Mit Gabel und Pizzatun & lassen

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Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatten arme sizilianische Einwanderer in New York nichts anderes zu essen als altes, trockenes Brot, das sie mit Tomatensauce bestrichen. Mit ihrem gesellschaftlichen Aufstieg veränderte sich der Imbiss, kneteten sie den Teig, um ihn mit Käse, Fleisch, Schinken und Gemüse zu belegen und frisch zu backen.Auf Urlaub in Italien, servierten sie ihren Verwandten die neue Köstlichkeit und den Geschmack ihres Erfolgs. So entstand nicht, wie es die Legende uns immer weismachen wollte, in Neapel, sondern in Amerika jenes Gericht, das dann als echte italienische Nationalspeise zu Weltruhm gelangte.

Der Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen hat den Zwang zur Eintopf-Identität als «pluralen Monokulturalismus» bezeichnet. Damit weist er auf die neue Form des alten Rassismus hin, deren Anhänger sich auch gerne die «Identitären» nennen. Das meint, dass ganze Bevölkerungsgruppen von einer einzigen Kultur und einer einzigen Identität abgeleitet weren, derer sich alle einzufügen haben. Sie kann durch Blut, Herkunft oder Religion bestimmt sein.

Kulturen sind aber nichts naturgleich Ewiges, Abgegrenztes, Statisches, dem Menschen schicksalhaft eingraviert. Selbst die Pizza ist nicht das, was sie scheint. Oder: Aus der Mathematik, der Lehre von den Winkeln, kennen wir alle das Konzept des Sinus. Dies geht auf den indischen Mathematiker Aryabhata aus dem 5. Jahrhundert zurück.«Jya-ardha» nannte er seine mathematische Entdeckung, was in Sanskrit wörtlich Saitenhälfte bedeutet. Abgekürzt «jya», daraus leiteten die Araber phonetisch «jiba» ab, geschrieben «jb» ohne Vokale. Spätere Autoren verstanden den Sinn von «jb» nicht mehr und machten «jaib» daraus, was ein echtes arabisches Wort ist und «Bucht» heißt. Als Gerhardus von Cremona dann um 1150 eine Übersetzung anfertigte, übertrug er «jaib» ins Lateinische mit dem Wort »sinus», lateinisch für Bucht.

Oder: Die Gabel tauchte mitten im Venedig des 13. Jahrhunderts auf. Die Prinzessin aus Konstantinopel packte das metallene Essgerät beim Hochzeitsbankett im Dogenpalast aus. Und aß nicht mit den Fingern wie die anderen Gäste. Die waren entsetzt ob dieses Benehmens einer Frau aus dem Osten. Kardinalbischof Petrus Damiani ergriff das Wort: «Gott in seiner Weisheit hat den Menschen mit natürlichen Gabeln ausgestattet – seinen Fingern. Daher lästert man Gott, wenn man beim Essen die Finger durch künstliche metallene Gabeln ersetzt.» Im Osten war die Gabel seit dem 4. Jahrhundert am Hof von Byzanz in Gebrauch und seit dem 7. Jahrhundert in Asien üblich. Im Westen hatte sie zu Beginn einen schweren Stand.

All das und vieles mehr zeigt: Kultur entsteht aus Vermischung. Kultur ist und bleibt nicht homogen; innerhalb einer jeden Kultur gibt es starke Widersprüche, Unterschiede und Abweichungen. Und: Kultur steht nicht still. Sie verändert sich mit der Zeit. Das Beharren auf ewigen pluralen Monokulturen «gleicht dem aussichtslosen Bemühen, den Anker der Kultur an einem schnell dahintreibenden Boot festzumachen» (Sen). Oft ist die Verteidigung des Multikulturalismus nichts anderes als ein Plädoyer für den pluralen Monokulturalismus. Da muss man genau hinschauen.

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