Willkommen im Jahr 2016: Kommt in Polen das absolute Abtreibungsverbot?
Von bis zu 200.000 illegalisierten Schwangerschaftsabbrüchen jährlich geht der Kongress polnischer Frauen schon jetzt aus. Die Regierung geht nun einen Schritt weiter: Ein absolutes Abtreibungsverbot soll kommen. Polnische Frauen gehen auf die Straße – auch in Wien. Marita Gasteiger (Text) und Michael Bigus (Fotos) waren bei der Kundgebung vor der polnischen Botschaft dabei.Samstag, 9. April, Hietzing. Es ist kalt, auch wenn es nicht regnet. Vor der polnischen Botschaft in Wien versammeln sich etwa 150 Personen. «Kirche und Staat raus aus den Gebärmüttern!», heißt es auf ihren Plakaten. Ewa Dziedzic, grüne Bundesrätin, Sprecherin der Grünen Frauen Wien, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied des Kongresses polnischer Frauen in Österreich, erzählt, worum es geht: um das geplante Abtreibungsverbot in Polen. «Wir beobachten in Polen seit 1989 einen massiven Backlash, was Frauenrechte angeht», gibt sie zu bedenken. Schon mit dem Inkrafttreten der Verfassung von 1992 wurde das Recht auf Schwangerschaftsabbruch de facto abgeschafft. «Nur in Fällen von Gefahr für die Gebärende, wenn ein Embryo nicht lebensfähig ist, oder aber bei Vergewaltigung oder Inzest ist Abtreibung derzeit erlaubt», betont Dziedzic. Nun sollen auch diese letzten Möglichkeiten abgeschafft werden. Ewa Dziedzic weiß, wie ein solcher Gesetzesvorschlag überhaupt erst auf den Weg gebracht werden konnte: Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (auf Polnisch kurz PiS) hatte sich schon im Wahlkampf mit der mächtigen katholischen Kirche verbündet.
Unter- oder überschätzt: die Macht der Kirche
Die katholische Kirche ist eine mächtige politische Playerin in Polen, historisch bedingt: Polen hat mehr als eine Teilungsgeschichte hinter sich, nationale Ideen über den homogenen, polnischen Staat waren daher lange Zeit in den Untergrund verbannt. Die katholische Kirche schaffte es immer wieder, diesen Ideen, gleichzeitig aber einer linken Opposition Raum zu geben, Dziedzic dazu: «Kein Solidarność-Streik ohne eine Messe davor – das sagt doch schon einiges!» Gemeinsam mit einer Bürger_inneninitiative sammelte die Kirche nun Unterschriften, um den Vorschlag des absoluten Abtreibungsverbots, den auch die Regierung unterstützt, ins Parlament zu tragen. Sogar in Kirchen wurde mobilisiert – mit unerwarteten Folgen: Während eines Appells für das Abtreibungsverbot verließen zahlreiche Frauen die Messe, in ganz Polen kam es zu einer Austrittswelle.
Die Folgen des Abtreibungsverbots wären fatal. Schon jetzt können sich wenige Frauen einen Schwangerschaftsabbruch im Ausland leisten: Kosten für Reise und Operation können selten von unterstützenden Organisationen in Deutschland oder Österreich übernommen werden. «In Österreich kostet der Abbruch normalerweise an die 400 Euro, wie soll sich das eine polnische Frau leisten, die 200 Euro im Monat verdient?», fragt Ewa Dziedzic. Frauenorganisationen in Polen gehen aktuell von 200.000 illegalen Abtreibungen jährlich aus, die Dunkelziffer liegt vermutlich höher.
Ein grenzüberschreitendes Hände weg von unseren Körpern!
Während sich in Wien eine kleine, solidarische Gruppe vor der Botschaft versammelt hat, gehen in Warschau die Massen auf die Straße: Neben den Oppositionsparteien und dem Kongress polnischer Frauen gibt es seit einiger Zeit das Komitee zur Verteidigung der Demokratie. Thema sind neben dem geplanten Abtreibungsverbot auch Eingriffe der PiS in die polnische Rechtsstaatlichkeit: die Aushebelung des Verfassungsgerichtshofs und die Entlassung der Verfassungsrichter_innen etwa oder die Einschränkung der Pressefreiheit.
Nun scheint es erstmals, als würden die Proteste Wirkung zeigen: Kürzlich kamen Gerüchte auf, die Regierung würde den Gesetzesentwurf zurückziehen. Offizielle Bestätigung gab es keine. Ewa Dziedzic glaubt auch nicht, dass diese noch kommen wird: «Wenn die Proteste schwächer werden und die Aufmerksamkeit abflaut, werden sie das Gesetz durchpeitschen, wie sie es schon mit den Verfassungsänderungen gemacht haben.» Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, sei internationaler Druck. Wenn die Protestbewegung stark bleibt – nicht nur in Polen, sondern international, wenn die PiS-Regierung merkt, dass sie sich selbst schadet, nur dann kann sich Dziedzic vorstellen, dass die Regierung den Vorschlag zurücknimmt. Gefragt ist also Solidarität über die polnischen Grenzen hinaus. Ewa Dziedzic unterstreicht: «Menschenrechte sind universal, sie hören nicht an den Grenzen eines Staates auf!» Und das Recht auf die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein Menschenrecht.
Marita Gasteiger studiert im Master Interdisziplinäre Osteuropastudien an der Universität Wien und ist politisch aktiv. Sie schreibt über Osteuropa, Feminismus und Hochschulpolitik.