Mojo* AutoDichter Innenteil

Am «fröhlichen» Friedhof von Săpânța im Kreis Maramureș im nördlichen Rumänien illustrieren bunte und von Hand geschnitzte Grabkreuze und Bildertafeln das Leben der hier ruhenden Menschen. Auf diesem Grab ist eine besonders tragische und fatale Begebenheit vermerkt: Eine Mutter hatte ihrem Sohn das heiß geliebte Auto gekauft, mit dem er danach tödlich verunglückte (Foto: Hans Bogenreiter)

Eines Morgens beschien die Mostviertler Sonne an einer Tankstelle ein sehr sportliches und blitzblankes Automobil. Der junge Lenker hatte für das schöne Wetter keinen Blick, sondern heftete seine Augen und dann seinen Zeigefinger auf eine Stelle am Kotflügel seines Sportwagens, um dem danebenstehenden Chef der Werkstatt auf etwas aufmerksam zu machen.

Eine ganz leichte Eindellung ließ sich dort erahnen, da das Sonnenlicht dort ­einen fahlen Schatten warf. Der junge Fahrer regte sich über die, seiner Meinung nach mangelhafte, Reparatur fürchterlich auf und war einfach nicht mehr zu beruhigen. Der Autohändler ließ ihn ohne sichtbare Regung gewähren. Dies alles hatte ich zufällig, als ich dort gerade tankte, hautnah miterleben dürfen. Ob der wie das Rumpelstilzchen Tobende schließlich einen kräftigen Preisnachlass oder eine neuerliche Reparatur in Aussicht gestellt bekam, habe ich nicht in Erfahrung gebracht. Die Verwandlung des so heiß geliebten Flitzers, gesteuert vom Karosserie-Pedanten, in ein Wrack bzw. versicherungstechnisch einen Totalschaden, kam mir ein paar Wochen später zu Ohren. Es wäre schnöde, wenn ich mich darüber mokierte, da ich den Ärger über beschädigte oder zu Bruch gegangene Dinge ebenfalls oft nicht unterdrücken konnte.
Wenige Wochen nach der Führer­scheinprüfung hatte ich ebenfalls einen Unfall verursacht, auch wenn ich den Großteil des Geschehens nur vom Beifahrersitz aus beobachtet hatte. In der weit und breit berüchtigten Kurve, die nach außen hing, bremste ich mit dem Auto meines Bruders mitten in der Kurve, obwohl ich in der ­Fahrschule gelernt hatte, dass wegen der ungleichen Belastung der Räder das Auto unweigerlich ins Schleudern kommt. Nicht angegurtet wurde ich durch die Fliehkräfte auf den Sozius-Sitz versetzt, wo ich verfolgen konnte, wie das Auto eine unfreiwillige Runde ­drehte und schließlich an der Straßenböschung zum Stillstand kam – gar nicht so arg beschädigt. Ich kann zwar ins Treffen führen, dass die «Schnall’n» (so hieß die Kurve, die mittlerweile einem Kreisverkehr weichen musste) unzähligen Verkehrsteilnehmern ebenfalls zum Verhängnis wurde. Noch dazu hatte ich mich ja über Autofreaks, die sich oft austauschten, wie schnell und mit welchen dazu erforderlichen Tunings die so gefährliche Kurve zu schaffen sei, wenig schmeichelhaft geäußert. ­Jedoch dachten nicht einmal die größten PS-Fanatiker damals daran, dass mein ungewöhnlicher Sitzwechsel nun bei der Entwicklung selbstfahrender ­Autos Standard werden könnte.

Auto unser, das du bist.
Kommt ein schönes Wochenende,
dann wird er richtig froh.
Er donnert gegen die Wände
und brennt so lichterloh.

