Kann Sprache richtig oder falsch sein?
Um Sprachgebrauch gibt es viel Aufregung. Über neue Begriffe, gegenderte Sprache und Standardsprachenmischungen erzürnen sich des Öfteren die Gemüter, die «ihre» Sprache «reinhalten» wollen. Würden diese Haltungen sich durchsetzen, würden wir heute vielleicht noch Mittelhochdeutsch reden. Brigitta Busch, Professorin am Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Wien, gewährt Einblicke in die Beweglichkeit von Sprachen und die vielen Ebenen ihrer Bedeutsamkeit.Oft scheint es den Bedarf zu geben, Sprache vor Weiterentwicklung zu schützen. Der Einfluss einer Standardsprache auf die andere oder gesellschaftliche Ansprüche an Sprachen wie etwa die viel diskutierte Abbildung von feministischen Errungenschaften im Sprachbild dürften immense Verunsicherungen hervorrufen.
Sprache ist etwas, was den Sprechern und Sprecherinnen gehört. Und die entwickeln sie nach ihren Bedürfnissen weiter. Mit neuen Erfindungen, neuen Einrichtungen, neuen Entdeckungen kommen neue Wörter. Und die müssen irgendwo in der Sprache verankert werden. Es gibt in verschiedenen Sprachen verschiedene Strategien, diese neuen Begrifflichkeiten zu inkorporieren. Diese Entwicklungen muss es geben, sonst wächst die Sprache nicht mit.
Andererseits gibt es auch die Purismusideologie schon sehr lange. Ich wollte zuerst sagen, die hat es immer schon gegeben, aber so ist es eigentlich nicht. Die Purismusideologie ist im europäischen Raum eine neuere Erfindung, die viel mit der Hierarchisierung von Sprachen und auch von Drucklizenzen zu tun hat. Sie ist historisch verknüpft mit der Entstehung der Nationalstaaten.
Kann es funktionieren, eine Sprache puristisch gegen Einflüsse «von außen» abzuschirmen?
Die Idee, dass eine Sprache reingehalten werden muss, ist eine Fiktion. Was heißt rein? Rein wovon? Da werden Abgrenzungen getroffen. Schauen wir ein Beispiel der jüngsten Vergangenheit an: das frühere Jugoslawien. Serbokroatisch oder Kroatoserbisch wurde als eine Sprache standardisiert, dabei wurde extra sehr viel Spielraum für verschiedene Varietäten gelassen, verschiedene Ausformungen der Sprache. Als politisch die Trennung erfolgt ist, hat Kroatien deklariert, dass Kroatisch die Sprache der Republik ist. In Serbien hat man gesagt, Kyrillisch ist die Schrift Serbiens. Es wurde eine große Menge von Unterschiedswörterbüchern publiziert, man wollte die Unterschiede festschreiben. In anderen Phasen hat man die Konvergenzen gesucht, und in diesen politischen Phasen die Divergenzen. Man hat begonnen zu deklarieren, was originär Kroatisch und was originär Serbisch ist. Aber das sind Imaginationen. So einfach ist das gar nicht zu trennen. Eigentlich sind diese puristischen Fragen politische Fragen der Abgrenzung.
Wenn es darum geht, gewisse gesellschaftliche Forderungen auch in die Sprache einzubringen, wird oft dagegen argumentiert, Sprache habe reinen Symbolcharakter. Spielt sich das reale Leben anderswo ab?
Das kannst du nicht trennen. In Sprache gehts um Beziehungen. Wenn ich zum Beispiel rassistische Begriffe verwende in einem bestimmten Kontext, dann ist das nie ganz unschuldig. Dann will ich damit etwas bedeuten, ich will etwas sagen. Form und Inhalt sind a priori nicht trennbar.
Natürlich wird Sprache manchmal als Symbol genommen und hochstilisiert wie eine Fahne und steht dann als Chiffre für einen Identitätsentwurf. Oder im Wesentlichen für Einschluss und Ausschluss. Aber nehmen wir die Frage des Genderns. Ich denke, das ist schon ein wichtiges Signal, wenn man die Einkommensschere ansieht oder die Situation der Kinderbetreuung. Das sind nach wie vor Dinge, auf die zu verweisen ist.
