Musik als wilder SpielplatzArtistin

Mona Matbou Riahi ist Klarinettistin. Sie ist Teil des Berliner Trickster Orchestra, des Ensembles Gabbeh mit der Sängerin Golnar Shahyar und dem Kontrabassisten Manu Mayr und gründete mit der Gitarristin Golfam Khayam das Naqsh Duo. Ihr Spiel zeichnet sich durch einen unverkennbar starken und dynamischen Klang aus. Klassisch ausgebildet, wandte sie sich innerhalb der letzten Jahre immer stärker dem Feld der experimentellen Musik zu sowie der Arbeit mit Elektronik und anderen Medien. Die gebürtige Iranerin lebt nun schon seit vielen Jahren in Wien, in einer Stadt, die ihr unter die Haut geht, wie sie sagt.

TEXT: KATRIN HAUK
FOTO: NINA STRASSER

Schon in jungen Jahren wollte Riahi, Jahrgang 1990, Musikerin werden und beschreibt sich selbst während dieser Zeit als schüchternes Kind, das in seiner eigenen Welt lebte. In Teheran spielte sie anfangs Blockflöte bei einer deutschen Lehrerin, die sie eines Tages fragte, was sie in Zukunft machen wolle. «Musikerin sein, so wie du», war die Antwort. Mit zwölf Jahren wechselte sie an das Teheraner Musikgymnasium. Blockflöte wurde dort nicht unterrichtet, weswegen sie sich für ein anderes Instrument entscheiden musste. Durch einen glücklichen Zufall wechselte sie zur Klarinette. Ihr Lieblingsinstrument war es zu Beginn nicht: «Am Anfang gab es eine Hassliebe zum Instrument. Ich konnte die Klarinette nicht aushalten. Ich habe sie immer unter meinem Bett oder in Kästen versteckt, aber ich wollte im Musikgymnasium bleiben. Ich begann, mit dem Klang zu experimentieren und Straßenklänge oder Klänge aus der Natur, die ich mochte, zu imitieren.» Sie erzählt, dass ihr das Feld der Musik schon in diesem Alter die Möglichkeit bot, Gefühle und Emotionen in anderer Form zu zeigen. «Musik war zu dieser Zeit meine Sprache ohne Worte.» Noch bis heute stehe Sprache für sie häufig zwischen den Dingen, wie sie meint. «Ich betrachte Blumen. Manche sagen, die Blumen sind schön. Ich möchte dieses Adjektiv aber nicht dazwischen haben. Ich schaue mir die Blumen an und lasse die Erfahrung auf mich in einer anderen Weise wirken. Wo Worte enden, fängt für mich die Musik an. Ich habe mit Sprache im Allgemeinen ein Problem, auch mit dem Persischen, meiner Muttersprache. Es ist für mich auch ganz schwer, auf der Bühne zu reden.»

Teheran-Wien-Berlin.

In den darauffolgenden Jahren nahm sie an vielen Musikwettbewerben teil und gewann 2006, mit 16 Jahren, den Mozart-Wettbewerb in Teheran, der in Kooperation mit der Kunstuniversität Graz stattfand und für sie der ausschlaggebende Grund war, nach Europa zu gehen, um an einer österreichischen Musikuniversität Klarinette zu studieren. Nach der Matura in Teheran startete sie dann mit einem Klarinettenstudium an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien bei Wolfgang Kornberger und Rupert Frankhauser. In der Millionenstadt Teheran aufgewachsen, empfand sie Wien anfangs als Dorf, wie sie lachend erzählt. Über die Jahre hinweg sei ihr Wien aber sehr unter die Haut gegangen, durch viele freudige, aber auch schmerzhafte Momente, wie sie meint. Der Wunsch, in anderen Städten der Welt zu leben, sei für sie dennoch vorhanden.
Eine enge Beziehung hegt sie zu Berlin. Seit 2016 ist sie Teil des dort ansässigen Trickster Orchestras, das von
Cymin Samawatie und Ketan Bhatti geleitet wird und sich musikalisch auf das Spiel komponierter und improvisierter Musik fokussiert. Samawatie hörte ein Konzert von Riahi mit der Gitarristin Golfam Khayam in Berlin und lud sie daraufhin ein, fixes Mitglied des Trickster Orchestras zu werden. Das Orchester war 2019 auch Teil des sechsstündigen Mammut-Projekts Sonic Genome des amerikanischen Komponisten und Musikers Anthony Braxton im Rahmen des Jazz Festivals Berlin. Diese Begegnung stellte für Riahi ein prägendes Ereignis dar, wie sie erzählt, nicht nur auf musikalischer, sondern vor allem auf menschlicher Ebene. «Braxton war sehr locker und schenkte uns Musikern so viel Vertrauen. Seine Gedanken waren sehr inspirierend für mich, und mir gefiel diese kindliche Seite an ihm. Er lachte viel, probierte Sachen aus. Braxton meinte, es gibt immer Grenzen und Beschränkungen. Wenn du dich traust, über Grenzen zu gehen, dann merkst du, dass es keine Beschränkungen mehr gibt.»