Aus dem Lied «Auto unser»
von Arik Brauer

Rückblickend bildeten die 1970er- bis 1980er-Jahre den Höhepunkt des Siegeszuges der Blechkisten auf Rädern. Praktisch in allen Schichten der Gesellschaft wurde es zum Muss, ­einen Personenkraftwagen zu besitzen. Selbst bei den Bauern, wo seit vielen Jahrhunderten und Generationen Haus & Hof mit den ­dazugehörenden Wiesen, Feldern und Wäldern das wichtigste Statussymbol waren, machte der Siegeszug der fahrbaren Blechkisten nicht Halt und fungierte bald genauso als Vorzeigeobjekt. Auch ich, Sohn einer Kleinbauernfamilie, erwarb nach Ende der Lehrzeit einen Personenkraftwagen, obwohl ich mich von der fanatischen Verherrlichung, die so viele Burschen und junge Männer ergriff, nicht anstecken ließ. Doch bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich mit meinem sportlichen VW-Passat nicht doch insgeheim darauf hoffte, dass meine Chancen beim weiblichen Geschlecht gestiegen seien. Eines Tages ­trumpfte ich jedoch mit einem sehr prestigeträchtigen Pkw auf. Da blieb ­einem besonderen Freund der Mund offenstehen, als er mich mit meiner damaligen Lebensgefährtin in einer von deren Chef geborgten ­Nobelkarosse vorbeifahren sah. Die ­unvergleichliche Janis Joplin besang solches Begehren: «Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz?». Janis’ Musik wird überleben, davon war ich damals sofort überzeugt, und ich fasste es wie eine Bestätigung auf, als ich vor wenigen Jahren zwei sehr junge Mädchen in der Wiener U-Bahn dieses Lied mit großer Begeisterung singen hörte.
Einer meiner Schulkollegen fuhr mehrere Autos zu Schrott, und obwohl er stets unverletzt den Wracks entstiegen war, begegnete er dem Entzug des Führerscheins nur mit maßloser Trunksucht. Tracy Chapman (die ich live in Budapest erleben durfte) hat wohl mit «Fast Car» den besten Song über den Geschwindigkeitsrausch und den sozialen Problemen, denen so viele mit dem Statussymbol Auto zu entfliehen versuchen, geschaffen.
Das Wechselspiel zwischen tragischen Unfällen und (halb-)lustigen, grotesken und leichtsinnigen Begebenheiten wurde in dieser Zeit permanent am Laufen gehalten. Einmal kam ein Betrunkener von einer sehr ­steilen Bergstraße ab und der Wagen überschlug sich in einem Feld mehrmals. Der Bauer rannte besorgt zur Unfallstelle, wo der Fahrer, ­glücklicherweise unverletzt, bereits neben seinem auf dem Dach liegenden Auto stand. Der Bauer fragte ihn, ob er aus dem Fahrzeug ausgestiegen oder herausgeschleudert worden war und wurde aus der Antwort nicht klug: «Des is’ jetzt wurscht, i foahr eh glei weida.» Offensichtlich war er nicht in der Lage, zu erkennen, dass es für ihn an diesem Tag Willie Nelsons «On the Road Again» nicht spielen wird. ­Ähnlich knapp und konzentriert auf das ­Wesentliche fiel der Kommentar eines Vaters, dessen Sohn gerade ein Auto zu Schrott gefahren hatte, aus: «Mocht nix, er is’ eh vollgasversichert.» Also ­wurde nicht zuletzt oft wegen der damit gemeinten Kaskoversicherung ­weitergerast. Wobei die zahlreichen ­Todesfälle stets schnell in Vergessenheit gerieten. Das betraf auch einen schweren Unfall, der drei jungen Menschen aus meinem Heimatort das Leben ­kostete – zwei weitere wurden schwer verletzt. Von den drei Toten kann ich mich an ein junges Mädchen und ­einen ­jungen Burschen erinnern, die mit forschem Auftreten und jugendlichem (Über-)Mut hervorstachen. Im Nachhinein betrachtet gerade so, als wollten sie vorher noch die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Einige dieser ­Opfer des Straßenverkehrs hatten wohl auch das Schicksal herausgefordert, andere wurden vom Hauch des Todes ohne jegliches eigenes Fehlverhalten von Betrunkenen und Rasern für immer aus der Lebensbahn geworfen. Die nicht nur regional vorhandene Duldung, ja sogar Verherrlichung von Trunkenheit könnte wenigstens Anlass für soziologische Studien sein, zumal sich die im Laufe der Jahreszeiten stetig wiederkehrenden Feste einhergehend mit gemeinschaftlichem Besäufnis auch ­ökonomisch sehr positiv auswirken. Dank der ethnologischen Forschungen im Film Das Fest des Huhnes wurde publik – und das nicht nur in Oberösterreich, sondern auch im Mostviertel und weit darüber hinaus –, dass diesen Trinkfesten auch ein sakraler Charakter innewohnt. Wer dazugehören möchte, wird das wiederholt verkündete «Ein Prosit der Gemütlichkeit» auch beherzigen. Die Frage, warum Alkohol, trotz verheerender Wirkung akzeptiert wird, während andere Drogen, die eine weit geringere Schadensbilanz aufweisen, kriminalisiert, ja verteufelt werden, erklärt sich eventuell damit, und wird im Übrigen ungern gestellt.

