«Mit Stil»vorstadt

Lokalmatadorin Nr. 302

Brigitte Rieser war 50, als man ihr kündigte. Als freischaffende Gartenberaterin versucht sie nun, im Großraum Wien Fuß zu fassen. Ihr Geschäftsmodell ist buchstäblich bodenständig: «Ich fahre zu meinen Kunden und gebe ihnen an Ort und Stelle Tipps, wie sie ihre Gärten interessanter gestalten können.» Eine schöne Idee, die vor allem in Zeiten von Urban Gardening ihr Publikum finden sollte.

Dass man die Blätter, Blüten und Wurzeln vom Ziguri (vulgo Löwenzahn) in den Salat tun kann, gut, das war klar. Dass dazu auch die Blätter, Blüten und Knospen vom Rockerl (vulgo Gänseblümchen) schmecken, war dann schon nicht mehr so klar. Und ganz offen stand uns der Mund beim Veigerl (vulgo Veilchen, lat. Viola odorata).

Wenn Brigitte Rieser über die chemisch nicht behandelte Wiese in einem Wiener Kleingarten schwebt und uns Gringos erklärt, was man von dieser Wiese alles essen kann, schwingt auch ein geschmeidiges Lebensgefühl mit. Der Garten und sie – das ist mehr als nur Gartenarbeit. Das ist eine lebenslange, innige Beziehung.

 

Brigitte Rieser, 52, hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. «Nicht aus freien Stücken.» Sie hat 18 Jahre lang bei der OMV als Geologin und Geophysikerin gearbeitet. «Mit großer Leidenschaft.» Gleichzeitig hat sie ihren geliebten Garten in Mitterndorf an der Fischa betreut. Doch dann, vor drei Jahren, lief ein internes Projekt aus, das sie betreut hat, und wurde nicht mehr verlängert. «Für mich war kein Platz mehr.»

Die Ausgemusterte sagt das so: «Die Firma hat sich nicht schäbig verhalten. Dennoch war das nicht lustig. Ich hätte gerne noch ein paar Jahre länger in meinem ersten Beruf gearbeitet.» Dann sagt sie: «Man kann im Leben mehr als eine große Liebe haben.» Und dann, lächelnd: «Immerhin bin ich ja bei der Erde geblieben.»

 

Auch war Rieser im Vergleich zu vielen Gleichaltrigen im Vorteil. Der Verlust ihres Arbeitsplatzes traf sie nicht unvorbereitet: «Ich war schon mitten drinnen, aus meinem geliebten Hobby ein zweites berufliches Standbein aufzubauen.» Sie hat am Horticultural Correspondence College, einer traditionsreichen englischen Hochschule für Gartenbau außerhalb Londons, ein Fernstudium mit Erfolg abgeschlossen.

Als freischaffende Gartenberaterin versucht sie nun, im Großraum Wien Fuß zu fassen. Ihr Geschäftsmodell ist buchstäblich bodenständig: «Ich fahre zu meinen Kunden und gebe ihnen an Ort und Stelle Tipps, wie sie ihre Gärten interessanter gestalten können.» Eine schöne Idee, die vor allem in Zeiten von Urban Gardening ihr Publikum finden sollte.

 

Rieser ist eine spätberufene neue Selbstständige – und damit kein Einzelfall. Mehr als 5000 ihrer Landsleute, älter als 50, haben im Vorjahr als Ich-AG neu begonnen. Das ist laut einer Statistik der Wirtschafskammer bereits jeder/jede Fünfte. Ob sie am Ende von ihrer neuen Arbeit leben können, verrät uns die Statistik nicht. Bleibt auch mit der notwendigen Skepsis abzuwarten. An Engagement und Kreativität fehlt es den älteren Jungunternehmer_innen jedenfalls nicht.

 

Auch heute hat die Mutter von drei erwachsenen Söhnen ihre Kamera dabei, um damit geniale Momente der Flora und Fauna festzuhalten. Den Fokus richtet sie jetzt auf die Rapunzelglockenblumen (lat. Campanula rapuncoloides). «Der Garten», meint sie beim Fotografieren, «ist für mich ein Kraftort, der mich beruhigt». Das sei schon in ihrer Kindheit so gewesen, die sie zum Teil auf der Wienzeile und zum Teil auf dem Land verbracht hat.

 

Positiv stimmt sie bei ihrer neuen Arbeit: «Ich bin heute mein eigener Chef, kann alles selbst bestimmen. Das ist in einem großen Konzern nur eingeschränkt möglich.» Was noch auf ihrer Haben-Seite steht: Sie hat – abgesehen von der Betreuung ihrer Homepage, Weiterbildung und Fahrtkosten – keine größeren Ausgaben. Dennoch rechnet Rieser damit, dass sie von ihrem Ein-Frau-Unternehmen frühestens im fünften Betriebsjahr wirklich leben kann. Ohne Wenn und Aber fügt sie hinzu: «Was ich hier mache, das ist meine Arbeit, das ist kein Hobby. Irgendwann muss sich das auch bezahlt machen.»

 

Die Erfahrung der ersten Jahre hat sie gelehrt, dass selbst das beste Konzept und viel eigenes Engagement nicht genügen: «Man braucht finanzielle Rücklagen sowie den Rückhalt der Familie.» In ihrem Fall sind das ein verständnisvoller Mann und ihre drei Söhne. Darüber hinaus musste sie feststellen: Mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit frisst noch immer eine Tätigkeit auf, die zurückhaltenden Menschen wie ihr wenig Freude bereitet: «Ständig muss man die Welt darauf aufmerksam machen, dass es mich als Firma gibt.»

 

Am Ende lobt Brigitte Rieser ihr Selbstständig-Sein nicht über den grünen Klee: «Es gibt auch Tage, da denkt man sich, die Rechnung wird nie aufgehen.» Doch dann schneit zum Glück ein neuer Auftrag herein. So oder so, an ihrer Einstellung zum Beruf hat sich wenig geändert: «Entweder komme ich mit wehenden Fahnen ins Ziel, oder ich gehe mit Stil unter.» Weder das eine noch das andere zeichnet sich im Moment ab.

Die Schüssel für den Salat hat sich schnell gefüllt. Alles öko, alles bio. Jetzt noch ein paar gekochte Erdäpfel dazu, und der Salat ist gemacht. Achtzig Prozent ihrer Kundschaft sind Frauen, sagt die Gartenberaterin. Und die sind zu hundert Prozent wissbegierig. Nähere Infos zu ihren «Klasse im Garten»-Workshops unter Tel.: 0 680 208 05 63 bzw. www.klasse-im-garten.at. Dort finden sich auch ihre professionell fotografierten Ansichten aus mittlerweile 70 Parks und Gärten.

Die Lokalmatadore erscheinen seit dem Jänner 2000 im Augustin. Das gleichnamige Porträtbuch gibt es noch bei: buchhandlung-frick.at, thrillandchill.at, buecheramspitz.com.