Ein neuer Straftatbestand: «Staatsfeindliche Bewegung»
Dass viele Staatsleugner_innen spinnen und manche auch gefährlich sind, ist geschenkt. Aber deswegen ein Gesetz zu erfinden, das vor Diffusheiten nur so strotzt, ist auch kein Gewinn. Wer ein Gesetz bricht, muss nämlich zumindest die Chance haben, es zu verstehen, meint Angelika Adensamer.
In den letzten Jahren gab es auch in Österreich immer wieder Aufregung um Gruppen wie «Reichsbürger», «One People’s Public Trust» oder «Freemen», die großteils aus Verschwörungstheoretiker_innen bestehen und teils auch einen rechtsextremen Einschlag haben. Oft gehen deren Tätigkeiten damit einher, die Legitimität der Republik Österreich und mitunter sogar ihre bloße Existenz zu leugnen, eigene «Gerichte» einzurichten, falsche Ausweise auszustellen usw. In einigen Fällen haben sich Mitglieder solcher Bewegungen geweigert, Gebühren und Abgaben zu entrichten, sich bei Führerscheinkontrollen mit gültigen Papieren auszuweisen, haben in anschließenden Verfahren die Behörden mit unsinnigen Eingaben überhäuft und mithilfe des «Malta-Tricks» erfundene Schulden am Gerichtsstand Malta eingeklagt. Es kam unter anderem zu Verurteilungen wegen Erpressung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Nötigung, Betrug. Unbestritten ist, dass diese Staatsleugner_innen unterschiedlicher Ausprägung für viele offizielle Stellen, die mit ihnen in Berührung kommen, höchst unangenehm sind.
Dass es schon jetzt in vielen Fällen möglich ist, sie zu bestrafen, scheint der Regierung allerdings nicht auszureichen. Daher soll ein neuer Straftatbestand eingeführt werden. Im Begutachtungsverfahren zeigte sich die Kontroverse um den Regelungsbedarf: Viele, wie zum Beispiel die Ärztekammer oder die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, begrüßten das intendierte Vorgehen gegen die «Reichsbürger»-Gruppierungen. Andere, darunter namhafte Jus-Professor_innen, übten hingegen scharfe Kritik. Inzwischen ist das Gesetz beschlossen und tritt am 1. September in Kraft.
Jetzt neu: Staatsfeind_innen in Bewegung.
Mit der Strafgesetznovelle 2017 wird unter anderem ein neues Delikt eingeführt, mit dem die Gründung, führende Betätigung sowie die einfache Teilnahme an einer «Staatsfeindlichen Bewegung» bestraft werden soll (§ 247a StGB). Eine solche «Bewegung» kann aus nur 30 Personen bestehen und muss keine bestimmte Organisationsstruktur aufweisen. Die Personen müssen aber die Gesinnung teilen, die Hoheitsrechte der Republik Österreich «rundweg abzulehnen» oder sich Hoheitsbefugnisse selbst anmaßen zu wollen. Der (wenn auch nicht ausschließliche) Zweck einer solchen «Bewegung» muss es sein, über längere Zeit hinweg gesetzwidrig die Vollziehung von Gesetzen zu verhindern. Darunter können auch Gesetzwidrigkeiten fallen, die bisher noch nicht einmal unter Verwaltungsstrafe standen.
Ein_e Teilnehmer_in kann dann bestraft werden, wenn eine Person aus der «Bewegung» eine «ernstzunehmende Handlung» setzt, in der sich die staatsfeindliche Ausrichtung ausdrückt. Was genau eine «ernstzunehmende Handlung» sein soll, ist jedoch unverständlich. Nach den Erklärungen der Regierung ist eine Handlung «dann ernst zu nehmen, wenn sie ernst gemeint […] scheint». Inwiefern eine Handlung, im Gegensatz zu einer Äußerung mehr oder weniger «ernst gemeint» sein kann, bleibt dabei unklar. Diese Stelle im Gesetz ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwer verständlich der neue Paragraph formuliert ist.
Schaumschlägerei oder Staatsgefährdung?
Weiter heißt es in den Erklärungen zum neuen Tatbestand: «Eine Bewegung gründet derjenige, der staatsfeindliche Gedankenkonstrukte erfindet oder solche Theorien aufstellt und diese anschließend mit dem Vorsatz anderen zugänglich macht, dass diese aktiv an der Verwirklichung einer staatsfeindlichen Handlung mitwirken.» Für die strafbare Teilnahme hingegen soll reichen, dass der Entschluss erkennbar ist, sich einer solchen Bewegung angeschlossen zu haben. Das heißt, auch das Publizieren eines Buches, einer Website, das öffentliche Bekanntgeben einer Mitgliedschaft oder das Herzeigen eines «Reichsbürger»-Ausweises kann strafbar sein. Dabei wird in keiner Weise berücksichtigt, ob eine solche Bewegung tatsächlich gefährlich oder nur eine Ansammlung von Schaumschläger_innen ist. Darüber hinaus könnte der Paragraph auch auf Aktivist_innen angewendet werden, die staatskritische Inhalte vertreten, wenn diese zusätzlich auf gesetzwidrige Weise die Vollziehung von Gesetzen zu verhindern suchen, wie das etwa bei Sitzblockaden regelmäßig der Fall ist. Diese Handlungen sind mit Freiheitsstrafe von zwei Jahren im Fall der Gründung oder führenden Teilnahme und ansonsten mit einem Jahr oder 720 Tagessätzen bedroht.
