Mit bulgarischem BazillusArtistin

G. Gospodinov über aufgewertete Machos und den Kampf ums eigene Joghurt

Wie passten in Bulgarien Machotum und Sozialismus zusammen? Und Männlichkeit und Turbo-Kapitalismus heute? Der bulgarische Autor Georgi Gospodinov sinniert im Augustin-Gespräch über Machos und Nationalismus im Schatten der EU – und warum Gott und die EU ein Synonym darstellen.Ein Kollektiv von Bulgaren wird versehentlich auf einer Autobahn-Toilette in Deutschland eingesperrt. Was tun in dieser misslichen Lage? Die Männer schreien das in Bulgarien beliebteste Wort in deutscher Sprache: Achtung! Achtung!. Aus alten russischen Filmen bekannt und dort zumeist von deutschen Nazis verwendet. Der Erzähler dieser Geschichte, Georgi Gospodinov, ist der am meisten übersetzte Autor Bulgariens und Redakteur der Literaturzeitschrift Literaturen vestnik, die 1990 in Opposition zur staatlichen Literaturen front entstand.

Gospodinov schreibt gerne über Trennungen, Fliegen und Toiletten. Er untersucht Situationen, in denen Gelegenheit Liebe macht (als das Wunder geschah, oder welches Klischee euch sonst noch einfällt…) und Trümmer erzeugt. In einer Erzählung schmeißt die zornige Emma die Schallplatten ihres ehemaligen Liebsten aus dem Fenster. Dieser macht es ihr instinktiv nach und köpft eine Taube. Gospodinov legt seinen Finger gerne auf die Wunden eitler Männlichkeit. Trotzdem positioniert er seinen Haupthelden Gaustin, im – auf deutsch im Wieser Verlag erschienenen – Buch Gaustin oder Der Mensch mit den vielen Namen, voll zurückhaltender Würde. Gaustin besitzt drei Schachteln Zigaretten der Marke Tomasjan aus dem Jahre 1937, entstaubt und double extra Qualität. Sie schmecken scharf: Sicher ist das wegen der Bombardierungen von Guernica im gleichen Jahr. Oder vielleicht auch wegen der Hindenburg, der größte Zeppelin der Welt explodierte damals, mit 97 Personen an Bord. Der Erzähler, der gerade eine Zigarette kostet, erstickt fast. Gaustin lebt in seiner eigenen Welt voll eigens erfundener Spielregeln. Im Rückzug sozusagen. Eine typische Figur für den bulgarischen Mann post Sozialismus?

Ich spiele gerne mit den Widersprüchen im Männerbild und ironisiere festgefahrene Strukturen und Klischees, erklärt Georgi Gospodinov. Gerade meine in den 60ern geborene Generation ist, fast schizophren, hin und her gerissen. Mein 1918 geborener Großvater war gezwungen, seine weiche und zärtliche Persönlichkeit zu unterdrücken. Er küsste meine Oma nie in der Öffentlichkeit. Das weiß ich von ihr. Seinen Sohn, meinen Vater, küsste er auch nie. Meinem Vater war es unangenehm, mir das zu erzählen, weil er im Endeffekt auch das Klischee in sich trägt, dass ein Mann nicht zärtlich sein darf. Im Gegensatz dazu küssen jetzt alle, als eine Art von Hyperkompensation, die Enkel. Aber mein Vater nur, wenn sein Vater nicht zuschaut. Seine Generation muss damit zurecht kommen, ungeküsst zu sein ein Trauma!

