Mit Bargeld oder Karte?tun & lassen

Den Augustin übers Smartphone kaufen – so wie hier bei den Dreharbeiten zum Augustina-Imagefilm – ist bald Realität (Foto: © Claudia Poppe)

Der Augustin kann in Bälde auf der Straße auch bargeldlos erworben werden. Das von der AK geförderte Digitalisierungsprojekt Augustina macht’s möglich.

«Gestern haben zwei Personen gesagt, ich möchte einen Augustin kaufen, aber ich hab’ kein Kleingeld, nur eine Bankomatkarte, oder kannst du auf 100 Euro rausgeben?» erzählt der Augustin-Verkäufer Jan Pisar, der den Augustin im Auhof anbietet. «Viele haben gar kein Geld dabei, da wär’ es super, wenn die Leute den Augustin auch bargeldlos bei mir kaufen könnten», meint er. Susi Gollners Verkaufsplatz liegt in Margareten bei einem Supermarkt, vom bargeldlosen Bezahlen hält sie nicht viel, beim Augustin-Verkaufen hat sie auch noch nie jemand gefragt, ob das möglich sei. Wie auch sonst in der Bevölkerung finden sich unter den Augustin-Verkäufer:innen Fans wie Gegner:innen des digitalen Bezahlens, manche sehen nur «Bares als Wahres», andere mögen beide Möglichkeiten. Im Verein Sand & Zeit, der das Gesamtprojekt Augustin trägt, gestaltet und verwaltet, haben wir uns entschlossen, zusätzlich zur Barzahlung eine digitale Bezahlmöglichkeit des Augustin auf der Straße anzubieten. Anfang Oktober geht das Digitalisierungsprojekt Augustina in eine mehr als einjährige Testphase. Der Start am 6. Oktober ist ein Meilenstein, den wir einen Tag vorher mit einem «Go-Live»-Event im Museumsquartier feiern. Hierbei unterstützt uns die Agentur Gaisberg pro bono.

Vorgeschichte

Dass der Augustin in Zukunft auch bargeldlos bei Verkäufer:innen auf der Straße erhältlich sein wird, hat eine längere Vorgeschichte. Claudia Poppe erinnert sich, mit der Idee vom internationalen Straßenzeitungstreffen 2019 in Hannover nach Wien zurückgekommen zu sein. In Skandinavien war bargeldloses Bezahlen schon gang und gäbe und auch einige nordamerikanische Straßenzeitungen waren dabei, digitale Zahlungsweisen für ihre Verkäufer:innen zu entwickeln. «Damals haben wir das erste Mal darüber geredet», erzählt Claudia, die Augustina-Projektleiterin ist und die beim Augustin seit 1999 mitarbeitet, und u.a. für Öffentlichkeitsarbeit, das Veranstaltungsprogramm Strawanzerin und Social Media zuständig ist. Damals wurden auch schon einige Parameter festgelegt, die nun in der tatsächlichen Umsetzung berücksichtigt werden. Wie etwa, dass die Verkäufer:in kein Gerät, wie einen Kartenleser oder ein Smartphone, bei sich zu haben braucht, und dass die Anwendung möglichst einfach sein sollte. Es gab Gespräche mit IT-Spezialisten, die Sache schien machbar, aber «es war auch schnell klar, dass das ein größeres Projekt sein wird und dass man es finanziell auch stemmen muss», sagt Claudia.
Innerhalb des Augustin-Budgets sind die entsprechenden Summen jedenfalls nicht vorhanden, und die Kriterien für Förderungen der öffentlichen Hand erfüllt die Wiener Straßenzeitung ebenfalls nicht. Dass der bargeldlose Augustin-Kauf nicht als nebuloses Wunschziel ohne konkretes Umsetzungsdatum weiter ein Gedankenspiel blieb, verdankt der Augustin der Arbeiterkammer Wien. Sie lud den Verein zum Hackathon der Vielen im September 2022. Sylvia Galosi (Soziale Arbeit) und Sónia Melo (Redaktion) stellten dort unser Konzept vor und trafen auf die Informatikstudenten Felix Effenberg und Leon Beccard vom IT-Kollektiv Convive (mehr über Convive auf S. 8 – 9). Innerhalb von drei Tagen wurden gemeinsam Lösungen erarbeitet und das Ergebnis mit einem Preis ausgezeichnet. Dadurch war es auch möglich das Projekt «Augustin bargeldlos bei Verkäufer:innen auf der Straße kaufen», inzwischen kurz Augustina genannt, beim Digifonds 4.0 der AK einzureichen. «Wir haben in kürzester Zeit einen Antrag geschrieben und eingereicht», so Claudia. «Kurz vor Weihnachten haben wir die Zusage für die Förderung von der AK bekommen.»

