Mozart für die Würscht‘Artistin

Rudi Hübl, Volkskundler und Wildplakatierer, lobt den optischen Skandal

Im Augustinbüro holt Rudi Hübl seine mitgebrachten Würste aus dem Rucksack. Hauswurst geräuchert, luftgetrocknete sizilianische Salami, Kantwurst, Polnische, Speckwurst, Cacciatore, Dürre. Kein entsprechendes Aroma verbreitet sich im Raum. Hübl ist kein Fleischhacker und Pappmaché riecht nicht nach Geräuchertem. Die Ingredenzien seiner Würste sind die Drucksorten des Mozartjahres: Plakate, Werbefolder, Zeitungsartikeln. Mit seinen „Mozartwürsten“, die er in Performances produziert, stellt Rudi Hübl die zudringliche Vermozartung des kulturellen Lebens in Frage.Jenseits der Kunst ist Rudi Hübl Volkskundler und Kleinunternehmer. Seinem Gewerbe, wiewohl höchst legal, ist das Risiko des permanenten Regelbruchs eingeschrieben: Er plakatiert Plakate in einer Stadt der knappen Flächen im Auftrag von VeranstalterInnen, die sich die Gewista nicht leisten können, und schon gar nicht Fernesehwerbung. So betrachtet sind SchwarzplakatiererInnen demokratische Institutionen. Sie unterlaufen das demokratieunverträgliche Recht des Stärkeren, nämlich das Privileg der Geldkräftigen, ihren Informationen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen als jenen der Armen.

Hübls drei Welten – Wissenschaft, Beruf, Kunst – kennen keine deutlichen Grenzen, wie gleich zu sehen sein wird. „Ich brauchte einen Job, um mein Volkskundestudium zu finanzieren. Auf einem Aushang auf der Uni suchte eine Wildplakatiererin einen Mitarbeiter mit Auto. Ich besaß einen mit Kleister notdürftig zusammengehaltenen 2 CV und meldete mich. Damals, 1984, gab es drei Plakatierfirmen in Wien, die noch genügend freie Flächen zur Verfügung hatten“, berichtet Rudi Hübl von verflossenen Zeitaltern.

Heute wird die Mariahilfer Straße im Drei-Stunden-Rhythmus von konkurrierenden Plakatierern immer neu austapeziert. Absprachen zwischen den Firmen vermeiden die Eskalation des Konkurrenzkampfes: Wien ist territorial aufgeteilt. Und Rudi Hübl ist inzwischen Boss seiner eigenen Ein-Mann-Plakatierfirma. „Meine Nische war die Kaffeehausplakatierung. Nach dreijähriger Tätigkeit als Straßenplakatiergehilfe  das ist der Depp, der mit dem Kleisterkübl herumrennt, immer auf der Hut vor Polizisten ist und gelegentlich Passantenkommentare wie ,Unterm Hitler hätt’s des net gem‘ aushalten muss -machte ich mich zu einer selbständigen Firma.“

Man zahle zwar Steuer, sei jedoch Teil der regulären Ökonomie: im „Ankündigungsgewerbe“. Als Kleinunternehmer hat Hübl wenig mit der Klischeevorstellung des klandestinen Desperados gemein, der mit Plakatrollen und Kleisterkübel grundsätzlich nur nach Mitternacht unterwegs ist. Das Klischee ist doppelt falsch. Selbst die klassischen nichtprofessionellen Wildplakatierer, etwa die sprichwörtlichen BasiswapplerInnen politischer Organisationen, meiden die Nacht, da sie tagsüber viel unauffälliger arbeiten können. Die brutale Falle des Polizeiautoscheinwerferkegels, in dem der Quick-Kleisterer jedes Mal schneller vom Staat entdeckt wird, als er selbst den drohenden Staat in Form des Streifenwagens entdecken kann (eine physikalische Gesetzmäßigkeit, die jede Stadtguerilla als Erstes lernt), ist bei Tageslicht außer Kraft.

