«Mit Mitte 50 bin ich Chefin der Burg»Artistin

Eine Bühne für alle

«Das Recht geht von der Volksbühne aus. Die Volksbühne sind wir», stellt sich die Volksbühne Wien als ­Motto voran. Ruth ­Weismann (Interview) und Marion ­Wagner (Fotos) haben Intendantin ­Clara Gallistl zum Gespräch getroffen.

Seit September gehören manche Donnerstage im Keller des Café Benno der Volksbühne. Im Benno, im 8. Bezirk, treffen sich Brett- und Kartenspielfans zum gepflegten Spieleabend. Die Volksbühne Wien setzt dem noch ein Spiel drauf. Gegründet von der 28-jährigen Dramatikerin Clara Gallistl, bringt das Theater Eigenproduktionen und Gastspiele. Genregrenzen gibt es nicht, nur jene, die finanzielle Mittel und Raumgröße vorgeben.


Wie kamst du auf die Idee, dein eigenes Theater zu gründen?

Ich habe viel im Theaterkontext gearbeitet. Im Burgtheater und in der freien Szene. Ich kenne auch genug Leute, die im Theater arbeiten, und habe dadurch festgestellt, dass es viele Missstände gibt.

Welche Missstände sind das?

Zum Beispiel werden Hierarchien oft nicht diskutiert, etwa weil man eh nur für eine Produktion zusammenarbeitet und dann nicht mehr darüber spricht. Dann gibt es viel Ausbeutung von jungen Leuten, Ausbeutung von Frauen, absurde intellektuelle Linksrassismen, etwa dass jemand sagt: «Wenn wir nichtweiße Schauspieler_innen besetzen, dann muss das eine symbolische Bedeutung haben, deswegen nehmen wir keine.» Oder man putzt sich ab und sagt, die Schauspielschulen würden ja keine nichtweißen Schauspieler_innen liefern.

Und du dachtest dann, jetzt mache ich mein eigenes Ding?

Als ich an der Burg als Dramaturgie-Assistentin gearbeitet habe – da war ich 21 und relativ unbedarft –, sagte der damalige Leiter Matthias Hartmann mal zu mir: «Du läufst durch die Gänge, als ob du die Chefin wärst.» Und ich dachte: Warum eigentlich nicht? Seitdem habe ich das Bild von mir, dass ich mit Mitte 50 Burgchefin bin. Und dann dachte ich auch, ich kann jetzt ständig prekär arbeiten, von Assistenz zu Assistenz hüpfen, mich von alten Typen begrapschen lassen und unter Druck setzen lassen von Kolleg_innen, die meinen, man könne nichts verändern, weil Theater sei einfach so. Oder aber ich probiere mal aus, selbst Intendantin zu sein.

Warum gerade im Café Benno?

Vor drei Jahren habe ich für das Festival paraflows ein Stubenstück konzipiert, das wir in verschiedenen Wirtshäusern gespielt haben. Das lief hier im Benno total gut. Robert, der Chef vom Benno, hat mich dann gefragt, ob ich nicht regelmäßig etwas machen möchte. Ich habe herumgefragt, ob es Leute gibt, die ähnliche Vorstellungen davon haben, wie man Theater machen kann, und habe mit zwei Freundinnen, Verena Humer und Sarah Hellwagner, einen Verein gegründet.

Wie sehen diese Vorstellungen vom Theatermachen aus?

Wir haben einen Grundsatz: Arbeite nur so lange du dich wohlfühlst. Das heißt gleichzeitig aber auch, dass man sich selbst so lange herausfordern soll, und dass jede Person Verantwortung für die eigene Arbeit übernimmt. Und ich setze sehr viel auf Kommunikation und Diskussion. Auch weil ich nicht viel Geld zahlen kann, aber auch wenn ich es könnte, dann würde ich das transparent halten. In großen Theatern weiß niemand, wie viel die anderen verdienen. Es ist auch oft unklar, wie die Leute zueinander stehen. Und es ist allgemein emotional ausbeuterisch, natürlich auch deswegen, weil man sehr mit seinem Selbst arbeitet. Da ist wenig Schutz. Und da passieren manchmal hässliche Sachen, wenn jemand sich nicht wohl fühlt in einer Produktion, und dann kostet die aber ein Vermögen. Da wird dann schnell Druck aufgebaut. Die früheren Intendant_innen waren immer so die großen Künstler_innen mit Vision, jetzt sagt man, dass immer mehr Manager_innen kommen. Ich glaube, man kann einen guten Mittelweg finden, indem man künstlerisch Ahnung hat, gut organisieren kann, aber auch mit den Leuten, mit denen man arbeitet, ein Team baut. An großen Häusern ist es aber zum Beispiel oft so, dass das künstlerische Personal nichts mit dem technischen Personal zu tun hat. Mitsprache, glaube ich, ist aber sehr wichtig und hat nichts mit der Größe des Theaters zu tun.

