Modernes Scheiberlspielvorstadt

Ein Plädoyer für Futsal an Stelle von Hallenfußball

Futsal hat in Österreich noch immer Exoten-Status. Dem neu geschaffenen Nationalteam und Reformen im Nachwuchsbereich zum Dank wird sich das ändern, meint Hannes Gaisberger. Für die Fotos zeichnet Carolina Frank verantwortlich.

Winterzeit ist Hallenfußballzeit. Mit dieser einfachen Gleichung wusste man von klein auf, wie man in unseren kontinentalklimatischen Breitengraden durch die spielfreie Zeit kommt. Doch nicht nur das Klima hat sich geändert. Mittels Streaming-Sendern oder Pay-TV kann man heute selbst unter den Feiertagen feinen Kick aus anderen Ländern verfolgen. Und das große Turnier in der Stadthalle gibt es auch schon länger nicht mehr. Gott sei Dank, wie hier häretischerweise bekannt werden muss. Denn durch die Bande hatten sich Elemente von Eishockey und Flippern in das Spiel eingeschlichen. Der Ball wurde oft ziel- und planlos nach vorne gedroschen, die Abpraller von der Bande als legitime Wege zum Torerfolg gesehen.

Winterzeit ist Futsalzeit. So sollte es heißen. Das schon aufgrund des Spielgeräts (ein kleinerer, sprungreduzierter Ball) und der Regeln (Out-Linien statt Banden) zu höherer Präzision verpflichtende Futsal ist eine Augenweide für alle, die technisch hochstehendes Kurzpassspiel lieben. Noch dazu ist Futsal die von der FIFA offiziell anerkannte Version des Hallenfußballs. In den 1930er-Jahren in Südamerika entwickelt, hat Futebol de Salao vor allem in Süd- und Osteuropa Verbreitung gefunden. Seit 1989 gibt es Weltmeisterschaften, seit 1996 eine Europameisterschaft. Und seit zwei Monaten hat Österreich eine ÖFB-Nationalmannschaft. Anlass genug, sich zur Jahreswende auf dem Weg in die Sporthalle Hollgasse zu machen. Am Rande des Liga-Klassikers Stella Rossa gegen den 1. FC Allstars Wr. Neustadt kann «Mr. Futsal» Aleksandar Ristovski vielleicht erklären, wie es um die Entwicklung des Sports in Österreich bestellt ist.

Sachte unterstützender ÖFB.

Aleksandar Ristovski wehrt sich gar nicht, wenn man ihn mit Mr. Futsal anspricht. Er hat den Sport um die Jahrtausendwende quasi nach Österreich geholt und ihn mit einem ehemaligen Street-Soccer-Team als Aktiver, Trainer und Präsident praktiziert. Stella Rossa tipp3, wie der Verein nun heißt, ist österreichischer Rekordmeister und Ristovski mittlerweile als Sportlicher Leiter bei seinem Team tätig. Aber auch als Funktionär beim ÖFB ist er für Futsal aktiv und seit

November Co-Trainer des neu geschaffenen Nationalteams. Der eloquente Wiener hofft auf einen zweiten Schwung: «Als der ÖFB vor sechs Jahren die Liga übernommen hat, haben wir einen Schub bekommen. Wenn wir jetzt im April das erste Länderspiel austragen werden, wollen wir das super aufziehen. Mit Live-Übertragung und einer vollen Halle, wo und gegen wen auch immer.» Spielort und Gegner standen zu Redaktionsschluss noch nicht fest.

Vor die Quizfrage gestellt, ob Futsal in Österreich mehr a) Geld, b) Nachwuchs, c) Zuseher_innen oder d) Berichterstattung braucht, entscheidet sich Ristoski klar für d). Früher habe man versucht, durch bekannte Ex-Profis Aufmerksamkeit zu erregen, aber irgendwann ist der Sport für «Stehgeiger» wie Markus «Magic» Aigner oder Thomas Flögel zu dynamisch geworden. «Am längsten hat der Herbert Gager durchgehalten. Er ist auf der Bank gesessen, wurde gegen Spielende für einen Strafstoß eingewechselt, hat den reingehauen und sich wieder niedergesetzt.» Man solle diese Leistung aber nicht unterschätzen, so Ristovski, durch das kleine Handballtor und den bis zu fünf Meter davor stehenden Tormann gehe statistisch nur jeder dritte Schuss rein. «Beim Herbert waren es zwei von drei. Er spielt jetzt nicht mehr, aber dafür spielt sein Sohn Manuel bei uns.» Der Gager-Clan bildet sozusagen eine Ausnahme, sonst hat sich Fußballösterreich dem neuen Hallenkick weniger geöffnet. «Das ist schon eine andere Kultur. Meine Spieler haben größtenteils einen Balkan-Background. Dort wird auf der Straße Futsal gespielt. Es gibt Plätze mit ganz glattem Beton, fast wie ein Tennis-Hardcourt, wo man auch reinrutschen kann. Das gibt es hier in Österreich einfach nicht.»