Präzedenzurteil: Schwarzplakatieren keine Sachbeschädigung

WildplakatiererInnen haben jedoch ohnehin lediglich mit Verwaltungsstrafen zu rechnen. Sachbeschädigung liegt nach vorliegendem Recht erst dann vor, wenn man nachweisbar als Erster auf eine bisher freie Fläche klebt – was WildplakatiererInnen in der Regel nicht tun (können). Ein Wild- oder Schwarzplakatierer, der nicht auf frischer Tat ertappt wird, kann nicht geklagt werden.

Rudi Hübl spricht von einem „Paradoxon“ seines Gewerbes. Als Ankündigungsunternehmer ist er in der gleichen Kategorie wie die Gewista und muss 5 Prozent Werbeabgabe an den Finanzminister abliefern. Gegenüber dem Fiskus arbeitet er also völlig legal, während er beim Ausüben der Tätigkeit mit einem Fuß in der Delinquenz steckt. Zwar ist die Plakatierfreiheit durch die Pressefreiheit geschützt, aber es gibt Landesverordnungen, die dieses Grundrecht einschränken. In Wien werde allerdings vieles geduldet. Nur im ersten Bezirk wird Plakatieren mit Kleister generell nicht toleriert, sodass hier die Verwendung des Tixobandes ratsam ist.

Die von der Stadtverwaltung eingeführten freien Litfasssäulen sind für Hübl Alibi-Demokratie. Die Zahl der zur Verfügung gestellten freien Flächen reiche vielleicht für eine Stadt wie Schwechat aus, nicht für eine Millionenstadt mit ihren kulturellen Angeboten.

Nicht jeden Auftraggeber akzeptiert Rudi Hübl. Er zieht Ankündigungen nichtkommerzieller Kulturveranstalter vor. Und Plakate, die interessante Optik transportieren und frech sind. Mit Freude nahm er die Plakate des „Wien ist andersrum“-Festivals in der ersten Periode der schwarzblauen Regierung entgegen: „Jörg ist schwul“, „Wolfgang ist eine richtige Sau“, „Karl-Heinz ist eine Schlampe“… Die Plakate waren rechtlich unangreifbar, „doch jeder hat damals den Witz verstanden“, schmunzelt Rudi Hübl.

Die „visual scandals“ Wiener PlakatkünstlerInnen

„Für mein Studium brauchte ich 40 Semester“, gesteht er. „Mein Diplomarbeitsthema: Die Geschichte des Wildplakatierens in Wien. Ich war davon ausgegangen, dass das Wildplakatieren in Wien ab den 70er Jahren, mit den ersten großen Popkonzerten, relevant wurde. Irrtum!“, sagt der plakatierende Plakatforscher. In der Stadt- und Landesbibliothek gibt es eine Sammlung von Wildplakaten aus dem späten 18. Jahrhundert. Die Walzer- und Theaterabende des Biedermeier wurden alle „wild“ beworben; ein Zeitgenosse mokierte sich über die Stadtverschandelung: Wien schaue wie eine einzige „Lumpenfabrik“ aus.

Hübls wissenschaftliches Interesse, das nach Studienabschluss nicht verblasste, gilt weiterhin dem Plakat. Auf dem Internationalen Graffiti- und Street-Art-Kongress, der eben in Wien stattfand, hielt er ein Referat zu den „visual scandals“ Wiener Plakatkünstler im öffentlichen Raum. Dabei hob er die Wildplakataktion des Künstlers Martin Gostner aus dem Jahr 2001 hervor. Seine „historischen“ Ankündigungsplakate für Veranstaltungen im Gasthaus Kupferpfandl (das Gasthaus war eine Fiktion, aber die Adresse war echt – nämlich die der Wiener Secession) stellte Gostner auch in den Kontext „Geschichte von unten“. Einer der imaginären Termine im Gasthaus Kupferpfandl war die Protestveranstaltung der Ruster Weinbauern „Original Ruster Qualitätswein JA BITTE!“ zur Zeit des Weinskandals, ein anderer ein Auftritt des Helden von Sapporo: „Das Kupferkandl grüßt Karli Schranz. 1809 – A. Hofer / 1972 – K. Schranz“.