Es gibt auch Sprachen, da stellt sich die Frage anders. Im Madegassischen zum Beispiel gibt es eine neutrale Form, und wenn du männlich oder weiblich markieren willst, musst du erst Endungen dranhängen, du musst das explizit tun.
Gibt es Beispiele, wo progressiver mit Sprache umgegangen wird als in Österreich? Das Gendern ist der eine Schauplatz, aber dann gibt es ja noch das ganze Paket vom Deutsch-sprechen-Müssen.
Das Deutschsprechen ist eine Frage, um die man sich wesentlich mehr kümmern müsste. Wien war in der Geschichte nicht rein deutschsprachig, das sind Fiktionen, die man sich erzählt. Wien ist nicht rein deutschsprachig, und der Druck, der erzeugt wird, ist kontraproduktiv. Man muss die mehrsprachige Verfasstheit der Gesellschaft anerkennen und dann Strategien des Umgangs entwickeln.
Wenn ich jemanden zwinge, Deutsch zu lernen, ist das ganz was anderes, als wenn ich die Möglichkeit einräume. Schweden zum Beispiel hat die Sprachkurse für Einwanderer sehr großzügig und bis zu einem sehr hohen Niveau und ohne Prüfungsdruck organisiert. Und das hat weitgehend sehr gut funktioniert. In den Schulen in Schweden wird das auch anders gehandhabt als in Österreich: Hier ist die Klasseneröffnungszahl für muttersprachlichen Unterricht zwölf Schüler_innen. Ab Herbst werden wir eine erste afrikanischsprachige Klasse in Wien haben, nämlich Somali. In Schweden ist die nötige Anzahl für muttersprachlichen Unterricht fünf, was ein maßgeblicher Unterschied ist. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, dass die Schule selbst oder die entsprechende Stadtverwaltung finanziert, dass ein einzelnes Kind auch muttersprachlichen Unterricht bekommen kann, und dass eine erwachsene Person das Kind begleitet und ihm Inhalte in ausgewählten Schulfächern übersetzt, um es nicht aus dem Klassenverband rauszureißen. Mit so einem Vorschlag kannst du in Österreich fast nicht kommen.
Als Antwort kommt der Sachzwang des Geldes.
Und es kommt: «Wo kommen wir dahin, wenn jeder seinen Dolmetsch mitbringt.» Aber es funktioniert gar nicht schlecht als Modell. Im Moment läuft die mediale Diskussion so, dass Mehrsprachigkeit und Leute, die zusätzlich zu Deutsch eine andere Sprache sprechen, als Problem gesehen werden. Aber eigentlich liegt das Problem bei den Institutionen und dabei, wie sie mit Mehrsprachigkeit umgehen.
Du hast gesagt, es müssten Strategien des Umgangs mit der mehrsprachigen Verfasstheit entwickelt werden wieso passiert das nicht?
Auf der einen Seite gibt es die Politik, die Deutschlernen entdeckt hat. Da geht es nicht primär ums Deutschlernen, sondern sehr viel um politische Propaganda. Die FP pusht die Geschichte mit dem Deutschlernen, weil sie primär eine Wähler_innenschaft bedient, die am rechten Rand angesiedelt ist. Die SP hat das mittlerweile auch im Programm. Man geht damit auf Stimmenfang.
Zum Teil, denke ich, ist in den Institutionen kein wirkliches Bewusstsein dafür da, dass man aus Mehrsprachigkeit eine Ressource machen kann und dass es Strategien im Umgang damit gibt. Man muss sie nicht problematisieren.
Andererseits ist es eine reine Unterstellung, dass Leute nicht Deutsch lernen wollen. Ich war an einem Kurs für Frauen beteiligt, die aus sehr vielen Kursen rausgefallen sind, weil sie aus schwierigen Situationen gekommen sind, viele von ihnen traumatisiert durch politische Ereignisse in den Herkunftsländern, schreckliche Erlebnisse auf der Flucht, und sie waren aufgrund der traumatischen Erfahrungen nicht in der Lage, einem regulären Kurs zu folgen. Wir haben dann einen Sonderkurs organisiert, und das hat blendend funktioniert. Nur zwei von fünfzehn haben den Kurs nicht abgeschlossen. Man muss halt auch schauen, dass die Rahmenbedingungen passen.
