Cherchez la Femme (05/2022)
Viele Jahre ist es her, seit ich mit der Kulturvermittlerin und Frauenspaziergänge-Initiatorin Petra Unger im Leopoldmuseum eine Führung zum Thema Frauengeschichte und Kunst miterlebte. Zu dieser Zeit war ich schon politisch aktiv und hatte Feminismus studiert, doch immer wieder noch tauchten neue bedeutende gesellschaftspolitische Aspekte in der Kunst von Frauen in meinem Blickwinkel auf. Darunter jene, dass Frauen vor ein paar Jahrhunderten mit Sicherheit technisch genauso versiert waren, talentiert ohne Zweifel, jedoch keine eigenen Ateliers besaßen, demzufolge sie ihre Bilder im kleinen Format wählen mussten. Diese Werke wurden in ihren Zimmern gemalt; Künstlerinnen wurden klein gehalten, totgeschwiegen, reduziert, abgeschwächt, verniedlicht, unbedeutend gemacht. Diesen Frauen wurde das Einnehmen von Raum nicht zugestanden. Weder künstlerisch noch körperlich, wenn wir an das Korsett denken. Auch im Alter betrachtet man Frauen so, wie man sie immer betrachtet, der Geist ist sekundär, der sich verändernde Körper ragt heraus, als Mahnmal eines völlig natürlichen und selbstverständlichen, aber von Politik und Gesellschaft geringgeschätzten, marginalisierten, zu entsorgenden Alterungsprozesses. Das Alter, schreibt de Beauvoir, ist nicht nur eine biologische, sondern eine kulturelle Tatsache.
In Öl. So schön. So klein.
Wir standen damals in einer Gruppe mit Petra Unger im Leopoldmuseum vor einem sehr kleinen Bild – ich erinnere mich gut, weil mich diese Tatsache so erschütterte – etwa 20 mal 20 cm groß. Da hing es in dem großen Museum, in Öl, so schön, um nichts geringer als die Werke der männlichen Kunst-Helden, die sich gegenseitig in Größe und Bedeutung nach oben pushen (ließen). Strategisch haben wir aber nachgeholt, liebe Helden. Und deshalb fahre ich in die Landesgalerie Niederösterreich nach Krems, meine wunderbaren Nachbarn borgen mir ihren alten Ford und ich presche los. Da es dort eine Führung mit der neuen Direktorin Gerda Ridler gibt und sie die Schwester einer Freundin von mir ist, bin ich sehr neugierig auf das, was mich erwartet. Am liebsten gehe ich in Ausstellungen, wenn ich nichts über die Künstlerinnen weiß. Da ist das Hirn leer und der Geist offen und auf Empfang gestellt. Hingehen. Wenig reden. Sehen. Spüren. In dem Fall ist es so und kommt nicht von ungefähr. Ich bin froh, dass Kulturmanager:innen wie Gerda Ridler, einer exemplarischen Visionärin wie Isolde Maria Joham den entsprechenden allumfassenden Platz in der Niederösterreichischen Landesgalerie gibt. Dieser museale Ort für diese monumentalen Bilder sei das Mindeste!
Missbrauch von globalem Ausmaß
Isolde Maria Johams fotorealistische hyperrealistische Pop-Art-Malerei seit den 1970er-Jahren geht schonungslos drängenden Fragen ihrer Zeit nach. Die expandierenden Formate sind für Joham kein Selbstzweck, sondern probates Mittel, um die gezeigte Wirklichkeit und die Botschaft dahinter zu übersteigern. Es sind vor allem fotorealistische Werke, in denen Natur und Technik fusionieren beziehungsweise kollidieren. Nur ein kurzes Hinsehen gelingt mir vor dem Bild Die Frage der Energie. Man sieht drei Affen, mechanisch unbewegbar gemacht, gequält und in sichtbarem Leid, mittels sogenannter Tierversuche, in einer Welt aus Daten, Zahlen und Automatisierungen. Es ist ein Sujet, dass mich zutiefst erschreckt und verstört, erkenne ich doch am Umgang der Menschen mit den Tieren, was unverändert in den Menschen an Grausamkeit wohnt. Es macht mich weinen. Weil wir so langsam lernen. Weil wir so langsam nur verstehen. Mit Vehemenz konfrontiert mich Joham hier mit der Natur des Menschen. Es ist offensichtlich, dass Joham uns alle aufmerksam machen will. Die Menschen setzen sich moralisch über alles hinweg und zerstören Natur und eigene Lebenswelt. Ein unfassbarer Missbrauch von globalem Ausmaß. Ich schlendere durch die Räume, die mir für Johams Bilder viel zu klein erscheinen, und träume von einer wahrhaft riesigen futuristischen Halle, in der diese Werke gezeigt werden. Ich stelle mir vor, wie diese eindrucksvollen, überaus kraftvollen Bilder und Formen weit weg von mir platziert sind, 100 ja 200 Meter, sinniere ich, und wie ich mich langsam auf sie zubewege, eine Annäherung auf Zeit, die mich peu à peu Farbe, Strich, Form, Komposition erkennen lässt. Selbst ich, als nicht-akademische Malerin, erkenne bei Joham deutlich Handwerk und Präzision. Sie bringt Dynamiken in ihre Bilder hinein, oft durch mehrere Schichten. Besonders beeindruckend zeigt sich das in ihren Comic- und Manga-Bildern, beeinflusst durch ihre Asienreisen. Johams Blick auf artifizielle Wesen und künstliche Welten ist ambivalent und reizvoll.
