Martin Schenk im Augustiner_innen-Porträt
Ich denk, die sozialpolitisch dringendste Frage ist im Moment, wie man verhindert, dass in Österreich ein Billiglohnsektor eingeführt wird. Der Angriff auf die Mindestsicherung und die Arbeitslosenversicherung sind Teil von diesem Projekt. Die Fluchtbewegung nach Europa wird innen zur Desintegration genützt und missbraucht: Abbau von Sozialleistungen, Sozialschmarotzerkampagne, Hartz IV für Österreich.
Foto: Mario Lang
«Flüchtling» wird gesagt, gestrichen wird aber bei allen – wie bei der Wohnbeihilfe für Behinderte oder Familien mit Kindern. Ein gemeiner Trick! Wir brauchen genau das Gegenteil: ein sozial integrativeres Europa. Das wird mit so einer nationalistischen Zerstörungspolitik, wie die Regierungen von Österreich, Großbritannien, Polen sie betreiben, torpediert. Das Problem ist, dass die politisch verantwortlichen Eliten das europäische Projekt als einseitig neoliberales und autoritäres Austeritätsprogramm vorangetrieben haben und die zarten Pflänzchen für ein sozialeres und demokratischeres Europa verkümmern lassen. Man versteht, dass die Leute das Vertrauen verloren haben. Die Nationalstaaten werden die Herausforderungen aber allein nicht bewältigen, im Gegenteil. Europa wird sozial sein oder nicht mehr sein.
Ich bin im Weinviertel und in Wien aufgewachsen. Meine Eltern haben beide gearbeitet, und wenn ich krank war oder Ferien hatte, war ich bei Oma und Opa draußen am Land. Das war eine große Freiheit, ich bin in der Früh aus dem Haus und am Abend zurück. Und das ist mir bis heute wichtig: Freiheit.
Ich habe Psychologie studiert, daneben wohnungslose Jugendliche in den Anfangszeiten der Gruft begleitet und dann, in der Entstehungszeit vom Augustin, bei Hemayat gearbeitet. Das wurde von Freund_innen gegründet, die sich damals, als viele Flüchtlinge aus Jugoslawien hier waren, mit Traumapsychologie beschäftigt haben. Wir waren – ähnlich wie viele Leute heute – als Freiwillige aktiv, im leerstehenden Alten AKH, wo bosnische Familien untergebracht waren.
Zum Augustin bin ich gekommen, weil wir Wissen aus dem sozialen Bereich präsentieren wollten, das im Mainstream nicht vorkommt. Erst wurde daraus ein Sendungskonzept für Radio Augustin, dann die Kolumne in der Zeitung und jetzt produzieren wir auch Augustin-TV-Sendungen. Ich lade zu sozialpolitischen Themen Männer und Frauen ein, die davon im Alltag betroffen sind und solche, die sich das wissenschaftlich anschauen. Mir ist wichtig, dass verstanden wird, was gesagt wird. Ich mag die kokette Ablehnung gegenüber dem «Volk», gegenüber der Mehrheit nicht. Die Depperten sind nicht die anderen. Entscheidend ist: Wo man steht, das bestimmt die Perspektive. Darum ist es wichtig, dass dieser Ort halbwegs «unten» ist, ich lerne vom Rand zu sehen und von dort in die Mitte und nach oben hin zu agieren. Das sind auch die Prinzipien der Armutskonferenz, die ich in den 1990er Jahren mitgegründet habe. Und dasselbe verfolge ich in meiner Arbeit in der Diakonie. Wir machen dort Grundlagenforschung für die soziale Arbeit: Was erleben die Leute in der Sozialarbeit, der Pflege, dem Streetwork, welche Erfahrungen kann man verallgemeinern und was muss man tun, um die Situation zu verbessern? So entwickeln wir Maßnahmen, und manchmal haben wir damit auch Erfolg: Zum Beispiel wurde auf unseren Vorschlag hin die E-Card für alle eingeführt und der stigmatisierende Krankenhilfeschein abgeschafft.
Früher hat man in der Sozialarbeit an dieses Dreieck aus Täter, Opfer und glorreichem Helfer geglaubt. Heute haben schon viele erkannt, dass alle Akteur_innen sind. Ich glaube, zu dieser Reflexion haben auch die Straßenzeitungen ihren Beitrag geleistet.