Schon allein aufgrund seiner zahlreichen unklaren, nur schwer oder gar nicht verständlichen Formulierungen ist der Paragraph «Staatsfeindliche Bewegung» problematisch. Die vielen verschachtelten Voraussetzungen sind diffus und viele Begriffe (wie z. B. die «ernstzunehmende Handlung») bleiben trotz Zuhilfenahme der Erklärungen völlig rätselhaft. Gerade Straftatbestände müssen aber für alle Bürger_innen verständlich und vorhersehbar sein, da sie ja auch ernsthafte Konsequenzen tragen können, wenn sie gegen die Gesetze verstoßen. Diese Anforderungen erfüllt der neue Tatbestand keineswegs.
Meinungsfreiheit und Demokratie.
Der Justizminister behauptet zwar, keinen Gesinnungstatbestand intendiert zu haben, dennoch kann man sich aber nach dem neuen Tatbestand durch verschiedene Meinungsäußerungen leicht strafbar machen: So genügt zum Beispiel bereits das Aufstellen und Zugänglichmachen einer «staatsfeindlichen» Theorie oder die bloße Äußerung, sich zu einer solchen «Bewegung» zu bekennen. Besondere Besorgnis erregen bei der Regierung anscheinend Eingaben an Behörden unter Berufung auf staatsfeindliche Theorien und die Verwendung von «erfundenen» Ausweisen oder Kennzeichen. Auch diese können jedoch Ausdrucksformen von Meinungsfreiheit darstellen.
Es ist eine zentrale demokratietheoretische Frage, ob die Meinungsfreiheit auch demokratie- und staatskritische Meinungen umfassen kann und soll. Die Antwort muss «ja» lauten. Überzeugungen müssen in einer Demokratie frei bleiben, auch wenn sie inhaltlich problematisch sind. Erst wenn zu gefährlichen Handlungen explizit aufgerufen wird oder solche gar tatsächlich gesetzt werden beziehungsweise bei konkretem und wohlbegründetem Verdacht auf deren Vorbereitung, sollte der Staat mit Zwang eingreifen dürfen. Alles andere ist Gesinnungsstrafrecht.
Ein Gesetz gegen alles Unbequeme.
Schon die Prämisse, dass soziale Probleme mit Strafgesetzen lösbar wären, ist falsch. Das ist eine billige Politik der starken Ansagen, hinter der weder ein Plan noch eine Überlegung und schon gar kein Weitblick stehen. Das Strafrecht als besonders hartes Zwangsmittel des Staates muss die Ultima Ratio bleiben, also das letzte Mittel, mit dem der Staat eingreifen kann. Das Vorzeigen eines erfundenen Ausweises steht jedoch mit der Androhung einer Freiheitsstrafe völlig außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit.
Ein solcher Entwurf zeigt eine Kultur der Gesetzgebung, in der nicht vom Anlassfall abstrahiert wird. Dabei wird erst festgestellt, welches unerwünschte Verhalten man strafen möchte, dann ein passender Straftatbestand verfasst, der dieses Verhalten auf jeden Fall umfasst. Was aber möglicherweise noch alles darunter fällt und sozusagen potenziell zum Beifang wird, wird gar nicht mitbedacht. Die neue Regelung hat einen sehr viel weiteren Anwendungsbereich, als in der politischen Debatte Thema war. Außerdem bringen Strafgesetze auch immer Ermittlungsbefugnisse der Polizei mit sich. Schon beim Verdacht auf eine «staatsfeindliche Bewegung» könnte die Polizei also in Zukunft Verdächtige und deren Kontaktpersonen beobachten, ausforschen, observieren und vieles mehr.
Selbst wenn es stimmen mag, dass die «Reichsbürger» und ähnliche Gruppierungen ungemütlich, unbequem und vielleicht sogar teilweise gefährlich sind, ist der neue Staatsfeinde-Paragraph überschießend. Er schränkt die Meinungsfreiheit ein und kann leicht dazu verwendet werden, unliebsame politische Gruppen zu unterdrücken. Insbesondere in Anbetracht der Wahrscheinlichkeit einer rechts(extremen) Regierung nach der nächsten Wahl ist diese Entwicklung sehr besorgniserregend.
Angelika Adensamer ist Juristin bei epicenter.works und Mitglied der juridikum-Redaktion sowie des Netzwerks Kritische Rechtswissenschaften
Mit diesem Text begründen wir die Kooperation zwischen Augustin und «juridikum. Zeitschrift für Kritik – Recht – Gesellschaft».
Autor_innen des «juridikum» bereiten aktuelle Rechtsfragen für den Augustin auf. «juridikum» gibt’s viermal im Jahr – die Nullnummer erschien 1989.