In allen Gassen Wiens ist das «Ich weiß es nicht mehr» zu Hause. Sie haben ihr Wissen vergraben, stöbern darin auf verkehrte, aber nicht bekehrte Art und Weise. Wenn die Tulpen blühen, geben sie ihrer Stadt einen Kuss, eine Umarmung dazu, wenn es die Rosen sind.
Grafik: © Silke Müller
Alle kochen sie mit Wasser. Die Zuagrasten auch. Die vielen Landler, die in der Hauptstadt ihr Glück versuchen, meinen ihren Intellekt schulen zu können, tiefgründig zu werden. Eine Zeit lang, eine Lebensperiode nuscheln sie am Wien-Sein, aber dann plagt sie das Heimweh. Die Trachten rufen und das Gschertere. Spätestens den Lebensabend verbringen sie in ihrer Ursprungsheimat. Aber das sind ja Unsereiner. Da sind noch die ehemaligen Jugoslawen, der damalige Ostblock. Alle spazieren sie bei der Tür herein mit ihren Identitäten. Und Wien eröffnet sich mit einem Raunzer, aber doch mit dem rechten Herz am Fleck. So summt die Biene der Völker mit ihren Eigenheiten – die einen sind leichter zu verkraften, die anderen stehen im sanften Duell. Doch niemand hat so gerne getanzt wie du und ich: rumänisch und österreichisch, eigentlich Burgenland. Doch unser Nacheinandergriff war kurz, innig und endete unfreundlich. Keiner habe den anderen je geliebt, war beider Endstatement.
Sieb der Vertrautheit. Tempo des Entsetzens. Der Stolz lügt so gerne, sodass am Ende wieder eine Frage übrig blieb. Die Frage, die ich an die Tafel schrieb, dieses große Fragezeichen und es dann wegwischte. Im Fragen verliert sich der Denkzug. Die Hagebutten an diesem Zweig sind dicht und dünn, aber rot. Rot – die Farbe, die so viel berichtet und sagt und prophezeit. Lupenfänger. Gnade der Unglücklichen. Wasserwelle, die uns vorantreibt bis zum Untergang. Im Wasser hat das kleine Schicksal in unser Vorhaben gepfuscht. Plötzlich lag ich am Hang neben ihm, und er griff schnell und zackig nach meiner Hand. Sanfte linke Hand. Alles verlief klassisch normal. Energetisch war er, ein angehäufter Abstellplatz. Ich trank Kaffee. Wir lachten unter der Decke. Das große Versteckspiel der großen Kinder. Er amüsierte mich. Ich hatte noch nie beim ersten Anblick schlottrige Knie bekommen. Jene, die es potentzell auslösen könnten, zu deren Beuteschema zählte ich nicht.
Bettgeflüster und Hormonrausch
Gedankendunst, T-Zug und wir waren am Steuer. Bettgeflüster und Hormonrausch. Man kann es wissenschaftlich und moralisch hin- und herbiegen, wie man es möchte – Liebe und hormonelle Bedingtheit haben den gleichen Charakter. Ich spreche von Spontanliebe. Das Match Straßenkind und burgenländische Mittelklasse hat begonnen. Ich gab Worte preis, die er nicht verstand, und ich verstand seine falsch. Google Translator hatte eine Treffsicherheit von 62,5 %, wobei ich an seine Rechtschreibung nicht ganz glaube. Seine Lehrerin war die Straße mit den vielen Kurven und Windungen. Ab acht Jahren von einer rumänischen Stadt in die andere. Es lebe die Abwechslung. Es lebe die gute alte Dame im Zug, die bereitwillig das Ticket des Knirpsen bezahlte. Bergauf, bergab und dazwischen schnell die Kurve kratzen, bevor die nächste Serpentine ihn in die Enge trieb.
«Ja, Schatzi.» Er war der Mann, ich kochte Kaffee. Gerne. Ich schielte in die Freiheit, und er würgte sich vor Hunger, weil er kein Geld für Essen hatte. Da stürmte ich herbei mit eins, zwei, drei Essensrationen. Die Sonne brutzelte noch Wasser, weil es ihr in ihrer eigenen Haut zu heiß war. Seinen Hunger, leibhaftigen Hunger vernahm ich auch, als ich auf der Couch lag. Er half sich mit Kamillentee. Am folgenden Tag musste er Fenster schleppen. Er sagte, wie es ihm seine Erfahrungen zeigten, er habe immer noch zu essen bekommen. Er wirkte unbeeindruckt von der Situation und ziemlich männlich. Mir «pledderte» alles. Und es gab mir das Gefühl, Retterin zu sein. Ihn zu retten, einen Teil der Welt zu retten. Selbst befugt zu sein, so viel zu haben, um teilen zu können. Er sagte: Danke, Claudia. Tage zuvor erzählte er mir, er sei obdachlos gewesen, ganze drei Jahre. Kalt sei es im Winter, auch unter der Philadelphiabrücke. Doch seinen rumänischen Stolz hatte er nicht verloren. Er pflegte ihn, so wie er sich pflegte. Das war der Punkt, in dem er mir imponierte. Diese Komponente, sich nicht brechen zu lassen, trotz widriger Umstände. Grenzgänger. Fast möge Romantik aufkommen. Doch die Welten zwischen uns waren grausam, hatten nicht an die beiden Findelkinder gedacht, einen Bogen um uns gemacht, uns alleine gelassen mit der gegenseitigen Aufgabe, die wir vermasselten. Er nicht ganz unbescholten, ein Halunke. Schmerz hat immer mehrere Ursprünge, und manche lagen tief und Jahrzehnte unterm Teich am Wienerberg oder Neusiedler See oder Schwarzen Meer. Er war der Tonangeber, und so empfand ich im Glockenschlag in seiner Abwesenheit einen tiefen Schmerz mit ihm als belanglosen Auslöser. Eigentlich tat er mir schon am ersten Tag weh. Er erinnerte mich an jemanden, der mich gezeugt hat, ständig bemüht, aus mir etwas zu machen, das ich nicht sein wollte und schon gar nicht war. Das ging unter die Gänsehaut. Das schlug sich auf den Magen. Das durchkreuzte meine Liebesblase. Im Himmeljuchee ist nicht immer Gott zu Hause. Jede Strecke hat ein Lied. Manchmal verband ich mir die Augen, um zu sehen.
Herzplatten, Sonnenlicht
Es brauchte zwei Wochen, bis das Spiegelbild Wappen trug. Nur ich weiß, dass ich klüger bin als der Rest der Welt. Der Takt schlägt, wenn meine Haare vom See trocknen. Silbern schimmert er mir entgegen. Muss die beste Freundin ein Mensch sein? In der Fraktur des eisernen Bechers marmorierte das Leben mich neu. Ich lag auf meinem Handtuch wie eine Prinzessin, die ich dann und wann auch sein will. Herzplatten, Sonnenlicht – auf den Spuren Wiens bin ich auf Bukarest gestoßen. Mulțumesc M.! Die Einstellung des Fokus war richtig, nur die Stellung war nicht korrekt. Mit Krims-Krams und dem Duft nach Honig erhöhe ich meinen Marktwert. Lachende Millimeterfront mit der Schonung vergünstigter Teufelsmüh. Im süßen Hoffnungsfutter liegt die Würde und der Stolz in unserem Rückgrat. Aufgebäumt. Mit Weizen besät. Und im Gold auf zehn Finger geklopft. Haftung in der Maschinerie geflossener Milliarden von Samenzellen. Aufgelöst in Blut und einem Moment, der Glashandschuhe um den Hals gelegt hat.