Museum gegen die Verteidigung des AbendlandesArtistin

Die Geburt des Museums für Migration dauerte zwei Tage. Eine temporäre Ausstellung in Ottakring präsentierte Ende Februar, was bereits für ein solches Museum gesammelt wurde. Text: Kerstin Kellermann, Foto & Installation: Petja Dimitrova, Interview: Lisa Bolyos

Ein Parkplatz, eine alte Fabrik, eine Etage mit einer Fensterfront Richtung Ottakringer Bierbrauerei. An einer Wand gleich beim Eingang hängen verlorene Schuhe und ein kaputtes Smartphone über großen Fotos von Flüchtlingen mit schweren Gesichtsverletzungen. «Wir können das nicht mit Menschen machen», sagt eine Frau, die Hilfstransporte nach Bosnien begleitet. «Punkt. Aus. Ende. Illegale Rückführungen durch kroatische Grenzpolizisten sind in der EU nicht erlaubt.» In der Ausstellung in der Galerie Die Schöne in Ottakring wurden von 21. bis 23. Februar die unterschiedlichen Initiativen vorgestellt, die in einem zukünftigen Museum der Migration ausgestellt werden sollen.
Sieben Transporte nach Bosnien gab es bereits, «diese Menschen haben wirklich nichts mehr. Die offizielle Taktik ist die des Aushungernlassens», sagt die Dame. Es gibt sogar einen Brief eines unzufriedenen Polizisten dort an der Wand. «Willkommen in der Gegenwart», sagt der Rapper Petar aka Kid Pex von SOS Balkanroute, «das am meisten Schockierende ist die sogenannte Verteidigung des Abendlandes. In einem Minenfeld auf einer Mülldeponie werden Menschen entsorgt. Es gibt keinen Strom, keine Anlagen. Einst war die Fabrik auf dem Gelände das Symbol des agrarwirtschaftlichen Erfolgs Jugoslawiens, heute ist sie das Symbol der Schließung der Balkanroute.»

In Kunst umformen.

Es sei schwer gewesen, die gewalttätigen, menschenfeindlichen Ereignisse in Ausstellungsgegenstände umzumünzen. Schachteln symbolisieren die Hilfsgüter, auf ihnen sind Fotos (von Ben Owen Browne) der bosnischen, «sehr gläubigen» Frauen zu sehen, die die Flüchtlinge unterstützen, obwohl Bosnien als armes Auswanderungsland selber nichts hat. «They treat us like animals and criminals. But all we want is to start our lives in a safe place, to have a chance to live in peace», ist die abgedruckte Aussage eines der Geflüchteten.
«Alle Teile der Ausstellung sind von den Migrantengruppen selber», sagt Ljubomir Bratić, einer der Organisator_innen (Interview siehe Kasten). «Es gibt einen selbsthistorisierenden Moment, endlich Blicke auf sich selbst. Sie sind zur Sprache gekommen, sie können sprechen!» Bratić versucht seit Jahrzehnten ein Museum der Migration zu verwirklichen. 2017 kuratierte er eine große Gastarbeiter-Ausstellung im Belgrader Museum Jugoslawiens mit, 2012 leitete er mit Arif Akkılıç die Kampagne Für ein Archiv der Migration, jetzt!. Die Ausstellung Gastarbajteri der Initiative Minderheiten in der Wiener Hauptbücherei und das Migrations-Thema im Haus der Geschichte waren Teilerfolge der Bemühungen.
In Ottakring ist nun das Transparent «Alhamdulillah» aufgehängt, das in einem Bergrestaurant im Dreiländereck bei Arnoldstein die Gäste begrüßte. «Das war eine Ausstellung in Schwebe», meint Künstlerin Natalie Deewan, «sie fand nicht ungeteilten Anklang.» Ein gewisser Getränkehersteller meldete sich bei ihr, sie musste ihm versichern, «dass sie keine Getränkeproduktion starten möchte».

Mehr als Gedächtnisspeicher.

Auf einem gemalten Bild ein alter Mann mit blauem Bart, eine Frau, die schreit, eine Taube und ein Schwert. Der Mann soll Firik Dede darstellen, der 110 Jahre alt wurde. Nachdem Dede in einem Wald bei seinem armenisch-türkischen Dorf seine beiden ermordeten Söhne fand, ließ er sich seinen Bart nicht mehr schneiden. «Verschiedene Derwische kamen nach dem Vorfall zusammen», steht dabei und: «Das Herz ist ein Schiff, doch du bist das Ruder. Diese Derwische möchten dessen Segel öffnen. Wir sind die Kinder eines Glaubens, der die Liebe in die Herzen der Menschen einpflanzen möchte und dessen Weg durch die Liebe zur Schöpfungskraft des Universums gekennzeichnet ist.»
Es findet sich noch sehr viel Material für ein Museum in dieser Ausstellung: Die Zeichnungen von Petja Dimitrova zu einem Friseursalon von Nigerianerinnen zum Beispiel, oder ein kleiner angekohlter Elefant nach einem Brandanschlag auf das Afrikadorf – in der Mitte von lauter Protest-Plakaten bezüglich der Tötung von Seibane Wague im Wiener Stadtpark. Eine Initiative möchte, dass am ehemaligen Südbahnhof ein Denkmal für die «Gastarbeiter_innen» errichtet wird. «Es waren oft die gleichen Firmen, die sich Gastarbeiter holten, die in der NS-Zeit von Zwangsarbeitern profitiert hatten», berichtet Künstlerin Elena Messner über ihre Forschungen in München. Neben ihr ein Schild: «Wollen (Migrations)Museen nicht nur Gedächtnisspeicher, sondern aktive Akteure in der Configuration of Memory sein, dann müssten sie sich als Orte konkurrierender Erinnerung und Gedächtnispolitiken verstehen, Aushandlungsprozesse sind notwendig.» Zeit wird‘s für ein österreichisches Migrationsmuseum! 