Alles Schlechte wird von Männern verursacht, die auf den Tisch hauen

Gospodinov lächelt fein und zeigt Mitgefühl. Andererseits gab es interessante Verbindungen zwischen Sozialismus und Machotum. Die Frau war der Sklave der Welt. Trotzdem habe ich in gewissem Sinne das Gefühl, dass der Sozialismus dem Machotum entgegen gewirkt hat, weil es etwas gab, das stärker war als der Wille des Mannes nämlich der Wille der Partei. Parteifunktionäre demütigten den Mann. Zu Hause konnte er auf den Tisch hauen, auf Frau, Kind und die Machthaber schimpfen, aber außerhalb der vier Wände musste er vor den Machthabern kriechen und war harmloser als ein Schoßhündchen. Typische Männerberufe, wie z.B. Kranführer, wurden auch von Frauen ausgeübt, Frauen leisteten auf den Feldern körperliche Schwerstarbeit. Der Mann konnte sich nicht als Familienoberhaupt fühlen, die Familie gehörte ihm nicht das war ein wichtiger Punkt noch aus der Zeit vor dem Sozialismus, als allein der älteste Mann der gesamten Großfamilie das Sagen hatte. Gospodinov beschreibt für das heutige Bulgarien zwei Typen. Der Macho wird langsam wieder populär, das hängt mit dem Aufleben des Nationalismus zusammen. Der weint und küsst nicht, der ist sehr mutig und sehr potent, sehr trinkfest und in allen Situationen obenauf. Er hat eine Familie und viele Geliebte. Das schwache Geschlecht männlicher Ausprägung hingegen steht in Opposition zu ihm. Das ist der Intellektuelle, der weiß, dass ein Mann nichts ist, was man so einfach voraus setzen kann kein fertiges Produkt. Der Unisexmann begreift den angeblichen Gegensatz zwischen Frau und Mann als altmodisch. Er hat viele Freundinnen, aber keine Geliebte. Er hat keine Angst, dass Bulgarien der EU beitreten wird.

Gospodinov kichert. Der andere hat Angst vor der EU, weil er ahnt, dass er nicht der Potenteste ist. Georgi Gospodinov mag für seine Erzählungen liebe, nachdenkliche Loser, die wohl weniger aggressiv als die wirklichen Loser sind. Ich mag Menschen, die zögern und zweifeln. Alles, was Blödes in der Welt passiert, verursachen Leute, die auf den Tisch hauen und sagen, so ist es. Die große Figur in der bulgarischen Literatur ist derzeit der Bauer, den der Nationalismus liebt. Nicht zufällig kämpft Bulgarien gerade mit der EU, dass das Joghurt mit bulgarischem Bazillus als Handelsmarke anerkannt wird.

Warum sind in der zeitgenössischen bulgarischen Literatur die Liebe und Gott so wichtig? Das steht im Zusammenhang mit der These, dass die wichtigsten Ereignisse in der bulgarischen Geschichte die waren, die gar nicht statt gefunden haben. Es gab weder eine Studentenbewegung 1968, noch eine starke Opposition im Sozialismus. Nach der Wende sind keine verbotenen Romane aus den Schubladen geholt worden. Die Kunst basierte nie auf Opposition und sieht auch heute ihre Hauptaufgabe nicht in der Kritik der Verhältnisse. Im Prinzip sind wir es eher gewöhnt, uns mit dem Überleben zu beschäftigen, uns durchzumogeln. Und das Überleben ist eindeutig mit der Liebe verbunden! Gott ist ein Teil dessen, was gefehlt hat, ein Teil, der nicht da war. Wenn der Bulgare dem, was er vor Augen hat, nicht traut, vertraut er dem, was nicht da ist! Gospodinov geht noch einen Schritt weiter in der Analyse: Das ist sehr anstrengend. Das große Problem des Überganges ist, dass die Leute inzwischen müde und es leid sind, an egal was zu glauben, und deswegen kein Ziel, kein Ideal haben. In diesem Sinne kann man Europa und Gott als Synonym ansehen. Das ist alles irrational und genau darin liegt das Problem. Ich selbst schreibe am liebsten über alltägliche Dinge wie Fliegen, die lächerlich machen können. Möglicherweise ist das Opposition, weil die Kultur lange sehr monumental war.

Übersetzung beim Interview: Alexander Sitzmann

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