Kriterium für ein gelungenes Plakat, so Hübl beim Graffiti-Kongress, sei die Fähigkeit, einen optischen Skandal auszulösen. Die wild affichierten Plakate bezeugten nicht nur den Reichtum dieser Stadt an kulturellen Veranstaltern (das habe sogar Bürgermeister Häupl im Wiener Landtag gewürdigt), sondern seien auch ein Gradmesser politischer und kultureller Liberalität. Nur eine Stadt mit wilden Plakaten sei eine gute Stadt, resümierte Rudi Hübl: Selbstlegitimation eines Berufswildplakatierers mit ausnehmend hohem Wahrheitsgehalt. Die KongressteilnehmerInnen jedenfalls fanden dieses Postulat, ergänzt mit dem Kriterium der Graffiti-Dichte, schwer okay.

Frage an einen Unzuständigen: Ob er es nicht paradox fände, dass ein Graffiti-Kongress ausgerechnet im Museumsquartier stattfinde, also im einzigen graffitifreien Areal der Bundeshauptstadt? Sowohl das Leopoldsmuseum als auch das Museum Moderner Kunst wäre bald mit einem drei Meter hohen Band aus Plakaten und Graffiti eingewickelt, gäbe es keine Überwachung, meint Rudi Hübl. Das Areal würde bald wie die Arena ausschauen. Er könne verstehen, dass das unerwünscht sei: Das Museumsquartier sei kein Platz des Alltagslebens, sondern der gehobenen Touristenabfertigung. Mit Verlaub, hier verstehen wir die Indifferenz unseres Gesprächspartners nicht ganz. Die glatten, dunkelgrauen Mumok-Mauern müssten eine Person seiner Profession zu Kleistertränen rühren …

Ein Tipi aus Plakathaut

Wie kam der Wissenschaftler und Kleinstunternehmer zur Kunst? „Irgendwann ist es mir zu blöd geworden, immer nur Plakate zu affichieren – so erwachte der Künstler in mir. Nach der Arbeit, nach ein paar Bieren, begann ich die Köpfe der auf den Plakaten abgebildeten Figuren zu vertauschen, sodass manche Prominente sich in peinlichen Situationen wiederfanden. Die so modifizierten Plakate erschienen im öffentlichen Raum, an den Kaffeehauswänden.“

Inzwischen fällt Hübl durch Neuentwicklungen auf, wie schwer das auch fällt in einer Zeit, in der „alles schon dagewesen“ ist in der Kunst. Seine Kunstform nennt er „urbane Volkskunst“. Sie rekurriere mit unterschiedlichen Methoden und Techniken auf aktuelle Themen: „Auf das Mozartjahr reagiere ich, indem ich aus den unübersichtlich gewordenen Drucksorten des Jubiläumsjahres Pappmaché mache und damit bunte Würste erzeuge. Denn eine Stadt, in der es an jeder Ecke Mozartkugeln zu kaufen gibt, und sogar richtige Würste mit dem Mozartlogo drauf, braucht auch die Mozartplakatwurst.“

Im Rahmen des Festivals SOHO in Ottakring will Hübl das Plakathauttipi aufstellen. Nicht indianische Fellhäute, sondern Mozartjahr-Plakate sind das Baumaterial eines solchen Zeltes. In diesem Tipi werden KünstlerInnen Quertreibereien zum Mozartjahr kultivieren. Das ethnologische Interesse für das Tipi und das berufliche Interesse für das Plakat wird zum neuen Kunstprojekt synthetisiert – eine Kombination ganz nach dem Geschmack des vielseitigen Ankündigungsunternehmers Rudi Hübl.

Unter www.referatmozart2056.com ist die Verwurstungs-Performance Rudi Hübls dokumentiert. Archiv vom 21. Jänner 2006 anklicken!

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