Lokalmatadorin
als Bibliothekarin in der Hauptbücherei Wien.
Es herrscht buchstäblich ein Gewusel auf dem Kinderplaneten Kirango im 3. OG (im dritten Obergeschoß). Kirango ist vielleicht mehr ein Spaceshuttle als ein Planet. Auf alle Fälle ist Kirango ein Zusatzangebot der modernen Hauptbücherei. Bücher, Hörbücher, Videos, DVDs, Computer-Spiele auf CD: Vieles, was der junge Mensch von heute für die Schule und noch mehr fürs Leben braucht, wartet hier, entdeckt, entlehnt und entschlüsselt zu werden.
Noch etwas macht den kleinen Planeten, der über dem urbanen Urban-Loritz-Platz und der darunter frei gelegten U-Bahn-Station zu schweben scheint, so anziehend: Es sind die netten Erwachsenen, die beim Entdecken, Entlehnen und Entschlüsseln helfen, die auch zuhören, wenn wo der Kinderschuh drückt. Und der drückt oft. Nur wenige Schritte von der zentralen Bücherei entfernt, fanden jene Zuwandererfamilien ein neues Zuhause, die ihren Kindern weder Reichtum noch üppig Aufmerksamkeit bieten können. Die Kinder kommen aus armen Verhältnissen.
Mitten drinnen im Gewusel, an der Informationstheke, sitzt Beate Wegerer, die in sich ruhende und auf ihr Team vertrauende Abteilungsleiterin auf Kirango. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass so eine städtische Bücherei vieles in sich birgt. Auch sie hat viele Stunden ihrer Kindheit und Jugend mit Büchern verbracht. Als Schülerin konnte sie in der Zweigstelle in der Zirkusgasse unzählige Aha-Erlebnisse für sich verbuchen. Als ausgebildete Bibliothekarin war sie dann buchstabengetreu hinter der Budel selbst für die Verbuchung zuständig.
Schon mit 19 wollte Wegerer in einer Bücherei arbeiten: Ich hatte schon damals das Gefühl, dass einem zwischen den Büchern zahlreiche Entfaltungsmöglichkeiten geboten werden. Dieses Gefühl sollte nicht trügen. Nach ihren Lehrjahren draußen in Mauer und mehr als ein Dutzend Lernjahren in den Zweigstellen in der Neustift- und ihrer lieb gewonnenen Zirkusgasse erlebte sie den Umzug der Hauptbücherei live mit. Von der Skodagasse in das neugebaute Raumschiff am Gürtel. Eine absolut spannende, auch anstrengende Phase meines Berufslebens.
In den Untergeschoßen des Raumschiffs, dort, wo nur die Mitarbeiter Zutritt haben, stapeln sich täglich Bücher, die zurückgebracht wurden und alsbaldig wieder in die Regale gestellt werden müssen. Eine Sisyphus-Arbeit für die hier Beschäftigten. Kaum steht ein Titel dort, wo er hingehört, wird er schon wieder ausgeborgt. Bücher wie Büchereimitarbeiter gehen hier unentwegt im Kreis.
Die 43-jährige Abteilungsleiterin ist keine, die wegen Kleinigkeiten jammert. Die tägliche Arbeit mit Büchern, mit Medien, wie man heute in Anspielung auf das digitale Angebot sagt, sei für sie in hohem Maße inspirierend. Wobei sie mancher allzu romantischen Vorstellung widersprechen möchte: Zeit zum Lesen habe ich persönlich nur am Wochenende und im Urlaub. Auch das alte Klischee vom verstaubten Beruf, vom weltfernen Bücherwurm will sie so nicht stehen lassen: Wir haben doch hier täglich mit Menschen zu tun.
Gerade sind im Untergeschoß der großen Bücherei die Kataloge der Buchverlage eingetroffen, fürs kommende Frühjahr. Kurzfristig mutieren daher die Bibliothekare zu Buchhaltern. Zu entscheiden haben sie: Welche Neuerscheinungen müssen unbedingt angekauft werden? Welche Bücher sollte man zudem haben? Angesichts der Riesen-Flut an Neuem und der vorgegebenen Budgetmöglichkeiten hat alles auch Grenzen. Frau Wegerer kann die Entlehner jedoch beruhigen: Nach der wirklich großzügigen Investition in dieses Gebäude wird wenn, dann eher beim Personal als bei der Hardware gespart.
Kein konfliktfreies Thema, auch innerhalb der Stadtverwaltung: Vier Mal sei man zuletzt evaluiert worden. Dabei wurde auch mit der Stoppuhr gemessen, wie lange ein Entlehnvorgang dauert. Doch was all die Evaluierer vielleicht nicht bis ins letzte Detail herausarbeiten konnten, ist die Tatsache, dass eine Bibliothek softer zu bewerten ist als eine Autofabrik.
Die erfahrene Mitarbeiterin erzählt: Wenn wir den Kindern nach der Schule ein Stück Heimat bieten, wenn ältere Menschen bei uns auch ihre Krankengeschichte loswerden können, dann ist dies auch eine wichtige Qualität der Bücherei. Eine Qualität, die nicht in Stückzahlen bzw. in Kundenabfertigungen pro Minute gemessen werden kann.
In der Hauptbücherei zeichnet sich indes die Bankomatisierung der Dienstleistung ab. Manches driftet dabei Richtung soziale Abkühlung ab, Richtung Bankomat vor der Bank oder Quick-Check-in auf dem Flughafen. Um das Personal für andere, qualitativ hochwertigere Arbeiten einsetzen zu können, so das offizielle Wording, wurden eigene Geräte für Selbstverbucher eingerichtet. Zuhören können diese nicht, Empfehlungen abgeben können sie auch nicht.
Das Resümee der Bibliothekarin ist dennoch nicht bitter, im Gegenteil: Früher waren die Büchereien ein bisserl eine verschlafene Angelegenheit, heute sind sie Teil einer dynamischen Entwicklung. So hätten auch die kleinen Zweigstellen von der neuen Hauptbücherei profitiert. In Wien war ihnen ja vor ein paar Jahren noch der sichere Tod vorausgesagt worden.
Infos: www.buechereien.wien.at.