«Musik, woraus alles Übel entsteht»Artistin

Entdeckungen in den Bezirksmuseen - Beispiel Mariahilf

Da sitzt er in seinem Büro, der „Herr“ über wahrscheinlich eines der schönsten und reichsten Museen dieser Art, tagtäglich, oft auch an Sonn- und Feiertagen.. Das Haus, in dem das Bezirksmuseum untergebracht ist, ist eines dieser gepflegten alten Wiener Spätgründerzeithäuser mit fast herrschaftlichem Entree. Erich Dimitz, studierter Psychologe, u.a. Bezirksrat im 6. Wiener Gemeindebezirk, übernahm – nach umfassender Renovierung und Neugestaltung – 2009 die Leitung des Bezirksmuseums Mariahilf.

Umfassend liest sich auch die Liste der Publikationen und der Beiträge zu wissenschaftlichen Veranstaltungen, die ich als Anhang zu seinem Lebenslauf lesen werde. Ein erster kurzer Rundgang durch die Räume des Museums macht mir klar, wie groß mein Versäumnis ist, dass ich – Jahrzehnte lang Bewohnerin des 6. Bezirks – noch nie hier war. Ein zweiter Besuch lässt mich schon gezielter auf Themen und Ausstellungsobjekte achten, die mein Interesse inzwischen geweckt haben. Und schlussendlich werde ich mit einem gewichtigen Stapel an Texten versorgt, alle bestens wissenschaftlich recherchiert, von Dr. Dimitz selbst verfasst und mit reichen Illustrationen versehen. Also Zeit nehmen für eine eingehende und fast ausufernde Lektüre in den nächsten Wochen.

 

Was kann ich da alles über den Bezirk erfahren, in dem ich jahrein, jahraus mein Leben verbringe, den ich zu kennen glaube? Nicht nur was seine Geschichte, seine Architektur, seine Kultur, seine sozialen Veränderungen über lange Zeiten hinweg betrifft? Um dann überrascht festzustellen: Ich weiß, dass ich nichts weiß!

 

Über 7.000 Fotos befinden sich im Archiv! Eine kleine Auswahl davon liegt in Glasvitrinen, hängt – vergrößert und mit Texten versehen – an den Wänden, ist einzusehen in Büchern über die Geschichte des Bezirks, die man käuflich erwerben kann.

Da erfahre ich z. B., dass die Mariahilferstraße (sie wurde bereits von den Römern angelegt und heiß damals „Alte Poststraße“) als Kammstraße auch die Wasserscheide zwischen Wienfluss und Ottakringerbach darstellt, Seit jeher fanden sich hier schon zahlreiche Wirtshäuser, „wo man Pferd und Wagen einkehren und auch Zimmer, Speiß und Trank“ haben konnte. Als erste Vorstadtstraße erhielt sie Anfang des 18. Jahrhunderts eine öffentliche Beleuchtung, und 1826 war sie bis zum Gürtel sogar schon gepflastert. Als billigstes Verkehrsmittel benutzte man ein Pferdefuhrwerk für 8-12 Fahrgäste, den „Zeiserlwagen“, gegen geringes Entgelt, jedoch ohne festen Fahrplan. Der „Blaue-Bock-Stellwagen“ war schon gefedert, die Fenster verglast, auch Fahrpläne existierten bereits. Das war 1830 und das Gefährt führte durch die Mariahilferstraße nach Meidling.

Bettlerstiege und Ratznstadel


Als wichtiger Verkehrsweg von der Inneren Stadt zum Gürtel entwickelte sich hier bald ein Zentrum für Handwerk und Gewerbe, im 19. Jahrhundert mit der beginnenden Industrialisierung fungierte sie mit ihren ersten großen Warenhäusern (Gerngroß, Herzmansky, Stafa) als „Ausstellungsstraße“. In den größeren Gasthäusern und Hotels entlang der Straße gab es Konzertsäle, in denen Regimentskapellen unter Josef Lanner oder K.M. Ziehrer aufspielten.

