Mit dem Nachtzug durch Europa: Warum ist das so kompliziert?Boulevard-Blog

Boulevard-Blog vom 17.05.2023

Immer mehr Menschen in Österreich reisen mit dem Zug. Im Angebot der europäischen Nachtzugallianz schlummert auch für Reisen, die über die Landesgrenzen hinausgehen, viel Potenzial. Doch in vielen Fällen scheitert die gute Intention an der komplizierten Umsetzung. 

Laut Statistik Austria stieg der Anteil der Bahnreisen im gesamten österreichischen Reiseverkehr 2022 auf 15,1 Prozent. Das ist mehr als im Vorkrisenjahr 2019 und somit der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2006. Das ist begrüßenswert, schließlich ist der Zugverkehr die beste Möglichkeit, um umweltfreundlich von A nach B zu kommen.

Noch nicht alles auf Schiene

Ich selbst verzichte seit mehreren Jahren aus Umweltschutzgründen auf Flugreisen. Zumindest innerhalb Europas sollte es schließlich gut möglich sein, auch weite Strecken unkompliziert mit dem Zug zurückzulegen – und in der Tat: Das Schnell- und Nachtzugangebot in Europa ist gut. Dennoch gibt es meiner Erfahrung nach einiges zu verbessern.

Erfahrungsbericht 1, Frühjahr 2023: Nachtzug von Berlin nach Wien, durchgeführt von der Deutschen Bahn (DB): Aufgrund der Ausstattung der deutschen Zuggarnituren sind für die 12-stündige Fahrt über Nacht nur Sitzplätze in einem Großraum-Doppeldecker-Waggon verfügbar. Auf Rückfrage beim Schaffner, ob denn zumindest das Licht gedimmt werde, erhalte ich die schnippische Antwort: «Die Lichter bleiben genau so – bis Wien.» Obwohl ich für eine (vermeintlich komfortablere) Fahrt in der 1. Klasse knapp 115 Euro bezahlt habe, finde ich mich in einer Garnitur ohne Toilette wieder. Zudem plagt mich der Gedanke, was mit meinem Gepäck passiert. Direkt unter dem Sitz konnte ich den Koffer nicht verstauen, somit steht er nun unbeaufsichtigt am anderen Ende des Waggons. Auf gut Glück mach ich die Augen zu. Wird schon nichts passieren.

Jetzt kann man sagen: Das ist Jammern auf hohem Niveau. Sei froh, dass es überhaupt eine Zugverbindung gibt! Aber ich finde, wenn man die Mobilitätswende schaffen will, muss Zugfahren so komfortabel und einfach wie möglich gestaltet werden. Nicht nur, um den bereits bestehenden Bahnkund:innen das Erlebnis angenehmer zu machen, sondern um mit dem Angebot auch Menschen anzusprechen, die bisher wenig oder gar nicht Zug fahren. Denn davon gibt es nach wie vor genug.

ÖBB investierte, DB stieg aus

Das Reisen der Zukunft ist das Zugfahren. Daher muss in diesen Bereich auch mehr investiert werden. Während die DB 2016 beschlossen hat, sich mit ihrem eigenen Fuhrpark aus dem Nachtzuggeschäft zurückzuziehen, hat die ÖBB in nachttaugliche Garnituren investiert – und betreibt seither auch die Nachtzuglinien in und durch Deutschland. Ein Pressesprecher der DB erklärt das im Interview so: «Es macht wenig Sinn, wenn jedes Bahnunternehmen ‹ein bisschen Nachtzug› macht. Vielmehr braucht es Spezialisten. Für ein Nachtzugangebot sind spezielle Fahrzeuge, die im Tagesverkehr nicht eingesetzt werden können, spezielle Anlagen und Mitarbeiter in den Werken Voraussetzung. Die ÖBB ist so ein Spezialist, und die DB ist in der Nachtzug-Allianz ihr Partner. Wir stellen Lokführer und Loks und organisieren die Trassen-, Stations- und Energienutzung.» Diese Zusammenarbeit habe sich in den letzten Jahren bewährt.

Bei der nächtlichen Verbindung – wie der im Erfahrungsbericht 1 geschilderten – handle es sich nicht um einen «Nachtzug» im klassischen Sinn, erklärt mir die Pressestelle der DB. Daher sei der Zug auch nicht zum Zwecke des Schlafens ausgestattet. Bei einer Abfahrt um Mitternacht und Ankunft um 10 Uhr morgens, mit keiner alternativen Verbindung zwischen Berlin und Wien in diesem Zeitraum, frage ich mich, wie diese Argumentation haltbar ist. Immerhin wird die genannte Zugverbindung auf der Website der DB mit dem Slogan «Verbringen Sie Ihre Reise komfortabel im Schlaf» beworben. Auf Nachfrage, wie man sein Gepäck vor Diebstahl schützen könnte, heißt es, man solle sein Gepäck nicht unbeaufsichtigt lassen. Ist im Schlaf in einem Großraumwagen ja auch ganz einfach…

Wenn der Klimaschutz am Ticketkauf scheitert

Erfahrungsbericht 2, Frühjahr 2023: Nachtzug von Salzburg nach Paris, durchgeführt von den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB): Eine zeitlich angenehme Verbindung, auch der Preis ist mit rund 80 Euro pro Fahrt angemessen. Das Problem: Bereits einen Monat im Voraus kann ich weder Liege- noch Schlafwagenplätze buchen, da bereits alle Kontingente vergriffen sind. So verbringe ich die Nacht zu sechst in einem Sitzabteil. Um einiges komfortabler und sicherer als der Großraumwagen der DB, die Füße des Sitznachbarns habe ich gezwungenermaßen dennoch im Gesicht.

