Zu Besuch in einer Autowaschanlage in Wien-Penzing, wo saisonbedingt bald wieder Flaute herrschen wird.
Ein Autofahrer steht in der Schlange. Er nutzt die Wartezeit, um auszusteigen und seine Felgen zu reinigen. Derweil rücken die Autos vor ihm weiter, eine Lücke entsteht. Ein Fahrer weiter hinten sieht das, gibt Gas und stellt sich in die Lücke. Augenblicklich kommt es zu einer lautstarken Auseinandersetzung. Wieso er nicht warten könne, schimpft der eine. Wieso er nicht weiterfahre, der andere. Es droht eine veritable Prügelei. Dass es nicht soweit kommt, ist Csaba zu verdanken. Csaba – er nennt nur seinen Vornamen – ist hier in der Autowaschanlage in Wien-Penzing Filialleiter. Entschlossen schreitet er zwischen die beiden Streithähne und beruhigt die Gemüter. Darin hat er bereits Übung. Zwangsläufig. Denn solche Auseinandersetzungen kommen in der Waschanlage sehr häufig vor. Csaba sagt: «Die Menschen haben keine Geduld mehr, können nicht zwei Minuten warten. Hier genauso wie beim Hofer – da wird auch sofort nach einer zweiten Kassa verlangt, wenn sich eine Schlange bildet. Wie kleine Kinder führen sich die Erwachsenen auf.»
Csaba ist 55 und kommt aus Ungarn. Seit 35 Jahren lebt er in Österreich, erst in Tirol, nun in Wien. Die Leitung dieser Autowaschanlage wurde ihm vor elf Jahren übertragen. Csaba ist ein Chef, der gerne mit anpackt. In der weitläufigen Halle der Waschanlage fallen vor allem zwei Arbeiten an: die Fahrzeuge abspritzen, bevor sie in die Waschstraße fahren, und auf den Stellplätzen deren Innenreinigung.
Nachdem Csaba den Streit erfolgreich geschlichtet hat, kann er sich wieder seiner Arbeit zuwenden, der Innenreinigung eines Vans. Er steigt in den Kofferraum des Fahrzeugs und schaltet den Staubsauger an. Der Halter dieses Fahrzeugs ist Stammkunde. Jede Woche lässt er es reinigen, denn fast jedes Wochenende fährt er mit ihm nach Kroatien, in seine Heimat. Die Strecke ist weit und die Zeit knapp. Also drückt der Fahrer des Öfteren ordentlich aufs Gas und brettert mit 180 oder 200 Stundenkilometer über die Autobahn. Für Csaba heißt das: Den Reifenglanz darf er bei diesem Auto nur dünn auftragen, denn er wird infolge der hohen Geschwindigkeit auf die Karosserie geschleudert.
Das Reich der Freiheit
Gelernt hat Csaba Koch. Doch immer dann arbeiten, wenn andere frei haben, am Wochenende und an Feiertagen, das behagte ihm nicht. Dazu kamen die beengten Verhältnisse in der Küche. Die Halle der Waschanlage kam ihm im Vergleich dazu geradewegs wie ein Reich der Freiheit vor. Also tauschte er irgendwann endgültig die Küchenschürze gegen das Mikrofasertuch.
Was die Schaufel für den Bauarbeiter, das ist das Mikrofasertuch für den Autoreiniger. Das zentrale Arbeitsgerät. Eine der wenigen Regeln in dieser Branche lautet: Das Cockpit und die Fenster niemals mit demselben Tuch reinigen! Und für jedes Material ausschließlich ein dafür geeignetes Reinigungsmittel verwenden!
Csaba macht Handarbeit, im wahrsten Sinne. Wischen, saugen, klopfen. Er trägt feste Arbeitsschuhe, aber keine Handschuhe. Die seien nicht nötig, sagt er, denn in ihrer Waschanlage verwendeten sie nur biologische Mittel. Ausschlag an den Händen? Nein, kennt er nicht. Noch nie vorgekommen.
Drüben, vor der Waschstraße, tragen Csabas Mitarbeiter Gummistiefel. Sie arbeiten mit einer sogenannten Lanze, einem Hochdruckgerät, damit befreien sie die Autos vom gröbsten Schmutz. Das ist nötig, weil dieser Schmutz ansonsten unter Einwirkung der Bürsten in der Waschstraße zerrieben – und geradewegs wie Schmirgelpapier den Lack zerkratzen würde.