Niederschwellig

Das Projekt läuft insgesamt zwei Jahre lang, noch bis Februar 2025. Mit der Fördersumme von fast 200.000 Euro entwickelt der Augustin zusammen mit Kooperationspartner:innen ein bargeldloses Bezahlsystem (Webshop), über das Leser:innen die Zeitung in Papierform oder als Online-Ausgabe oder einige andere Produkte wie den Augustin-Kalender, bei den Kolporteur:innen auf der Straße kaufen können. Das soll niederschwellig und in wenigen Schritten möglich sein (siehe Infokasten). Augustin-Verkäufer:innen benötigen nur ihren neuen Ausweis mit QR-Code, Kund:innen können mittels Smartphone oder Tablet zahlen. Und natürlich ist es den Verkäufer:innen selbst überlassen, ob sie die bargeldlose Zahlung anbieten möchten. Die Möglichkeit drei Euro für den Augustin mit Münzen oder Scheinen zu berappen, bleibt auf jeden Fall erhalten.
«Wichtig ist uns, dass die Förderung nicht nur in eine technische Entwicklung geht, sondern, dass die Verkäufer:innen direkt was davon haben», stellt Claudia fest, finanziert werden daher auch Deutschkurse, Schulungen in mehreren Sprachen mit Dolmetsch, ein animiertes Schulungsvideo von Augustin-Layouterin Margarete Schwarzl, neue Ausweise und «Verkäufer:innen, die bei den Expert:innen-Boards mitmachen, erhalten eine Aufwandsentschädigung.»
Neu zum Augustin-Team kam Matthias Jordan, der für die Dauer des Projekts angestellt ist: «Meine Aufgabe ist es, die Verkäufer:innen an das Digi-Projekt heranzuführen. Es ist sehr viel Organisationsarbeit. Ich organisiere z. B. die Deutschkurse und die Expert:innen-Boards. Ich bin sozusagen die Schnittstelle zwischen dem Augustin-Team und den Verkäufer:innen.» Dabei ist er auch mit Ängsten und Skepsis vieler Kolporteur:innen konfrontiert. «Ich kenn mich mit neumodischer Technik nicht aus. Wie weiß ich, dass wirklich bezahlt wurde? Da krieg ich kein Trinkgeld mehr», bekommt Matthias oft zu hören. Er klärt und erklärt diese und andere Unklarheiten; mit der «Technik» hat nur die Kundschaft zu tun, nach dem Bezahlen erscheint ein grüner Haken, der die erfolgreiche Zahlung bestätigt, und spenden funktioniert natürlich auch beim Online-Geschäft. Das Augustina-Projekt findet Matthias sehr besonders, denn viele Firmen versuchten zwar etwas Inklusives umzusetzen, «die machen dann aber Projekte für Armutsbetroffene und nicht mit ihnen und setzen ihnen was vor. Wir haben versucht, es so gut wie möglich mit den Verkäufer:innen zu erarbeiten.»

Mitgestalten

Dass der Augustin jetzt selbst eine bargeldose Bezahlform entwickelt, hat nicht nur den Grund, dass wir für die Zukunft gerüstet sein möchten, sondern, dass «wir es selbst mitgestalten können», sagt Claudia, sonst sei man auf (kommerzielle) Anbieter und deren Bedingungen angewiesen. Eine weitere Besonderheit ist, dass Convive die Software als Open Source erstellt. So können – und das ist auch geplant – andere Straßenzeitungen darauf zugreifen und sie nach ihren Anforderungen adaptieren. Augustina kooperiert seit Beginn mit Mo (Wien), Megaphon (Graz) und Hinz & Kunzt (Hamburg).
Verkäufer Jan sieht den Trend zur Digitalisierung positiv: «Die Investition wird sich sicher lohnen.» Susi ist bargeldloses Bezahlen nicht ganz geheuer: «Mit Technik hab’ ich nichts am Hut. Und meine Kundschaften haben immer Bargeld dabei.» Sollte aber wer den Augustin bei ihr online bezahlen wollen, «dann werd’ ich das natürlich nicht verweigern».