 

Vom Lippenbekenntnis zur Museumspraxis

Wieso braucht Wien ein Migrationsmuseum?
Ljubomir Bratić: Erstens sollte eine Weltstadt ein Migrationsmuseum haben, schlicht weil Migration die Welt prägt. Zweitens haben 60 Prozent der Kinder, die im Herbst in Wien in die Volksschule kommen, zumindest einen Elternteil, der von woanders herkommt; und diese Kinder haben ein Recht auf ihre Geschichte. Und drittens könnte man den Menschen, die die U-Bahn, die Uno City und die Tourismusindustrie auf ihren Schultern tragen, doch einmal danke sagen. Ein Migrationsmuseum wäre ein Raum der Anerkennung, auch der Entschuldigung für Ausbeutung, ein Ort mit wichtigen politischen, kulturellen und historischen Aufgaben. Damit würde Wien vom Lippenbekenntnis, eine offene Stadt zu sein, zur angewandten Praxis einer Einwanderungsgesellschaft gelangen.

Wieso hat Wien kein Migrationsmuseum?
Wien ist, trotz gegenteiliger Beteuerung, noch immer das Zentrum einer nationalistischen Ideologie in Österreich. Und so eine Nation denkt sich gerne als Monolith! Mi­gration ist eine unsichtbare, aber auf Dauer durchaus wirksame Infragestellung dieser Vorstellung. Und da kommen große Unsicherheiten auf: Die haben einerseits mit einem historischen Vermächtnis von der Habsburger Monarchie über den bedeutungslosen Kleinstaat, vom Nationalsozialismus bis in die Zweite Republik und ihre spezifische Form der Sozialdemokratie zu tun. Und andererseits mit den Privilegien von Mehrheitsangehörigen, die sich anhand der komplexen Vergangenheit in Ängste verwandeln lassen, die man dann, je größer das Krisenbewusstsein ist, umso erfolgreicher schüren kann.

Temporär hat das Museum für Migration in Ottakring seine Pforten geöffnet. Wie sah der Weg dorthin aus?
Grob gesagt waren die Stationen auf diesem Weg die Arbeit an der Ausstellung Gastarbajteri in Wien, die Kampagne Für ein Archiv der Migration, jetzt! und die sechsmonatige Ausstellung in Museum Jugoslawiens in Belgrad über spezifische «Gastarbeiter»-Migration aus Jugoslawien. Tatsache ist, dass wir mit unsere Initiative für die Errichtung eines Archivs der Migration im Jahr 2012 in westlichen Bundesländer auf viel größeres Verständnis stießen als in Wien. Warum, das wäre eine Fragestellung für eine große soziokulturelle Studie. Das Vorarlberg Museum beschäftigt sich ernsthaft mit Migration und sammelt auch dazu, in Tirol gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Ausstellungen, und im Rahmen der Migrationsberatungsstelle wurde eine Dokumentationsstelle in­stalliert, in Salzburg hat das Stadtarchiv eine Stelle für das Sammeln von Migration errichtet. Nirgendwo ist es so weit, dass ernsthaft an die Errichtung eines Museums der Migration gedacht wird. In Wien aber müsste alles von null auf angestoßen werden.

Und wie geht es weiter?
Ich glaube nicht, dass es in den großen Institutionen, den Museen, Archiven und Galerien ein übermäßig großes Interesse an diesem Thema gibt, denn dort wird ein anderes Geschichtsverständnis praktiziert. Und wir sind vorsichtig geworden: Wir wollen uns nicht als liberales Aushängeschild ausnützen lassen. Worauf wir setzen, ist die einfache Tatsache, dass die Folgegenerationen der Migrant_innen, wenn ihnen kein Recht auf die eigene Geschichte gewährt wird, dieses Recht fordern werden. Bildung bringt Artikulationsmöglichkeiten mit sich, und diese fordern Räume und Strukturen. Am Ende dieses Prozesses werden sich die Archive und Museen mit den gesellschaftlichen Realitäten konfrontieren lassen müssen, und es werden Orte und Räume geschaffen werden, in denen an der Kontinuität der Historisierung der Migration und der Migrant_innen gearbeitet wird.

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