Im Sommer herrschen hier Verhältnisse wie in einer Sauna. Es ist heiß, und dazu kommt eine permanent hohe Luftfeuchtigkeit. Im Winter ist es anders, aber keineswegs besser. Da herrscht eine unangenehm feuchte Kälte. Man kann also sagen, dass die Arbeit hier gewissermaßen das genaue Gegenstück ist zur Arbeit in einem klimatisierten Büro.
Csabas Mitarbeiter sind großteils unter 30, mithin in einem Alter, da man diese widrigen Bedingungen noch gut wegsteckt. Sie arbeiten zwei Tage hintereinander, jeweils für zwölf Stunden, dann haben sie zwei Tage frei, so sieht hier der Schichtrhythmus aus.
Die Autowaschstraße kam bei uns in den 1960er-Jahren auf. Die in Wien-Penzing ist eine von aktuell etwa 20 Anlagen in Wien und besteht schon seit 40 Jahren. Ihr stolzes Alter ist ihr anzusehen, die Wände könnten ruhig mal wieder gestrichen werden. Andererseits: Da diese Anlage nicht auf modern tut, nicht auf falschen Schein, wirkt sie sympathisch. Die wirklich notwendigen Nachrüstungen, wie etwa zuletzt den Tausch der alten Filzbürsten gegen moderne Schaumstoffbürsten, die führt sie regelmäßig durch.
Einst musste die auf Sauberkeit bedachte Autobesitzerin selbst zu Kübel und Schwamm greifen, davon befreite sie die Waschstraße. Alle Arbeit erledigen da die Bürsten, während die Fahrerin einfach im Auto sitzen bleibt. Sie braucht nichts zu tun. Soll auch nichts tun. Ein Förderband transportiert das Auto von einem Abschnitt der Waschanlage zum nächsten.
Pudelnass
Doch neulich, erzählt Csaba, kam es wieder einmal zu einem Zwischenfall: Eine ältere Dame stieg mitten in der Waschanlage aus ihrem Auto. «Sie wurde pudelnass. Zum Glück nur das, wenn sie in das Förderband geraten wäre, hätte sie sich arg verletzen können.» Diese Dame geriet in Panik, als sie die Bürsten auf sich zukommen sah, von vorne und von der Seite. Durch die Waschanlage fährt man wie durch eine Art Tunnel – nichts für Menschen mit Platzangst.
Eine Alternative sind die sogenannten Portalanlagen, von denen es, meist angeschlossen an eine Tankstelle, unzählige gibt. Da bewegen sich die Bürsten um das stehende Auto – und der Fahrer, die Fahrerin wartet draußen.
Hochbetrieb, sagt Csaba, herrsche in seiner Waschanlage immer von Frühjahr bis Sommer, wenn Saharasand und Blütenstaub sich auf das geliebte Blech legen. Im Winter sei eher Flaute: «Da kommen die Leute nur, um den Unterboden vom Salz zu befreien. Eine Wäsche machen sie kaum, denn wenn sie aus der Waschstraße fahren, auf die verschmutzte Fahrbahn, ist ihr Auto bald wieder dreckig.»
Zwei Stunden hat Csaba an dem Van gearbeitet. Nun wird er mit der Innenreinigung fertig. Als Letztes kommen die Fenster dran, wie immer, auch dies eine goldene Regel in dieser Branche. Er fährt das Auto nach draußen, bei Sonnenlicht erfolgt die letzte Überprüfung. Alles muss picobello sein, so wünscht es der Kunde.
Bücken, strecken, wischen. Die Innenreinigung ist ein wahres Fitnessprogramm. Bei permanentem Lärmpegel. Und trotzdem: Csaba versichert glaubhaft, dass die Arbeit für ihn vor allem Entspannung bedeutet: «Ich kann dabei herrlich abschalten. Das ist Routine für mich, ich denke währenddessen an alles Andere, nur nicht an die Arbeit.» Jedenfalls bis es wieder für ihn heißt, zwischen zwei Streithähne zu gehen.