Verbieten ist auch keine Lösung?

Was könnte man tun, um den Sport noch mehr zu pushen? Den alten Hallenfußball verbieten? Ristovski lächelt und schüttelt den Kopf. «Viele Verbände haben ja schon umgestellt. In der Steiermark und Salzburg gibt es im Nachwuchsbereich kein Hallenturnier mehr. Das wird alles im Futsal-Modus gespielt.» Obwohl er mit dem Verbandspräsidenten Sedlacek grundsätzlich ein hervorragendes Einvernehmen hat, stoßen seine Initiativen beim Wiener Fußballverband auf taube Ohren. «In Wien wollen sie einfach ‹ihr Turnier›. Das ist Tradition und so weiter.» Gerne ansehen muss man es sich dennoch nicht. «Wenn dann der Tormann diesen großen 5er-Ball in der riesigen Hopsahalle ausschießt und der hüpft wie ein Flummi, hat das mit unserem Sport nichts zu tun.»

Ohne genauer auf den etwas komplizierten Liga-Modus einzugehen, kann man Stella Rossa gegen Allstars Wr. Neustadt als Spitzenspiel bezeichnen. Die Wiener holten seit 2006 fünf Titel, die Neustädter drei und sind aktueller Meister. Vor gezählten 205 Zuseher_innen – der Eintritt ist frei – kann sich Stella Rossa in einem packenden Spiel mit 4:3 durchsetzen und die Tabellenführung behaupten. Technik, Tempo und Präzision sind auf einem Niveau, das man sonst in hiesigen Hallen nicht finden kann. Trotz aller Brisanz lassen Ausstattung und Regeln des Spiels überharte Fouls kaum zu. Ähnlich anderen Ballsportarten werden die Fouls einer Mannschaft addiert und sanktioniert. Ab dem sechsten Foul bekommt der Gegner einen Long Penalty, einen Strafstoß aus 10 Metern. Das ist dann der Moment, an dem früher Herbert Gager seinen Auftritt gehabt hätte.

Prominente Werbefiguren.

Dank Ex-Futsal-Spielern wie Messi, Neymar oder Iniesta hat sich herumgesprochen, dass der Sport auch eine hervorragende Schule für Fußball ist. An Nachwuchs herrscht seit Jahren kein Mangel bei Stella Rossa, man kann sogar eine Juniors-Mannschaft und einen Kooperationsverein mit interessierten Nachwuchskickern beschicken. Da das Gros der Spiele geblockt in der Winterpause stattfindet, lassen sich Futsal und Fußball auch bei den Erwachsenen kombinieren. «Es gibt wenige Spieler in Österreich, vielleicht eine Handvoll, die reine Futsal-Spieler sind», so Ristovski. Was man gar nicht finden wird, ist Frauen-Futsal. «Ist aber in Planung.»

Dem Nationalteam müsse man Zeit geben, der Weg zu einem großen Turnier sei noch weit. «In Europa sind die ersten vier Plätze mit Spanien, Portugal, Italien und Russland quasi einzementiert. Und zur WM dürfen nur fünf Teams aus Europa fahren!» Greifbarer sind die Ziele für Stella Rossa. Dank der immer stärkeren Konkurrenz ist der letzte Meistertitel bereits vier Jahre alt. Diese erfreuliche Entwicklung weckt den Kampfgeist beim Pionier Ristovski: «Wir wollen heuer beweisen, dass unsere Zeit noch nicht vorbei ist. Und dann wollen wir natürlich bald als erste österreichische Mannschaft in die Hauptgruppe der Champions League kommen.» Vielleicht öffnet sich das Wiener Fußballherz

irgendwann doch noch für Futsal. Denn was ist es anderes als ein schönes, modernes Scheiberlspiel?