Ein Wein- oder Waldviertler aus dem Paralympics-Team: Martin Würz
Er ist 1,90 Meter groß, 20 Jahre jung, liebenswürdig, freundlich, bescheiden und ein kluger Mensch. Er nahm im März an den Paralympischen Spielen in Sotschi teil. Derzeit, im Juni, ist die Waldviertelstadt Horn jener Ort, wo die Chance, ihn zu treffen, am größten ist. In einer Sporthalle trainiert er sechsmal die Woche täglich drei Stunden Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit. Der Augustin plauderte mit dem Paralympics-Schirennläufer und TU-Studenten Martin Würz.Die österreichische Mannschaft, die im neuen Olympiastadion in Sotschi frenetisch begrüßt wird, ist ein kleines Team. Von den 13 Leuten sitzen einige im Rollstuhl, einige tragen Hand- oder/und Beinprothesen. Selbstbewusst stellt sich die Gruppe den großen Herausforderungen eines olympischen Wettkampfes. Unter ihnen Martin Würz, hineingeboren in eine Landschaft, die in keiner Weise prädestiniert ist für eine außergewöhnliche Schirennfahrerkarriere. Nein, Maissau, wo Martin seine Kindheit und Jugend verbringt, liegt an der Grenze zwischen Wein-und Waldviertel, und die Gletscher befinden sich nicht vor der Haustüre.
Wie wäre sein Leben verlaufen, hätte sich nicht im Mai 2007 beim unachtsamen Spiel mit Raketen – und das nicht einmal zu Sylvester – das Unglück ereignet, das Martin zu einem behinderten Menschen machte? Er ist gerade erst 13 Jahre alt, der linke Unterarm ist so arg zugerichtet, dass es dem Ärzteteam im Wiener AKH auch nach sieben Operationen nicht gelingt, den Arm zu retten. Martin fällt nicht in ein schwarzes Loch, nicht in Depressionen und Verzweiflung. Nach sechs Wochen Rehabilitation im «Weißen Hof» bei Klosterneuburg ist er so weit, dass er in den letzten beiden Wochen sogar noch den Abschluss der 4. Klasse der Hauptschule in Ravelsbach mit guten Noten schafft.
In dieser Zeit fällt er eine weitreichende Entscheidung. Noch während seines Aufenthalts im „«Weißen Hof» nimmt ein Trainer des Niederösterreichischen Versehrtensportvereins mit ihm Kontakt auf, und im Dezember steht Martin in Lackenhof schon auf den Schiern. Ohne Prothese. Er fährt mit nur einem Stock, konzentriert sich auf zwei Disziplinen, Slalom und Riesentorlauf. Die Trainingskurse sommers und winters nehmen viel, sehr viel Zeit in Anspruch. Trotzdem besucht Martin die fünfjährige HTL in Hollabrunn, hat zwar die meisten Fehlstunden, schließt aber mit den besten Noten ab. Im darauffolgenden Wintersemester inskribiert er Maschinenbau an der TU Wien.
Selbstentwickelte Prothese
Das Ziel, «in Sotschi dabei zu sein», ist die große Motivation, die ihn antreibt, alle Hürden zu nehmen. Das Vorspiel von Sotschi: Für die Weltmeisterschaft im spanischen La Molina 2013 wählt das Komitee sechs Sportler aus. Unter ihnen ist Martin Würz. Das österreichische Team gewinnt unter 13 Nationen Gold. Und dann ist es soweit. Er sitzt tatsächlich im Flugzeug, Direktflug Wien -Sotschi. Im Gepäck acht Paar Schi nur für ihn, Trainer, Psychologen, Ärzte stehen zur Verfügung. Der Empfang im Olympischen Dorf, die jubelnden Fans beim Eröffnungsfest im Stadion sind gewaltige Momente in seinem Leben. «Da wusste ich, warum ich das alles auf mich genommen habe.»
Die Sommer sind kurz für einen Spitzenschisportler. Ab September heißt es wieder: Schitraining von Donnerstag bis Sonntag, Woche für Woche. Zunächst in Gletscherregionen, dann in tieferen Lagen. Das heißt dann Aufstehen um 6 Uhr, um 7 Uhr am Lift sein, drei bis vier Stunden hartes Trainieren, danach Analyse der Videoaufnahmen in der Gruppe. Das Zimmer teilt Martin Würz meistens mit Markus Salcher aus dem Kärntner Gailtal. Dessen Behinderung zeigte sich schon bei der Geburt. Zu geringe Sauerstoffzufuhr ins Gehirn führte zu einer halbseitigen Lähmung. Salchers außerordentlicher Kampfeswille und der große Erfolg in Sotschi – er gewinnt dort zwei Goldmedaillen – sind für den um zwei Jahre jüngeren Martin ein zusätzlicher Ansporn. Sie sind inzwischen auch enge Freunde geworden.
Was hat Martin Würz vor allem lernen müssen? «Geduld! Viel mehr Geduld für die alltäglichen Verrichtungen.» Beim Radsport verwendet er eine selbstentwickelte Prothese, auch beim Autofahren und im Sommertraining. Dafür gibt es eine Prothese mit Sensoren, die auf Muskelkontraktionen reagieren. «Und Schuhbänder knüpfe ich mit Hilfe des zweiten Fußes», sagt er. Selbstmitleid schwingt in allem, was er sagt, nicht mit.
Hat er Pläne für die Zeit nach 35, wo es mit dem Schirennfahren ziemlich definitiv zu Ende ist? Vielleicht selbst Trainer im Behindertensport sein? Nein, dann eher Maschinenbautechniker in der Privatwirtschaft. Denn das Studium geht weiter. Diszipliniert sitzt er von Montag bis Mittwoch in den Vorlesungen an der TU in Wien. Eine ziemlich solide Lebensführung abseits seiner Obsession Schirennen fällt ihm nicht schwer. Für ausgedehnte Discobesuche ist keine Zeit. Und die geliebte Freundin hat für all das Verständnis, ist sie doch selbst eine begeisterte Sportlerin.
Reisen? Ja, jetzt nach der ersten so schönen Begegnung mit Russland im Sommer nach St. Petersburg. Mit wem? «Mit meinem Freund Markus Salcher!»