Einerseits sind der Wille und der Wunsch zu lernen da, wenn es Rahmenbedingungen gibt, in denen das sinnvoll erfolgen kann. Und andererseits muss man trotzdem überlegen, in welchen Situationen man die Kommunikation wie verbessern kann.
Es hat doch auch ein bisschen was Antiintellektuelles, keine Lust auf Mehrsprachigkeit zu entwickeln.
Klar. Interessant sind dagegen die Entwicklungen außerhalb der Institutionen. Schau dir zum Beispiel die Marktstände am Brunnenmarkt an, viele Schilder sind zweisprachig. Wenn du die Marktstandler fragst, warum, sagen sie, es kommen viele Deutschsprachige einkaufen. Darum gibt es zum Beispiel Beschreibungen von türkischem Gebäck auf Deutsch, um zu erklären, was da drin ist. Der Bäcker am Brunnenmarkt sagt, dass manche Deutschsprachige mittlerweile auch schon mit «Merhaba» grüßen, also die lernen das langsam. Das heißt, es gibt Bereiche, wo Begegnungen sehr wohl stattfinden, und wo der Fluss in beide Richtungen geht. Erst vielleicht noch aus Höflichkeit und Entgegenkommen, aber daraus entstehen auch wichtige Kontaktzonen.
Was bedeutet «Translanguaging»?
Früher hat man viel über Codeswitching geredet, womit zum Beispiel das Wechseln zwischen Türkisch und Deutsch oder Deutsch und BKS gemeint ist. Das wurde als Defizit interpretiert: Wenn man das eine nicht weiß, greift man zum anderen. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist erst der Begriff Language-Crossing gekommen, und dann Translanguaging. Begonnen hat das mit der Erforschung von Stadt- und Jugendsprachen. Es wurde festgestellt, dass Jugendliche zum Beispiel türkische Worte einbauen und das Stilelemente sind, die auf eine bestimmte Jugendkultur hinweisen. Das ist also was anderes als Codeswitchen, weil man damit gewisse Stile markiert. Man spielt mit Sprache. Und bricht damit die strikten Identitätszuschreibungen auf, die man in gewissem Sinn damit auch außer Kraft setzt.
Translanguaging kommt ursprünglich aus der walisischen Schule: Es wurde auf Walisisch unterrichtet, die Schüler_innen durften aber durchaus auf Englisch antworten oder weiterdiskutieren. Oder auch umgekehrt. Anders als in der alten Pädagogik, in der man ganz puristisch von einer strikten Trennung ausgeht, was Leute eher abschreckt, wurde hier also in einer Lernsequenz durchaus Input und Output mehrsprachig gestaltet.
Translanguaging heißt gewissermaßen, sich das aus jeder Sprache rauszuholen, was man braucht, um Bedeutung zu vermitteln. Und mit Bedeutungvermitteln meine ich nicht nur Inhalte, sondern auch Beziehungen und Subjektpositionen.
Englische Begriffe zu verwenden ist ja auch Translanguaging. Setzt sich Translanguaging durch?
Um noch mal den Brunnenmarkt als Beispiel zu nehmen: Dort wird teilweise eine Sprachenmischung praktiziert, die sich als durchaus brauchbar für den Kontext erweist. Vergleichst du Brunnengasse und Yppenmarkt, siehst du, dass du am Yppenmarkt «Language as commodity» hast, zu Vermarktungszwecken, der italienische Lebensstil und so weiter. Und in der Brunnengasse wird mehrsprachige Kommunikation gepflegt, weil man davon ausgeht, dass der Kundenkreis mehrsprachig ist. Da ist ein immer lockererer Umgang zu beobachten.
Manche sinnieren und glauben, es gibt auf Perspektive einen Einheitsbrei. Aber dem widerspricht die Entwicklung der letzten Jahrhunderte. Es bilden sich doch immer Kommunikationsnetze heraus, die Sprache für ihre Zwecke benützen und damit umgehen und etwas damit tun.