Weniger kulturell als an der Mariahilferstraße spielte es sich am Südhang der Vorstadt ab. Mehrere Bäche flossen hinunter bis zum Wienfluß, Und unten an der Wien, die als offenes Gerinne das Stadtgebiet durchfloss, standen zahlreiche Mühlen. Das Wasser ausnutzend, siedelten sich hier auch unterschiedliche Gewerbe an, vor allem Färber, Bleicher und Gerber. Die berüchtigte enge „Bettlerstiege“ verband durch die „Lahmgruabm“ das reiche Handelszentrum Mariahilferstraße mit den armen Wohn- und Arbeitsvierteln der Ziegelbrenner, der Wäscherinnen und Ledergerber bis hinunter zum „Ratzenstadl“.   

 

Und unten an der Wien da ging es besonders lebhaft zu, denn hier stand nicht nur das „Theater an der Wien“, da verkehrte neben den Schauspielern auch die Halbwelt. Rund um die Papagenogasse lag das so genannte „Fraueneck“. Volkssängerlokale gab es zu Hauf. Dudelsänger, Bauchredner, Komiker – alles, was man heute vielleicht als „Kleinkünstler“ bezeichnen würde, verkehrte hier und lieferte sich manchmal handfeste Skandale. Ehrbare Bürger sahen sich oftmals genötigt, sich mit der Bitte an die Behörden zu wenden, „zur Vermeidung aller göttlichen Straff und sonst zu besorgenden Unglücks aus obrichkeitlicher Gewalt diese Wirthe sambt ihrem ganzen liederlichen Gesindel nebst Musik, woraus alles Übel entsteht, gnädig abzuschaffen.“

Schikaneders Triumph und Sturz

Ja, das Theater an der Wien! Zur Errichtung eines neuen Theaters hatte sich der ehemalige Wandermusikant, Schauspieler und Sänger Emanuel Schikaneder schon 1786 durch Kaiser Joseph II ein Privileg zugestehen lassen. Der Platz in der im wahrsten Sinne des Wortes „anrüchigen“ Gegend neben dem stinkenden Wienfluss unterhalb des berüchtigten „Ratzenstadls“ hat ihn wohl zuerst nicht beglückt. Lieber wäre ihm ein Haus neben den Hofstallungen gewesen. Aber es wurde dann doch das schönste und größte Theater der Stadt.

Was alles erfuhr hier nicht seine glanzvollen Premieren! Beethovens einzige Oper „Fidelio“ und seine 3. Symphonie, Nestroys „Lumpazivagabundus“, sein „Jux“ und sein „Talisman“, viele Operetten, darunter „Die Fledermaus“ von Johann Strauß. Mozarts „Zauberflöte“ allerdings, die so eng mit dem Theater an der Wien verbunden ist, dessen ehemaliger Haupteingang das „Papagenotor“ schmückt , kam nicht hier, sondern gegenüber am rechtsseitigen Wienufer, im Freihaustheater, zur Uraufführung. Das war 1791. Das Libretto dazu hatte ja, wie wir wissen, Schikaneder selbst verfasst. Der Erfolg war so groß, dass sich auch nach der 200. Aufführung die Besucher mehrere Stunden vor Vorstellungsbeginn einfinden mussten, um noch einen Platz zu erhalten.

1802 hatte Schikaneder sein schönes neues Theater wieder los. Ein Mäzen, der reiche Kaufmann Bartholomäus Zitterbart, kaufte ihm das Theaterprivileg ab, fand sich aber bald selbst mit der Leitung des Hauses überfordert. Eine Folge von Finanzdebakeln erlebten auch die nächsten Prinzipalen und Schikaneder starb völlig verarmt und geistig verwirrt 1812 in Wien-Alsergrund.

