Multikulturelles Weihnachten im Ute Bock FlüchtlingshausBoulevard-Blog

Boulevard-Blog vom 21.12.2022

In der Zohmanngasse 28 leben 90 Menschen aus 42 Nationen unter einem Dach. Eine persönliche, kulturelle Verbindung mit Weihnachten haben nur wenige von ihnen. Dennoch bringen die anstehenden Feiertage eine besondere Stimmung auf, wie man beim Besuch am 19. Dezember merkt.

«Wir helfen jenen, denen sonst keiner hilft», lautete das Credo der Wiener Menschenrechtsaktivistin Ute Bock. Seit ihrem Tod 2018 wird ihr Lebenswerk von einem diversen Team aus Sozialarbeiter:innen weitergeführt. Menschen mit Fluchthintergrund finden in den Wohneinheiten des Vereins ein Zuhause. «Manche sind erst seit ein paar Tagen hier, manche sind schon vor zehn Jahren gemeinsam mit Ute Bock hier eingezogen.», erklärt Maren Riebe, die Pressesprecherin des Hauses, als wir gemeinsam durch das Wartezimmer der Sozialberatung gehen.

Hier erfährt man von Schicksalen, die Paradebeispiele für die nicht-funktionierende Flüchtlingspolitik und Bürokratie sind. «Vorwiegend sind wir ein Ort für jene, die durch das staatliche System fallen. Das sind beispielsweise Menschen aus dem Irak, die in Österreich kein Asyl bekommen, aber auch nicht zurückkönnen, weil sie das Land einerseits nicht aufnimmt und sie andererseits ja Gründe haben, warum sie von dort weggegangen sind.», erklärt Maren Riebe die ausweglose Situation.

Am Gang trifft man auf eine Seniorin mit Rollator, ein schlafendes Baby und eine Gruppe junger Afrikaner. Auf den Bänken wartet eine Frau im indischen Sari neben einer Muslimin mit Kopftuch. Und im Eck hinter ihnen steht ein großer, prächtig geschmückter Weihnachtsbaum. «Eine russischstämmige Bewohnerin lag meiner Kollegin die letzten Wochen ständig in den Ohren, wann sie denn endlich mit dem Dekorieren anfangen könne. Letzte Woche war es dann so weit, und was soll ich sagen: Ich glaube, so weihnachtlich hatten wir es hier noch nie.», lacht Maren Riebe.

Grundsätzlich ist das Ute Bock Haus konfessionslos. Auch wenn die Mitarbeiter:innen über religiöse Feierlichkeiten wie etwa das Fastenbrechen nach dem Ramadan Bescheid wissen, spezielle Feierlichkeiten gibt es offiziell nicht, sagt Riebe. «Aber wenn jemand zu einem Anlass unbedingt dekorieren möchte, dann haben wir da nichts dagegen. Das Bedürfnis danach kommt wahrscheinlich davon, dass es ein Gefühl von zuhause vermittelt. Die besagte Klientin verbindet das eben mit ihrer Heimat, ihrer Familie und möchte das hier, vor allem ,wenn sie allein ist, nicht missen. Und wenn es ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubert, wenn sie den Baum schmücken darf, dann geben wir ihr gerne die Möglichkeit dazu.» Auch der Innenhof ist feierlich geschmückt. Ein Bewohner, der aus dem Irak stammt, hat kürzlich Lichterketten, Kugeln und Figuren aufgehängt. Auch zu Ostern mache er das so. Es scheint, als sei das Warten auf ein Fest hier eine willkommene Ablenkung vom ewigen Warten auf einen Aufenthaltstitel und ein selbstbestimmtes Leben. Ganz egal, woher der Brauch schlussendlich kommt.

Jede:r kann Weihnachten feiern

«Wir im Ute Bock Haus sagen: Weihnachten ist nicht Religion, sondern Tradition. Oder eigentlich Popkultur.», so Maren Riebe. Man könne es mit Halloween vergleichen: Immerhin habe dieses Fest nichts mit österreichischer Kultur und Tradition zu tun – und dennoch feiern mittlerweile viele Leute kostümiert am 31. Oktober ihre Toten. «In beiden Fällen handelt es sich quasi um kulturelles Cherrypicking – das heißt ich nehme mir jene Teile eines Anlasses heraus, die mir gefallen und feiere sie in der Gemeinschaft mit anderen.» Es sei ein Anlass, um eine gute Zeit zu haben, sagt sie und daran sei nun mal nichts Verwerfliches.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Vereins Ute Bock wird es deshalb heute, vier Tage vor Weihachten, ein Hausfest geben. Dazu sind alle Bewohner:innen sowie Mitarbeitende eingeladen, erzählt Maren Riebe. «Wir nennen es aber bewusst nicht Weihnachtsfeier, da wir niemanden ausschließen möchten. Es ist eher ein gemeinsames Feiern mit winterlicher Deko.»

