Mindestsicherung: Entscheidende Fragentun & lassen

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Wir bleiben dran. Die Verhandlungen zur so genannten Mindestsicherung werden konkreter. Was steht drinnen? Und was nicht? Was kann diese Mindestsicherung und was kann sie nicht?

Zuerst einmal ist der Begriff Mindestsicherung irreführend. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Reform der Sozialhilfe. Einige Teilbereiche werden verbessert: Der Regress, also die Rückforderung der Sozialhilfe bei neuem Verdienst, soll fallen. Das war eine selten unsinnige Regelung, die nicht nur die Integration bei Wiederaufnahme von Erwerbsarbeit erschwert hat, sondern auch der Abschreckung Hilfesuchender das müssen Sie alles zurückzahlen zu dienen hatte. Dann soll der Vermögensfreibetrag erhöht und erst nach 6-monatigem Leistungsbezug schlagend werden. Weiters soll es eine De-facto-Anhebung der Sozialhilfe für Alleinerziehende geben und die 20.000 Personen ohne E-Card sollen krankenversichert werden. Wenn die Bundesländer ihre Wohngelder beibehalten, wird sich die Sozialhilfe erhöhen. Grundsätzlich sollen die Betroffenen mit den neuen Regelungen einen schriftlichen Bescheid erhalten. Viele Solls. Wenn sie kommen, sind es Verbesserungen zum Status Quo.

Entscheidene Fragen sind aber noch offen. Die Hauptfrage: Wer zu 50 Prozent oder mehr arbeitsfähig ist, soll die Mindestsicherung beim AMS beantragen dort gibt es aber noch keine Pläne dafür, wie das ablaufen soll. Das Arbeitsmarktservice hat bisher eine eher zweifelhafte Performance gegenüber Langzeiterwerbslosen abgeliefert. Viel Druck, wenig Zeit, wenige passende Angebote für diese Personengruppe; viel Sinnvolles wurde in den letzten Jahren gekürzt. Da geht es um multiple Problemlagen, nicht nur um Arbeitsvermittlung: Wohnen, Kinderbetreuung, gesundheitliche Probleme, psychische Beeinträchtigungen, Schuldenregulierung. Mit welchen Ressourcen, mit welchen Angeboten und mit welchen Mitarbeitern wird das AMS dieses im Fachjargon Case-Management bewältigen? Diese neuen Anforderungen decken sich kaum mit dem Selbstverständnis des Vollzugs innerhalb der Sozialämter noch mit jenem des AMS. Derzeit sind diese in aller Regel keine sozialen Servicecenter, wo solch weitergehende Hilfestellungen angeboten würden. Und sie fungieren auch nicht im erforderlichen Maße mangels einschlägig qualifizierten Personals und unterentwickelter Informations- und Beratungspflichten als Drehscheibe zu Angeboten anderer staatlicher Institutionen bzw. sozialer NGOs.

Was die Reform der offenen Sozialhilfe an Neuerungen im Bereich aktiver Arbeitsmarktpolitik mit sich bringen wird, ist aus heutiger Sicht über weite Strecken unklar. Wird das AMS künftig auch für die Betreuung von Voll-Sozialhilfe-EmpfängerInnen ohne Bezüge aus der Arbeitslosenversicherung zuständig sein? Oder werden eigenständige Programme von den Sozialhilfeträgern auf- und ausgebaut? Welche Beratungs- und Informationspflichten und -kapazitäten werden die MitarbeiterInnen des AMS haben, um Problemlagen ihrer KlientInnen über den Aspekt der Erwerbslosigkeit hinaus im Sinne eines umfassenden Case-Managements zu bearbeiten? Entlang welcher Kriterien und mittels welcher Verfahren wird von wem festgestellt, ob eine Sozialhilfe beziehende Person erwerbsfähig ist oder nicht? Welche Zumutbarkeitskriterien werden für sie gelten?

Entscheidende Fragen. Ohne Reform des Vollzugs in den Ländern und ohne ein verändertes Arbeitsmarktservice kann es keine Mindestsicherung geben. Wir bleiben dran.