Mixing Pop & PoliticsArtistin

Pop-Poet Billy Bragg kommt nach Wien

1987 in der Längenfeldgasse, 2017 im WUK. Am 12. August dieses Jahres spielt der englische Musiker Billy Bragg wieder in Wien. Rainer Krispel führte im Vorfeld ein Telefonat mit dem ungebrochen relevanten politischen Pop-Poeten.

Foto: Theo Michael

Als es gilt, Bilder für diese Geschichte zu finden, reicht ein Posting im sozialen Netzwerk. Schon finden sich: ein Ticket von Braggs erstem Wien-Konzert, vor gut 30 Jahren in der Berufsschule Längenfeldgasse, eine signierte Set-List des Konzerts im Flex, Juni 2012, und Fotos vom Auftritt ebendort. Billy Bragg lässt die Menschen eben nicht kalt, auch auf dieser Ebene bringt der 1957 in Barking, Greater London geborene Musiker Menschen zusammen.

One man Clash

Braggs vernehmbares musikalisches Leben beginnt 1979 mit der Band Riff Raff. Das Gitarrespielen hatte er sich mit Bandkollegen und Freund Philip Wigg aka Wiggy erarbeitet. Die klassischen Songkataloge von Bands wie Small Faces, Faces oder Stones wurden studiert, auf das beginnende Songwriting hatten Folk und Künstler wie Simon & Garfunkel oder Bob Dylan nachhaltigen Einfluss, der Aufbruchs- und Widerspruchsgeist des Punk tat mit der Leidenschaft für Poesie und Literatur ein Übriges, seine künstlerische Vision zu formen. Der Mann, der später als «one man Clash» bezeichnet wurde, sieht Joe Strummer und Genossen beim Auftritt im Londoner Victoria Park 1978. Der Kontext des Konzerts – Rock against Racism – erweist sich als prägend für Braggs Kunst. Politischer Aktivismus und linkes politisches Bewusstsein sind untrennbar mit seiner Musik verbunden und verwoben. Tief empfundener «socialism of the heart», den Bragg im Jahr 1996 mit der Single «Upfield» vom Album «William Bloke» formuliert, durchzieht seine Liebeslieder und seine «polemic songs». Es passt wie die sinnbildliche linke Faust aufs rechte Auge, dass eine 2015 als Buch erschienene Sammlung von Songtexten den Titel «A Lover Sings» trägt, nach dem gleichnamigen Lied vom zweiten Album «Brewing Up with Billy Bragg» (1984).

Musik statt Militär

Vor den Billy-Bragg-Solo-Alben löste sich erst noch Riff Raff wegen Erfolgslosigkeit auf. Neben diversen Jobs musste ein persönlicher Desorientierung geschuldeter Ausflug in die britische Armee überstanden werden. Nach drei Monaten kaufte sich Bragg wieder frei. Was er bis heute für die beste Investition seines Lebens hält.

Ohne Band, nur mit E-Gitarre, Verstärker und Stimme begann er Konzerte zu spielen und Straßenmusik zu machen. Die Begegnung mit Peter Jenner, später sein Manager (was Jenner auch für Pink Floyd oder The Clash war) führte 1983 zur Veröffentlichung von «Life’s a Riot with Spy vs Spy», dem ersten von 14 Studioalben. Ein sieben Songs umfassender Urmeter von Braggs Musik – drei der Lieder finden sich auf der Flex-Setlist –, der bis heute nichts an Kraft oder poetischer Klarheit verloren hat. Ein minimales Setup von E-Gitarre, Stimme und atmosphärisch dichten, pointierten Songs (Kapitalismuskritik mit «The Busy Girl Buys Beauty», berührend «The Milkman of Human Kindness» …), reich an Facetten und Nuancen. Im Titel manifestiert sich der (pop-)kulturell kenntnisreiche Humor Braggs. Er kann als Kommentar auf das Leben im permanenten Kalten Krieg zwischen den Supermächten USA/UK und UdSSR gelesen werden, enthält als Referenz die MAD-Comicfiguren Spy vs Spy, im deutschen Sprachraum Spion & Spion.

