Mit Leidenschafttun & lassen

Augustinverkäufer Rudi

Zum Augustin bin ich 2005 gekommen, davon erfahren habe ich schon früher. Ich war im Berufsleben, habe ein Haus gebaut, habe nach zwei Scheidungen ein Alkoholproblem gehabt und war auf Therapie in Ybbs. Dort habe ich jemand kennengelernt, der hat mir vom Augustin erzählt. Mir hat das gefallen. Damals hätte ich mir nie gedacht, dass ich das Angebot des Augustin je in Anspruch nehme. Zwei Jahre später, als ich dann leider wieder ziemlich dem Alkohol zugetan war und ohne Job, habe ich beim Augustin angerufen und wurde vorstellig. Ich wollte das als Übergang machen. Ich war zu der Zeit felsenfest überzeugt, dass ich ins normale Berufsleben zurückkehren werde. Diese Einstellung der Übergangslösung hat dazu geführt, dass ich am Anfang fast nichts verkauft habe, weil ich mich genierte. Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich mich damit abgefunden habe, dass die Arbeitswelt mich nicht mehr braucht. Ich war in der Computerbranche. Wenn du dort zwei Jahre weg bist, kannst du es vergessen. Außerdem war ich nicht mehr gesund genug. Das Augustin-Verkaufen habe ich dann so gestaltet wie in meinem Beruf – ich war im technischen Vertrieb –, und von dem Moment an, wo ich zu diesem Produkt gestanden bin und mit Leidenschaft verkaufte und mit Überzeugung, hat es auch funktioniert.
Eines ist mir sehr wichtig, nämlich dass das Projekt mehr ist als nur der Zeitungsverkauf. Dass da die Möglichkeit geboten wird, Hobbys nachzugehen, soziale Kontakte zu haben, Freundschaften zu knüpfen. Es gab die Schreibwerkstatt. Es gibt die Theatergruppe 11% K.Theater, Tischtennis und all das hat mir auch geholfen, nicht weiter exzessiv zu saufen, das muss man nicht schönreden. Weil da Freundschaften entstanden sind und Hobbys abseits vom Wirtshaus.
Ich bin zur Theatergruppe gekommen, und der Regisseur, der Andi (Hennefeld), hat mir zuerst die Traude vorgestellt und mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, im nächsten Stück ihren Ehemann zu spielen. Es ist zwar im Stück nicht gut ausgegangen, aber so haben wir uns kennen und lieben gelernt. (Traude war Augustinerin in Ausgabe 405, Anm.) Ich schreibe auch Rezensionen für die KulturPASSage im Augustin.
Was mir auffällt, ist, dass in meinen Anfängen beim Augustin die Zeitung sehr oft aus Mitleid gekauft wurde. Und heute oder vielleicht speziell in meinem Verkaufsgebiet – ich bin am Naschmarkt –, da gehört es fast zum guten Ton, diese Zeitung zu haben. Die Zeitung wird nicht erworben aus Mitleid, sondern weil es wirklich eine gute Zeitung ist. Sie ist sehr beliebt und – das habe ich nicht nur einmal gehört – die beste Zeitung des Landes.
Selbst wenn es jetzt geschwollen klingt, das was hier geboten wird, ist schon auch ein Reichtum, nämlich die Möglichkeit, hier Stunden zu verbringen, sich Rat zu holen bei den Sozialarbeiter_innen, die Freizeitgestaltung. Wenn du so einen Absturz hinter dir hast, wie ich ihn gehabt habe, sich trotzdem wieder irgendwo auf einer Mittelebenen einzupendeln und sich wohlzufühlen, hat sehr viel mit dieser Organisation zu tun.

Protokoll: Jenny Legenstein