Wasser für alle
Johams unerschöpfliche Neugierde spürt man in ihren Werken. Marvin, der kleine Roboter aus dem Film Per Anhalter durch die Galaxis demonstriert sinngemäß für «Wasser für alle». In einer Art Biosphäre wandelt Marvin über ausgetrocknete Erde, auf der Suche nach fruchtbarem Boden für eine Pflanze, die er in der Hand hält. In Johams Bildern avanciert Marvin zum Botschafter, Warner, Weltenretter. In früheren Arbeiten Johams erkenne ich eingangs in der Landesgalerie Werke aus Glas, die buddhistischen Gebetsmühlen ähneln. Imposant die Beschreibung eines Glasmosaiks in den 1960er-Jahren für die Altarwand der Herz-Jesu-Kirche in Selb. Unfassbare 1,4 Millionen venezianische Glasteile mit zum Teil eingeschmolzenem Gold wurden von ihr dafür verarbeitet. Das 75 m2 große Mosaik musste umfangreich geplant werden in Form von mathematischen Berechnungen, Ornamentstudien und Analysen von Kristallformen. Für das MAK schuf Joham 1969 einen Glasfensterzyklus in der zentralen Säulenhalle. Joham ist Pionierin der Glaskunst. Sie wird heuer 90 Jahre alt. In der einzigartigen Dokumentation von Christiana Perschon am Ende der Ausstellung, steigt Joham sehr bedächtig, mit gesenktem Haupt, ihre Malerleiter mit fünf Stufen hinauf.
Hinter ihr hängt im Großformat eines ihrer Werke. Ihr Blick ist stets bei der Kamera. Der verschmitzte Blick. Sie steigt wieder hinab. Schnitt. Sie steigt wieder hinauf. Hinter ihr ein anderes Werk. Schnitt. In ihrem Blick glaube ich alles zu erkennen, was ich auf Künstlerinnen in hohem Alter projizieren möchte: Stärke, Intellekt, Vision, Glaubhaftigkeit, Können, Würde und Anerkennung. Es war österreichisches Versagen, Isolde Maria Joham die öffentliche Anerkennung bis zu jener großen Werkschau versagt zu haben. Aber es gibt weibliche österreichische Museumsdirektorinnen mit Weitblick und dem Know-How, um genau das zu ändern. «Künstlerinnen aller Richtungen erleben die weibliche Lücke, die zwischen Fünfzig und Siebzig klafft», schreibt Bascha Mika in Mutprobe, «in diesen Jahren wechseln die Frauen zur Unperson, die gesellschaftlich weggeblendet wird, dabei soll niemand zusehen müssen.» Danach würden Frauen vereinzelt öffentlich wieder auftauchen: als große alte Damen, die «für ihre Erfahrung, ihre Klasse und Kompetenz geschätzt werden». Die weise Alte passt wieder ins konstruierte Bild. Die US-amerikanische Autorin Ashton Applewhite zeigt in ihrem Buch This Chair Rocks. A Manifesto Against Ageism, wie die Moderne die Sichtbarkeit älterer Menschen schrittweise reduziert und ihre Autorität untergraben hat, der rasche soziale Wandel, schreibt Erica Fischer in ALT – na und? habe das Lernen über die Vergangenheit weniger relevant erscheinen lassen. Verloren gegangen sei dabei das Gefühl für eine Lebensspanne, in der jedes Stadium seinen Wert und seine Bedeutung hat. Wie wär’s mit «Granny Dumping»? Das gibt es in der Tat in der westlichen Welt, das Aussetzen alter Menschen durch Verwandte. Angelehnt an RuPauls Drag Race habe ich da eine Idee: Granny Race. Lassen wir doch die ganz Alten in High Heels den Laufsteg entlangtorkeln, bis sie zusammenbrechen, das könnte man als Show verkaufen. Alles ausschlachten, schlachten bis zum Geht-nicht-mehr. Aber Leute – es geht doch schon so lange nichts mehr.
Isolde Maria Joham – Eine Visionärin neu entdeckt
Bis 9. Oktober
Landesgalerie NÖ
Museumsplatz 1, 3100 Krems
www.lgnoe.at