettlerInnen und AsylybewerberInnen zur Verfügung gestellt werden. Dennoch möchte ich nicht Bürger eines Staates sein, der den KatholikInnen per Dekret bestehende Kirchen wegnehmen oder die Errichtung neuer Kirchen verbieten kann. Das gilt auch für Moscheen und für alle anderen religiösen Bauten. Mein Optimismus geht oft so weit, sich eine Zukunft vorzustellen, in der Kirchen und Moscheen, eben weil sie staatsunabhängige Orte sind, zu Freiräumen der Kommunikation der zivilen Gesellschaft werden könnten ähnlich wie jene Kirchen in Holland oder Belgien, die temporär für Papierlose geöffnet wurden. Der westliche Antiislamismus begünstigt aber nicht gerade das Aufkommen einer Tendenz im Islam, die mit der Moschee das Konzept des offenen und sozialen Raums realisieren wollte, die Idee eines Ort der konkreten Utopie.
Und wie sollen die, die sich selbst im öffentlichen Raum der Stadt permanent kontrolliert und unfrei vorkommen (die z. B. wegen ihres Aussehens immer die Ersten sind, die in die Netze der Schwarzfahrer-Razzien geraten), zur Öffnung der Räume ihrer Traditionspflege bereit sein? Ein Beispiel aus dem ganz normalen Alltag der stillen Unfreiheit. Ein türkischer Freund hatte mir zwecks Wohnungsübersiedlung einen Lieferwagen geborgt. Ich führte ihn zurück, bat aber meinen Freund, selber einzuparken, weil ich mit solchen Autos keine Übung habe. Die Parklücke war eng. Ich war im Begriff, ein Moped, das den Platz verstellte, etwas zur Seite zu rücken, um die Parklücke zu vergrößern. Mein Freund bat mich ängstlich, das zu unterlassen. Die von MigrantInnen geprägte Straße hier, mit dem gegenüberliegenden türkischen Kommunikationszentrum, sei ein gut beobachteter Ort. «Wir als Türken können uns nicht erlauben, einfach ein Moped zu verschieben. Da würden sofort Schreie aus den offenen Fenstern zu hören sein: Tschuschern, Hände weg von unseren Sachen!» Was für mich als Teil der Mehrheitsbevölkerung selbstverständlich ist, ist es für junge Migranten noch lange nicht. Oder, korrekter ausgedrückt, immer weniger. Mein Pessimismus geht oft so weit, die heutige Situation mit der Zeit des Anfangs des Übergangs vom versteckten zum ausgelebten Judenhass zu vergleichen.
Vor genau 25 Jahren, als am Hubertusdamm in Wien-Floridsdorf die weithin sichtbare Moschee errichtet wurde, hätten den Islam pauschal verteufelnde Schlagzeilen, wie sie heute üblich sind, großes Staunen ausgelöst. Eine Bürgerinitiative gegen die Moschee bzw. ihr Minarett wäre völlig unzeitgemäß erschienen. Jeden Freitag treffen sich hier rund 1500 Wiener Muslime zum Gebet. Erst als im Vorjahr der Muezzin plötzlich dreimal täglich zum Gebet rief, gab es wilde Bürgerproteste. Antiimuslimische Einstellungen waren im Gefolge des Kreuzzugs der US-Administration gegen «den Terrorismus» inzwischen zum Mainstream geworden. Die AnrainerInnen fühlen sich nun in ihrer Ruhe gestört.