Wer es bequem haben will, muss also lange im Voraus planen. Wenn es geht – denn manchmal kann man drei Monate im Voraus buchen, manchmal aber auch nur einen Monat zuvor. Man müsste also fast täglich das Ticketportal checken. Ganz spontan (das heißt hier eine Woche im Voraus) bekommt man meist gar kein Ticket mehr.

Ich habe bei der ÖBB gefragt, wieso die Ticketbeschaffung bei Nachtzügen oft so schwierig ist. Darauf heißt es: «Tickets können bei uns im Allgemeinen 180 Tage vor Abfahrt gekauft werden. Wenn andere Bahnen im Ausland ihre Tickets erst später freigeben, kann sich dies verzögern.» Die Tickets seien außerdem immer schnell vergriffen. «Wir erleben seit dem Frühjahr gerade einen Boom bei der Nachfrage. Die Züge sind gerade zu den Ferien praktisch ausgebucht», so ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder. Es scheint, als habe man mit dem Bahnboom nicht gerechnet. Aber es seien jetzt neue Züge mit deutlich mehr Schlafwagenplätzen bestellt worden. «Insgesamt werden 33 neue Nachtzüge in den nächsten Jahren zur Flotte stoßen», heißt es seitens der ÖBB.

50 Prozent mehr Bahnkund:innen möglich

Der Fuhrpark ist aber nicht allein das Problem. Auch der schwierige Ablauf beim Ticketkauf hindert viele Menschen am Zugfahren. Die FH St. Pölten hat im Sommer 2022 eine Studie zum komplizierten Bahnticketkauf veröffentlicht: «Ein Drittel der Kund:innen scheitert an der Buchung internationaler Bahntickets. Gegenüber heute könnten funktionierende Ticketingsysteme ein Potenzial von bis zu 50 Prozent mehr internationalen Bahnfahrgästen bedeuten», sagen die Studienautoren Thomas Preslmayr und Thomas Stütz (Department Bahntechnologie und Mobilität).

Grund für die Kompliziertheit seien die fehlenden verbindlichen Standards sowie nationale Besonderheiten in der Tariflandschaft. «Für die Buchung internationaler Bahnfahrkarten sind in der derzeitigen Situation Geduld, Fachwissen oder Hilfestellungen nötig. Darum bevorzugen Reisende trotz guter Verbindungen im Schienenverkehr oft aus Einfachheitsgründen das Flugzeug», so Preslmayr und Stütz. Ein Versuch mit Proband:innen zeigte es im direkten Vergleich: Die größte Zahl der Flugbuchungen war in 5 bis 10 Minuten abgeschlossen, die größte Zahl der Bahnbuchungen hat 15 bis 30 Minuten in Anspruch genommen.

Zugfahren ist günstig – aber für wen?

Neben der Vereinfachung des Ticketkaufs liegt auch in der Preisgestaltung der Tickets viel Potenzial. Wenn Zugfahren günstiger als Fliegen wird, dann wird das Angebot noch besser angenommen. Die Preise der ÖBB-Tickets werden mit Ende Mai 2023 aber nicht vergünstigt, sondern um durchschnittlich 5,8 Prozent angehoben. Bernhard Rieder von den ÖBB erklärt: «Mit den 5,8 Prozent bleiben wir unserer Linie treu, Preisanpassungen weit unter der Inflationsrate, aktuell 9,2 Prozent, vorzunehmen. Im Vergleich: Die Kosten des Autofahrens sind im Vergleichszeitraum um 17,2 Prozent gestiegen, Flugtickets sogar um 28,3 Prozent.» Bei zweiteren werden die Steigerungen aber oftmals nicht direkt an die Kund:innen weitergegeben.

Zugfahren ist in Österreich generell schon günstig. Ein aktueller Vergleich von Greenpeace zeigt: Österreich ist Vorreiter für leistbare öffentliche Verkehrsmittel in Europa. Der Hauptgrund dafür ist das 2021 eingeführte Klimaticket. Nur Luxemburg und Malta liegen im Ländervergleich vor Österreich – hier sind öffentliche Verkehrsmittel gratis. Und ja, das Klimaticket ist gut, aber nur für den Zeitraum von einem ganzen Jahr erhältlich und spricht somit nicht jede:n an. Außerdem ist es dennoch nicht für alle erschwinglich. Senior:innen, Jugendliche und Menschen mit Behinderungen bekommen zwar eine Ermäßigung von 25 Prozent, für armutsbetroffene oder einkommensschwache Menschen gibt es jedoch keine Vergünstigungen.

Fazit

An der Nachfrage wird es nicht scheitern. Die Menschen wollen mit dem Zug fahren, vor allem auch in der Nacht, da sie sich so Zeit und Geld (für Übernachtungen) sparen. Damit mehr Verkehr auf die Schiene kommt, muss aber die Organisation seitens der Bahnunternehmen besser werden, Züge müssen komfortabler werden, der Ticketpreis muss vereinheitlicht und der Ticketkauf einfacher werden. Das würde zu weniger Ärger und zu mehr Wertschätzung der eigentlich guten Zugverbindungen in Europa führen.


Weiterführende Links:

Studie der FH St. Pölten: https://www.fhstp.ac.at/de/newsroom/news/wenn-der-klimaschutz-am-ticketkauf-scheitert
Greenpeace Ticketpreise-Vergleich: https://greenpeace.at/news/klimatickets-in-europa/
Daten von Statistik Austria zum Bahnverkehr:
https://www.statistik.at/statistiken/tourismus-und-verkehr/personenverkehr/personenverkehr-schiene

Foto: Nina Strasser

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