„Moderner Held“vorstadt

Richard Barta, Notarzt bei der Wiener Rettung

Erster Einsatz um 9.45 Uhr: Mit Blaulicht rast ein weißer Passat-Kombi aus der Rettungsstation Leopoldau. Am Steuer der Sanitäter, auf dem Beifahrersitz Notarzt Richard Barta. Auf dem Display im Fonds des Wagens die Adresse des Einsatzorts: Eine Kleingartensiedlung an der Brünner Straße.Der 181.523 Einsatz der Wiener Rettung in diesem Jahr -erweist sich rasch als nicht lebensbedrohlich. In ihrem Gartenhaus liegt eine schwer übergewichtige Frau mit einem schmerzhaften Bandscheiben-Vorfall danieder.

Die beiden Lebensretter tun, was auch jeder Hausarzt tun würde. Sie verabreichen der Geplagten eine Schmerz lindernde Infusion. Kein Einzelfall: Die Berufsrettung wird längst nicht nur zu schweren Unfällen oder akuten Infarkten gerufen. In ihrer Not wählen viele Wiener und Wienerinnen auch die Notrufnummer 144.

Doktor Barta, 30 und erst seit wenigen Monaten als Notarzt der Wiener Rettung im Einsatz, hat schnell gelernt, sich nicht unnötig aufzuregen: „Ich werde erst aktiv, wenn ich am Ort des Geschehens bin.“ Mitten in der Großfeldsiedlung, beim zweiten Einsatz, wird er als Moderator aktiv. Ein 80-jähriger, an den Beinen schwer lädierter obdachloser Mann will sich von der Polizei nicht ins Krankenhaus beordern lassen. Erst die weiße Kleidung des Medizinmannes und seine ruhige Stimme lassen den auf einer Kellerstiege Liegenden Vertrauen schöpfen.

Von 7 bis 7 Uhr, 24 Stunden, so lange dauert Bartas Dienst. „Man ist aber nicht ständig unterwegs“, relativiert der Arzt. „Dazwischen sind immer wieder Pausen, in denen man wie auf Stand-by funktioniert.“

Um binnen Sekunden wieder von 0 auf 100 schalten zu können. Herzinfarkt-Alarm in der Adolf-Loos-Gasse! Die Retter der Station Leopoldau rasen erneut durch Transdanubien. Immer rasen sie durch Transdanubien. Um binnen weniger Minuten am Einsatzort zu sein. „Die erste Stunde nach dem Infarkt nennen wir Golden Hour“, wird Barta später erklären. Die goldene Stunde entscheidet nicht nur zwischen Leben und Tod.

Schnell darf sein Adrenalinspiegel wieder sinken. Das Herz des Patienten schlägt ruhig, der Schmerz rührt von der Brustwirbelsäule. Durchatmen bei allen Beteiligten.

Beim nächsten Einsatz, in der Stammersdorfer Straße, zeigt sich, warum das Erlernen der deutschen Sprache für Zuwanderer wichtig ist. Niemand im Haus kann dem Rettungsarzt begreiflich machen, was vorgefallen ist. Langsam reimt dieser sich zusammen: „Es muss ein epileptischer Anfall gewesen sein.“ Vorsichtshalber wird der 70-jährige Mann ins Krankenhaus eingeliefert.

Volle Konzentration auch 20 Minuten später in der Leopoldauer Straße: Ein adipöser Patient, 130 kg Minimum, ringt schwer nach Luft. Seine Wohnung extrem klein, eine Bruchbude. Seine Nachbarn, alle da. Reden aufgeregt durcheinander. Die Situation, unübersichtlich. Barta behält dennoch die Ruhe, und den Überblick.

Unweigerlich tauchen die Bilder jenes Wiener Rettungsarztes auf, der mit den Händen in den Hosentaschen dem brutalen Polizeieinsatz gegen Cheibani Wague im Stadtpark beiwohnte. Die Amtshandlung, die mit dem Verlust eines Menschenlebens endete, ist durch nichts zu entschuldigen. Doch wird hier in der Leopoldauer Straße ersichtlich: Notärzte benötigen Fingerspitzengefühl und Durchsetzungsvermögen. So gesittet wie in einer Ordination geht es auf der Straße nicht immer zu. Richard Barta sagt: „Wir sind auch nur Menschen.“

Nahe gehen ihm junge Drogensüchtige, denen er als Arzt öfters begegnet. Erste Hilfe, das ist alles, was er für sie tun kann. Doch mit Akutmedizin ist es selten getan. Er wird sie vielleicht wieder sehen. Sie werden dann vielleicht tot sein.

Allmählich legt sich die Dunkelheit über die Stadt. „Wir nennen sie auch schwarze Luft“, erklärt Barta. Mit der schwarzen Luft breitet sich auch die Angst in der Stadt aus. Auch in dieser Nacht. Wir halten fest: Jeweils drei Panikattacken vor bzw. nach Mitternacht.

„Grüß Gott, Doktor Barta, wir werden Ihnen jetzt helfen.“ Schon das Erscheinen von Arzt und Sanitäter beruhigt völlig verunsicherte Menschen. Die Anspannung lässt nach, und damit der Schmerz. Zwischendurch, in seinem Dienstzimmer, versucht sich der Retter in der Not mit einem Buch abzulenken. „Lesen ist besser als Fernsehen“, weiß der Notarzt. „Schaust du dir einen Krimi an, musst du sicher ausfahren. Und dann weißt du nie, wer der Mörder ist.“

Gegen 6 Uhr wird der Berufsretter ein letztes Mal aus dem Schlaf gerissen. 23 Stunden ist er bereits im Dienst, als in seinem Zimmer erneut die Alarmanzeige aufleuchtet. Raus aus dem Bett, rein in die Schuhe, der Sanitäter ist bereits beim Wagen. Was den Arzt an seiner Arbeit fasziniert? „Die Erfüllung eines Bubentraums, du weißt nie, was auf dich zukommt. Man könnte auch sagen: Moderner Held in Ausbildung.“

Vom Display liest er dann „eine Guten-Morgen-Leiche“ ab. Der Doc meint das nicht zynisch. Wenn der Morgen graut, werden die Berufsretter gerufen, um den Tod der zuvor Entschlafenen amtlich zu machen. Ein trauriger Angehöriger öffnet die Tür, Formulare hier, tröstende Worte da, dann geht es zurück zur Station. Nach 13 Einsätzen ist Feierabend. Und 24 Stunden frei.