Trotzdem bist du jetzt quasi die Chefin.

Gänzlich basisdemokratisch kann ein Theater, glaube ich, kaum funktionieren. Basisdemokratie ist ein Ideal, aber Hie­rarchien gibt es immer, auch wenn sie informell sind.

Was hat es mit dem Namen Volksbühne auf sich?

Ich habe es so genannt, weil ich denke, dass das Wort Volk vielen Leuten etwas bedeutet, etwas heißt für sie. Und ich finde einfach Gruppen schön und sich zu Hause fühlen schön. Ich sage gerne, ich bin Wienerin, fühle mich aber auch in Oberösterreich, wo ich herkomme, zu Hause. Es gibt viele Menschen, die sich da wohlfühlen, aber die sind nicht alle Kinder von mehrheitsweißen Österreicher_innen. Und da denke ich, kann man sich den Begriff Volk einfach aneignen, für eine diverse Gruppe. Also nicht so, wie das sonst verstanden wird.

Es schwingt dabei ja auch die Geschichte des Theater-Begriffs mit, der aus dem 18. Jahrhundert stammt: Volkstheater als Theater für das Volk, im Gegensatz zum Theater für Klerus und Adel. Oder im Sinne von Laientheater …

Ja, genau. Ich positioniere mich allerdings nicht explizit gegen, zum Beispiel, das Burgtheater. Aber ich kenne einige Leute, die sagen, sie gehen nicht ins Theater. Wenn ich ins Fußballstadion gehe – ich bin ja Rapid-Fan – und mit Freund_innen spreche, die dort auch hingehen, dann höre ich manchmal Sätze wie: «Weißt eh, ich kenne mich mit Theater nicht aus, das ist nichts für Leute wie mich.» Die interessieren mich. Die Volksbühne ist nicht wie ein Dramatiker_innenstipendium, auf das man im Sprachkunststudium hinarbeitet. Mir geht es nicht darum, mit der Volksbühne Anerkennung von der deutschsprachigen Theaterszene zu bekommen. Was schon auch cool wäre, aber vorrangig ist, dass es inklusiv ist. Ich arbeite viel mit Laien, es ist mir wichtig, dass Leute, die viel ins Theater gehen, und Leute, die wenig oder nie gehen, gemeinsam etwas finden, das ihnen taugt. Einmal im Monat haben wir ein offenes Arbeitstreffen, da können alle kommen, die möchten.

Wie setzt ihr die Diversität um?

Das haben wir bei der ersten Produktion «Kreuzerl machen» gleich so ausprobiert, da waren Vollprofis und Laien dabei. Wir hatten fünf Texte von jungen Dramatiker_innen, die extra dafür geschrieben haben, aber es ging auch bei den Texten darum, dass einfach ausprobiert wird. Die Vorgabe war, für fünfzehn Minuten einen Text zu produzieren über die Situation, wenn man in der Wahlkabine ein Kreuzerl macht. Das war anlässlich der Bundespräsidentschaftswahl letztes Jahr. Und in Linz arbeite ich gerade am Projekt «Perspektiven des Alltags – Neues Oberösterreich», mit 20 ­Linzer_innen, die Ursprünge in 18 verschiedenen Ländern haben. Es sind alle Kontinente vertreten, außer Australien. Wir entwickeln gemeinsam ein Stück, gerade haben wir mit der Schreibwerkstatt begonnen.

Wie finanziert sich die Volksbühne?

Im Moment nur durch freiwillige Spenden. Aber wenn wir wollen, dass es weitergeht, und auch, dass wir einen Proberaum mieten können und den Leuten etwas zahlen, dann brauchen wir mehr Geld.

Was fasziniert dich am Theater generell?

Es ist für mich die schönste Kunstform. Du bist da, die Leute sind da, es ist unmittelbar, und man kann danach einfach miteinander reden. Es haben sich schon so nette Gespräche ergeben, das ist super. Und ich habe schon erlebt, dass sich Leute, die in der Theaterszene arbeiten, nach einer Produktion der Volksbühne hier ganz offen über ihre Arbeit unterhalten. Nicht wie ich das sonst kenne, dass man zurückhaltend ist, weil man sich fragt: wer kennt hier wen? Bei Premierenfeiern zum Beispiel finde ich das manchmal anstrengend, dass man zuerst immer mal abcheckt: Wer ist wer? Wer kennt wen? Und ich schaue halt, dass das hier nicht so ist.

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