Woher kommt der Weihnachtsmann?

Für die «Büffelböcke» – das sind armutsbetroffene Kinder mit Fluchthintergrund, die in der Lernbetreuung des Hauses sind – gab es am Dienstag ein Winterfest. Hier steht Weihnachten dann mehr im Fokus – statt dem religiös geprägten Christkind ist aber der popkulturelle Weihnachtsmann vorbeigekommen. Über dreißig Kinder setzten sich mit kleinen Laternen im Kreis auf den Boden vorm Weihnachtsbaum. Ein Klopfen an der Tür – eine freundliche Stimme mit kolumbianischem Akzent – und die Frage: «Wart ihr denn alle brav?». Die Kinder sind begeistert und klatschen. Als der Weihnachtsmann hereintritt, stellt er zunächst die Frage: «Wisst ihr denn, woher ich komme?». «Aus der Türkei!», ruft ein Bub. «Nein aus Deutschland», ruft ein anderer. Schließlich die Antwort: «Du kommst doch vom Nordpol.» Erfrischend, dass die Frage nach der Herkunft einmal nicht den Kindern selbst gestellt wird.

Dann werden die Geschenke verteilt. Pro Kind ein Packerl, gesponsert von den Mitarbeiter:innen einer Finanzfirma. Die Kinder freuen sich riesig, umarmen den Weihnachtsmann und danken dem im Elfenkostüm steckenden Zivildiener. Es ist ein anderes Weihnachten, als man es in Österreich kennen mag – die Stimmung jedoch ist dieselbe. «Gemeinschaftlich feiern und Geschenke auspacken – und dabei geht es um mehr als das Materielle. Es geht um soziale Teilhabe, um das Mitreden-Können. Auch wenn die eigene Familie nicht Weihnachten feiert und sich die Eltern das Geschenk nicht leisten können. Man ermöglicht den Kindern, dass sie in der Schule auf die Frage ‚Na, was hast du zu Weihnachten bekommen?‘ sagen können: ‚Das hab ich bekommen‘. Das macht einen großen Unterschied.», stellt Maren Riebe klar.

Über das Sponsoring sei man froh, denn auch wenn die Weihnachtszeit ein karikatives Hoch bedeutet, so merke man einen deutlichen Unterschied zu den vergangenen Jahren. «Wir hören derzeit oft von den Spender:innen: ‚Ich würde gerne mehr geben, aber ich kann nicht, weil ich es selber brauche.‘» In Zeiten multipler Krisen ist die Spendenbereitschaft gesunken und die Kosten sind gestiegen. Damit hat auch das Ute Bock Haus zu kämpfen. Wie auch andere soziale Einrichtungen hoffe man auf baldige Ausgleichszahlungen, vor allem im Hinblick auf die steigenden Energiekosten.

Auf die Frage, was denn ein konkreter Weihnachtswunsch in Richtung der Politik ist, heißt es: «Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete – das würde allen in allen Bereichen schnell helfen. Die Menschen könnten sich dann selber versorgen und bräuchten keine staatliche Unterstützung. Außerdem gibt es am österreichischen Arbeitsmarkt den Bedarf. Und für unsere Klient:innen hat es auch was mit Selbstverwirklichung und Lebenssinn zu tun.»

Dass es diesbezüglich zu einem Weihnachtswunder kommen wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Das Thema Flucht wird aktuell seitens der österreichischen Politik wieder stark negativ instrumentalisiert. Dafür ist es umso schöner zu sehen, dass die besinnliche Stimmung und das gemeinsame Feiern im Ute Bock Haus den Menschen hilft, die aktuellen Krisen zumindest für einen Moment zu vergessen.

www.fraubock.at

Bild 1: Krippe, Weihnachtsmann und arabische Schriftzeichen am Servicepoint des Ute Bock Hauses. Im Hintergrund sieht man ein Porträt der Gründerin.
Bild 2: Der kolumbianische Weihnachtsmann vom Nordpol schaut beim Winterfest der Büffelböcke vorbei.
Bild 3: Maren Riebe ist die Pressesprecherin des Ute Bock Hauses im zehnten Bezirk.

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