Spätere Alben waren oft opulenter arrangiert, Bragg kooperierte mit R.E.M. oder Johnny Marr von The Smiths. 1998/2000 begeisterte die Zusammenarbeit mit den Abstract-Americana-Titanen Wilco zu Texten aus dem Nachlass von US-Folk-Volkstribun Woody Guthrie, «Mermaid Avenue Vol. I & II». Anfang der 90er schien der Popstar Bragg in Greifweite, «Sexuality» («I’ve had relations with girls from many nations/I’ve made passes at women of all classes/And just because you’re gay I won’t turn you away/If you stick around I’m sure that we can find some common ground») enterte die UK Top 30. Wobei Bragg über den Text eines anderen Songs des dazugehörigen Albums «Don’t Try This at Home» schreibt: «To be frank, they’re nonsense, as was the idea that i could ever become a genuine pop star.» Immerhin, 1991 landet Kirsty MacColl einen Top-10-Hit mit ihrer Version von «New England», Braggs Theme-Song vom Debüt, der Refrain eines der gelungensten Beispiele seiner dialektischen Meisterschaft der Balance von Persönlichem und Politischem: «I don’t want to change the world/I’m not looking for a new England/I just want another girl.» 1993 wurde Braggs Sohn Jack geboren, eine musikalische Auszeit folgte.

Bragg vs. Brexit

«Ich war seit 12 Monaten nicht mehr so optimistisch», sagt Bragg, als ich ihn auf das Wahlergebnis in seiner Heimat anspreche. Er ist seinerseits informiert über die hiesige Präsidentenwahl und deren knapp glücklichen Ausgang. Wir sprechen einen Tag, bevor der Brand des Greenfell Towers das UK erschüttert und in Folge die unkittbaren Brüche zwischen Tories und Labour noch deutlicher hervortreten. Der überzeugte Internationalist, der sich oft an «Englishness» abarbeitete und in den 80ern mit «Red Wedge» für Labour trommelte, spricht euphorisch vom «Brexit Backlash». Davon, wie sich junge Menschen gegen May & Co organisiert haben. Er erwähnt speziell die Grime-Szene (ein elektronisches Dance/Subgenre), «die in ihren Communities mobilisiert hat, weil sie diese gefährdet sieht.»

Bragg, der seine Homepage als Informationsträger unter anderem über politischen Aktivismus nutzt, unterstützt trotz mancher Meinungsverschiedenheiten Jeremy Corbyn. Den er heuer bei der Leftfield Stage in Glastonbury, wo er als Kurator seit 2010 explizit politische Musik vorstellt, begrüßte: angeblich mit den Worten: «Du bist ein Jahr zu spät.» 2016 trat Bragg selbst dort einen Tag nach dem Brexit-Votum auf. «Ich wurde mit so frenetischem Applaus empfangen, wie ich ihn sonst nur am Ende meiner Gigs bekomme. Die Menschen haben das gebraucht.» Es wäre nicht Bragg, der unermüdliche Campaigner gegen alle «dedicated swallowers of fascism» («Accident waiting to happen»), wenn er nicht hinzufügen würde: «Und ich habe die Menschen gebraucht.»

Einer echten «people’s music» ist das Buch gewidmet, an dem Bragg zuletzt arbeitete, über das Nachkriegsphänomen Skiffle und die Skiffle Groups der 1950er. «Roots, Radicals and Rockers» erschien Ende Mai, und Bragg erzählt enthusiastisch davon, dass Skiffle die Wurzel der britischen 60ies-Bands war. «Bill Wyman spielte in einer Skiffle Group, auch Björn Ulvaeus von ABBA (…) In den Schlammhütten, wo Skiffle entstand, habe ich die Wurzeln eines Reichs gefunden, das größer ist als das römische Imperium.» Bragg stieß dabei auch immer wieder auf Railway und Railroad Songs, die Basis seiner jüngsten musikalischen Arbeit. «Shine a light. Field Recordings from The Great American Railroad» hat er mit Joe Henry auf einer gemeinsamen Zugreise durch die USA eingespielt. «Oft waren wir die einzigen Passagiere, auf Strecken, wo sonst nur Lastenzüge fahren. (…) Züge in Liedern haben eine ganz andere metaphorische Qualität als Autos oder Flugzeuge. Nimm ‹Folsom Prison Blues› – erst als er den Zug hört, wird ihm sein Eingesperrtsein bewusst.» Womöglich findet sich der eine oder andere dieser Songs im Set, wenn Bragg in Wien spielt. Gleich am Anfang ein Applaus, wie Billy Bragg ihn sonst am Ende seiner Konzerte bekommt, wäre kein Fehler.

Billy Bragg, 12. 8., WUK

www.billybragg.co.uk

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