Du hast mit dei’n nagelneuen Auto
An schweren Unfall g’habt
Für den niemand a Erklärung hat
Drei Tag’ später warst du tot

Aus dem Lied «I hab di leben g’sehn» von STS

Als die zahlreichen tödlichen Unfälle der 1970/80er endlich beträchtlich zurückgingen, erschütterte mich der Tod eines Freundes von einem Bauernhof, der von unserer Hube gut zu sehen war, besonders. Er war mit dem Motorrad in einen tonnenschweren Traktor eines Bauern, der ihn beim Herausfahren aus einem Feld einfach übersehen hatte, hineingeschlittert. Gerade er, der anscheinend so wie der Schiflugweltmeister ­Andreas Goldberger die ewige Jugend gepachtet hatte, verlor nun sein Leben wegen einer Unachtsamkeit eines anderen Verkehrsteilnehmers. Als ­hätte er sein so verkürztes Dasein vorausgeahnt, war der Erlebnishunger des Pädagogen, der auch durch eine ­Reise rund um diese Welt nicht gestillt ­wurde, immens gewesen.
Ein junger Mann hatte mal die Lenkerberechtigung wegen Trunkenheit am Steuer verloren. Zu dieser Zeit kam dies öfters vor und galt als ein Kavaliersdelikt – für die Betroffenen ein durchaus ärgerliches. Als er seines fahrbaren Untersatzes beraubt das Gasthaus mit der Kegelbahn betrat, sah er den damaligen Wiener Polizeipräsidenten Josef Holaubek, der im Ort damals regelmäßig Urlaub machte und sich dabei auch sehr leutselig gab, an der Budel (eine Trennwand, von der aus die Kiebitze das Geschehen auf der Kegelbahn gut im Auge hatten) stehen. Er legte eine Hand über ­seine Schultern und klagte ihm sein Leid: «Joschi, du bist in Ordnung, aber ­deine Knecht sand Oaschlecha.» ­Wobei ich reuig gestehen muss, ebenfalls ­einige Male alkoholisiert durch die Gegend gefahren zu sein. Aber langsam, rechtfertigte ich damals mein Verhalten – eine billige ­Ausrede, wo doch meine Wahrnehmung jedenfalls getrübt war, was durchaus zu ­einem Unfall führen hätte können.
Es scheint der Menschheit wohl nicht allzu gut zu bekommen, wenn eine Errungenschaft oder eine Erfindung die Massen allzu sehr in den Bann zieht.

* Mojo bezeichnet eigentlich ein magisches Amulett, wird aber auch als Synonym für Glück oder Glücksbringer verwendet. Im Blues hat es auch eine sexuelle Bedeutung. Jim Morrison hat dies mit The Doors im Song «L. A. Woman» mit den Worten «Mr. Mojo Risin’» (Album L. A. Woman Sessions) ziemlich unverblümt ausgedrückt. Der Autor sieht es hier als Vehikel, um mehr (bzw. maximale) Geltung zu erlangen.

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