Mindestsicherung: „Klassenkampf von oben“tun & lassen

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Armut macht keinen Urlaub. Die Sozialhilfereform schon. Seit Jahren. Vier Jahre wird das Projekt Mindestsicherung, im Kern eine Reform der Sozialhilfe, nun schon diskutiert. Jetzt präsentierte die Regierung in einem Sommerministerrat neue Einzelheiten. Das bereits ausverhandelte Paket wurde auf Druck des Finanzministers erneut aufgeschnürt. Und verschlechtert. Im Ministerratsprotokoll steht der kryptische Satz, dass in einer Arbeitsgruppe die veränderten konjunkturellen und budgetären Rahmenbedingungen zu bedenken seien. Aha. Die Opfer der Krise sollen jetzt also noch einmal draufzahlen, während es für den Finanz- und Bankensektor mit den Milliarden Steuergeldern nicht schnell genug gehen konnte.

Angesichts der sich abzeichnenden sozialen Folgen der Finanzkrise ist die Kürzung von 14 auf 12 Bezugsmonate in der Sozialhilfe nur mehr als Klassenkampf von oben (Caritas Präsident Küberl) zu bezeichnen. Das bedeutet in mindestens fünf Bundesländern eine Verschlechterung zum Status Quo, wenn diese Kürzung nicht lokal ausgeglichen wird. In der jetzigen Sozialhilfe ist die Summe der sozialen Teilleistungen höher als die pauschale Leistung der Mindestsicherung. Im Finanzministerium ist offensichtlich für alles Geld da, nur nicht für die Absicherung gegen Armut. Was soll in der angekündigten Arbeitsgruppe noch alles wegverhandelt werden? Und spekuliert der Finanzminister nicht nur mit Steuergeld auf den Cayman Islands, sondern auch mit dem völligen Scheitern der Mindestsicherung?

Das Projekt selbst ist mittlerweile auf eine Sozialhilfereform mit Mindestsicherungselementen geschrumpft. Die neue Mindestsicherung ist im Wesentlichen die alte Sozialhilfe. Sie ersetzt nicht die Sozialhilfe, sondern baut sich in das bestehende System der neun Bundesländerregelungen ein. Es wird weiter neun verschiedene Standards geben. In den meisten Punkten bleibt die Ausgestaltung zentraler Elemente den Landesgesetzgebern bzw. den Vollzugsrichtlinien der Behörden überlassen. Das führt die strukturellen Fehler des alten Sozialhilfesystems weiter. Ausgangspunkt der Sozialhilfereform war ja die stärkere Harmonisierung des unteren Netzes zu einer grundrechtsorientierten, bürgerInnenfreundlichen Sozialleistung, die nicht mehr in das Belieben neun unterschiedlicher Länderregelungen gestellt ist. Davon sind wir jetzt wieder weit entfernt. Als Verbesserungen bleiben nach heutigem Stand die Krankenversicherung, der Wegfall des Regresses, eine Bescheidpflicht und die Gleichstellung von Alleinerziehenden mit Alleinstehenden.

Ungelöste Fragen der so genannten Mindestsicherung sind noch immer die Wohnkosten, die Hilfen in besonderen Lebenslagen, die Verbesserung des Vollzugs, die Reform des Arbeitsmarktservice und die Handhabung des Verschlechterungsverbots. Angesichts der wachsenden sozialen Notlagen kann es keine halben Lösungen für ganze Probleme geben. Es kann keine Mindestsicherung geben, die diesen Namen verdient, ohne dass die tatsächlichen Wohnkosten für Armutsbetroffene abgedeckt werden, ohne die Sicherung österreichweiter Standards bei existentiellen Nöten in besonderen Lebenslagen (kaputter Boiler, Geburt, Schulsachen etc), ohne eine Reform des Vollzugs der Sozialhilfe in den Ländern und ohne Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Die Mindestsicherung hilft nur dann, wenn es passende Angebote für die Betroffenen gibt. Wenn „workless poor“ nicht in „working poor“ verwandelt werden mit prekären, nachhaltig dequalifizierenden Jobs. Wenn die vielfältigen Problemlagen wie Wohnen, Kinderbetreuung, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Schuldenregulierung bearbeitet werden. Wenn der ganze Mensch in den Blick kommt.

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