 

Dass das heutige Apollo-Kino ehemals ein renommiertes Varietetheater war, als es 1904 mit einer glamourösen Revue eröffnet wurde, neben dem Vergnügungsetablissement auch einen Biertunnel, Büffets, Speisesalons und einen Wintergarten umfasste, der Zuschauerraum des Varietes im Parterre über 150 Tische, an denen geraucht werden durfte und Speisen und Getränke konsumiert werden konnten, zwei Galerien, 26 Logen und ein Fassungsvermögen von 1554 Sitzplätzen hatte, war mir so ungefähr bekannt. Auch dass hier Berühmtheiten wie Charlie Chaplin, Buster Keaton, Marlene Dietrich oder auch Josephine Baker auftraten, fiel mir gerade noch ein. Was da aber im Jahre 1930 geschah, nach dem Ersten Weltkrieg, als nicht nur die katastrophale Wirtschaftslage, sondern auch der gewandelte Geschmack breiter Publikumsschichten dazu beigetragen hatte, dass das Theater geschlossen und zu einem Kino umgebaut werden musste, als eben am 20. Dezember 1930 um 23 Uhr die Pressevorführung des Antikriegsfilms „Im Westen nichts Neues“ nach dem Roman von E.M. Remarque stattfinden sollte, was da geschah, das erfuhr ich erst dank meiner Besuche im Bezirksmuseum Mariahilf.

Da blockierten tatsächlich „Hakenkreuzler“, aus Lokalen der näheren Umgebung kommend, die Zufahrtswege zum Kino. Und wenig später verhinderten sie als organisierte „Spaziergänger“ mit den Rufen „Deutschland erwache“, „Heraus mit dem Verbot“ und „Nieder Remarque“ weitere Aufführungen dieses Antikriegsfilmes im nahe gelegenen Schwedenkino.

 

Das Bezirksmuseum beherbergt auch ein Glasmuseum und gibt darin Einblick in die verschiedenen Techniken der Glasmalerei. Somit hat dieses Gewerbe einen Ort gefunden, an dem weiterhin seine Tradition bewahrt wird. Denn in Mariahilf, in der Windmühlgasse, befand sich bis zum Jahr 1967 die berühmte Werkstätte für Glasmalerei, die der akadem. Maler C.M. Geyling 1841 bereits gegründet hatte. Er erhielt Aufträge von Adel, Klerus, öffentlichen Einrichtungen und dem begüterten Bürgertum in der gesamten Monarchie und bis nach Übersee. Einige schöne Glasfenster aus dieser Werkstätte kann der Besucher im Museum bestaunen.

Und so vieles mehr! U.a. einen Raum zur Arbeiterkultur, denn es war der Bezirk Mariahilf, in dem der erste Arbeiterbildungsverein 1867 gegründet wurde, die erste Nummer der „Gleichheit“, Vorläuferin der späteren „Arbeiter-Zeitung“, erschien, deren Redaktion sich in einem kleinen Gassenlokal in der Gumpendorferstraße befand. Und Victor Adler, Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, wohnte ab 1905 bis zu seinem Tode in Mariahilf, eben auch in der Gumpendorferstraße.

 

Mehrmals im Jahr finden im Museum Veranstaltungen statt. Da gibt es Lesungen, Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen, die sowohl historische wie aktuelle Ereignisse im Bezirk betreffen. So konnten die Punks aus Mariahilf ihre eigene Dokumentation gestalten. Und auch die Ausstellung über „s`Häferl“, ein offenes Lokal für Haftentlassene, zog viele Interessierte an. Denn Mariahilf weist eine beträchtliche Dichte an alternativen Institutionen an. Vom Kinderhaus Hofmühlgasse, über die Aids-Hilfe im ehem. „Ganslwirt“, den „Neustart“ bis hin zum autonomen Schwulen-Lesben-Zentrum „Rosa Lila Villa“.

Der «Tag der Wiener Bezirksmuseen» findet m 10. März 2013 findet zum siebenten Mal statt. Zeit: zwischen 10.00 und 16.00 Uhr. Das diesjährige Thema: Die Wiener Feuerwehren.

Bezirksmuseum Mariahilf:

Mollardgasse 8, Mezzanin

Tel.: (01) 586 78 68;

E-Mail: bm1060(at)bezirksmuseum.at

Öffnungszeiten: Donnerstag 10:00-12:00 Uhr Sonntag 11:00-13:00 Uhr (und nach Vereinbarung)