Naqsh Duo.

Zu einem ihrer zahlreichen Projekte zählt das Naqsh Duo mit der Gitarristin Golfam Khayam. «Wir haben uns ganz zufällig am Flughafen in Genf kennengelernt und uns sofort sehr gut verstanden, musikalisch wie menschlich. Es war reine Magie. Seit Ende 2014 arbeiten wir nun schon miteinander.» Ihre Stücke komponieren sie selbst, wobei sie gern erweiterte Spieltechniken und Kombinationen an Klangfarben in ihre Musik einfließen lassen, die sich zwischen «persischen Harmonien, klassischen Klängen und zeitgenössisch improvisierten Jazzrhythmen» bewegt. Ihr Debütalbum Narrante veröffentlichten sie beim renommierten deutschen Label ECM. Das Duo konzertierte bereits in der Elbphilharmonie Hamburg und in vielen weiteren Konzerthallen der Welt. Im Moment warten sie darauf, wieder ins Studio gehen zu können, um ein neues Album aufzunehmen.
Khayam lebt in Teheran. Um zu proben und neue Konzertprogramme zu erarbeiten, fliegt Riahi meist in den Iran, wo auch ihre Familie lebt. Sie ist mit dem Land und dessen Kultur noch immer eng verbunden, wie sie erläutert. «Ich habe viel von diesem Land gelernt. Die iranische Natur ist eine große Inspirationsquelle für mich. Die Natur ist unglaublich und die Landschaft ohne Ende. Mich begeistern die Vielfältigkeit und die Kraft der Natur sowie ihre Zartheit und Zerbrechlichkeit.» Die Spontanität im Leben sei im Iran außerdem viel größer, man lebe mehr den Moment. «Die Menschen sind dazu gezwungen, so zu leben, denn das System funktioniert ganz anders. Manchmal ist es schwierig, überhaupt ein System zu finden. Alles ist mehr ein Versuch, und das Miteinander ist dabei sehr wichtig.»
Im August 2019 spielte sie ein einstündiges Solokonzert im Rahmen des in Teheran stattfindenden Festivals für improvisierte Musik Show of Hands.
Riahi empfand diese Einladung als große Herausforderung, denn solistisch spielte sie bis dahin nur selten. «Für Solokonzerte habe ich immer ein Konzept im Kopf und lasse zugleich immer Raum für Unvorhergesehenes.» Sie arbeitet mit elektronischen Zuspielungen und klanglichen Verfremdungen. Die Soloarbeit sowie das Feld der Musik im Allgemeinen stelle für sie eine Art Spielplatz dar, wie sie erzählt. «Ich mag es, Musik als einen wilden Spielplatz zu betrachten, auf dem ich ein Kind sein kann, das im Spiel versinkt, die Angst vor Fehlern loslässt und einfach im Moment ist.»

Etwas weitergeben.

Neben dieser regen Konzerttätigkeit im In- und Ausland arbeitet sie als Musikpädagogin an einer privaten Musikschule in Wien sowie als Musikvermittlerin – Tätigkeiten, die sie als
extrem wichtig empfindet. «Bei musikvermittlerischen Projekten trifft man auf Menschen aus anderen Lebenssituationen, und man versucht, gemeinsam etwas zu schaffen. So entsteht ein dritter Raum, in dem gemeinsam neue Wege beschritten werden. Du kannst bei dieser Arbeit nicht in deiner Komfortzone bleiben. Das gefällt mir.» Riahi arbeitete bereits mit dem ORF Radio-Symphonieorchester zusammen sowie mit der Musikvermittlerin Annemarie Mitterbäck. «Projekte in diesem Feld wären für die letzten Monate auch vorgesehen gewesen. Diese wurden aber abgesagt. Jetzt muss ich einmal abwarten, wie sich die ganze
Situation entwickeln wird», sagt Mona Matbou Riahi. 

monamatbouriahi.com

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