Musikfahrer unterwegsArtistin

Musikarbeiter unterwegs auf der Straße des Rock `n` Roll

Die Vorteile des praktizierten fahrenden Hobbymusikertums: statt Vorwahlwahnsinn in den Bandbus steigen, mit Musik und Freunden Kilometer abspulen.Zugegeben, eigentlich müsste ich vor Erleichterung heliumleicht und jubilierend an der Decke schweben, jetzt wo Wolfgang Schüssel endlich, endlich das politische Nachsehen hat. So viel Sekt und Schampus, wie ich spendieren möchte, weil die unerträgliche Frau Gehrer endlich zurückgetreten ist, hat der Greißler unseres Vertrauens gar nicht lagernd. Trotzdem, die Strache- und Westenthaler-Haarbüschel (wie solch grässliche Figuren in einer Demokratie auch nur die winzigsten, unerheblichsten Rollen spielen können, bleibt mir ein Rätsel) in der neu aufgeschütteten politischen Suppe (jetzt schon so dünn, dass man durch den Topf sieht) dieses Landes lassen keinen Jubel aufkommen. Erwarte ich tatsächlich etwas außer atmosphärischen Korrekturen von einer Regierung Gusenbauer? Njet! Wetten, dass die Studiengebühren bleiben? Und die „Ausländerpolitik“ eine Schande bleibt?

Um den Sonntag, an dem wir uns alle miteinander diese Suppe (auf kleiner Flamme) aufgekocht haben, die wir die nächsten Jahre auslöffeln werden, konnte ich wenigstens meinem liebsten Hobby nachkommen: Als Musiker durch die Gegend kurven. Zugegeben, Gigs in Prag, Berlin und Paris wären auch super gewesen, aber Linz, Nürnberg und Wien

passten genau so. Der Extrabonus: Als wir am Freitag unser schönes Österreich Richtung schönes Deutschland verlassen (hoher Preis EU hin, hoher Preis EU her – immer wieder herzerwärmend, so ein verwaister Grenzübergang) sind die Straßen auch nicht mehr von den omnipräsenten plakatierten österreichischen Politikerinnen-Fratzen gesäumt. Nicht nur das Auge atmet auf. Wir reden hier von „Touren“ (der durchschnittliche heimische Musiker muss ja fürs Selbstwertgefühl mangels Club- und Livelandschaft schon ein verlängertes Wochenende mit zwei Konzerten zur Tournee aufblasen) auf dem niedrigsten Niveau, in einem definitiv nicht ganz neuen Bus, den sich die zwei Besserverdiener unserer Gruppe einfach so geleistet haben. Marginaler Sitzkomfort, keine Designer-Drogen, sondern ein, zwei Bier, das Fenster ersetzt die Klimaanlage, und vorne im Bus dröhnt der Cassettenrekorder (!!!), was gleichzeitig die Erinnerung daran wach werden lässt, mit welchem Feuereifer man früher Tapes für unterwegs zusammengestellt hat und mit welcher Leidenschaft darum gestritten wurde, welches jetzt als Erstes gespielt wird. Das ist der Rock ’n‘ Roll, der meine Twens geprägt hat – und kurz vor vierzig fühlt er sich besser an als je zuvor.

Bands schauen andere Bands an

Während vor dem Busfenster die eher vernachlässigbare Landschaft vorbeizieht, ergeht man sich in gebrüllten – wegen der Akustik! – Gesprächen. Oder hängt seinen Gedanken nach. Denen über den Abend davor. Bei einem quasi Heimspiel in Linz kaum Publikum. Kann vorkommen. Die vielen Plakate, die in der Linzer Stadtwerkstatt hängen, erklären warum. Wer soll sich das alles anschauen? Wer will sich das alles anschauen? Irgendwann lernt man sowieso sich zu freuen über die, die da sind. Die dafür etwas zahlen. Die auf der Gästeliste. Das Spielen selbst ist sowieso (fast) immer ein Fest, die Stunde, die das alles sinnvoll macht, der Akt, der das ganze Drumherum relativiert, fokussiert.

Die Band, die mit uns spielt, ist eigen. Roscoe Fletcher. Alte Bekannte, die dennoch etwas einen Tick Neues machen. Hardcore-Menschen – Bassist Werner ist auch bei Brambilla, Sänger Gerry war früher bei Those Who Survived The Plague – entdecken Surf-Sounds. Balladen. Rock `n` Roll. Lang Schluss mit (nur) schneller, lauter, härter. Aber immer noch wild und aus den vollen Herzen. Bei einem Stück spielt Gitarrist Malus die Melodielinie von Chris Isaaks „Wicked Game“. Groß. Man würde gerne verstehen, worüber sich Gerry so ereifert, aber auch so zieht einen seine Performance in die Musik. Der Drummer spielt die richtige Mischung aus Leichtigkeit und Härte. Roscoe Fletcher sind keine fertige Band, da reibt sich einiges, aber das lebt. Und das ist gut so.

Nürnberg. Das übliche Die-Wegbeschreibung-falsch-Lesen. Doch hinfinden. Kunstverein. Mit einigen anderen Läden in einer ehemaligen (Nazi-)Kaserne angesiedelt. Strange Karma. Als später, an diesem kühlen Nicht-mehr-ganz-Spätsommer-Abend ein, zwei Dutzend junge Punx und andere Jugendliche draußen abhängen, Dosenbier saufend, muss ich an den Film „Nosferatu“ denken, die sterbende, zusehends menschenleere Stadt. Wir spielen mit einer Band aus Ingolstadt. Kevin`s Campfire. Kevin`s Campfire sind jung. Und laut. Es sind vielleicht dreißig Leute da, bei unserem ersten Gig in Deutschland nach 15 Jahren. Ein paar kennen tatsächlich die alten Lieder, das tut gut, auch wenn uns die neuen Stücke wichtiger sind.

Das Spielen ist wieder ein Rausch, Scheiß auf den Sound! Danach reden. Über alles. Lange, mit alten Bekannten, neue Menschen kennen lernen. Bei Bier, das „Kanone“ heißt. Als ich gegen 5 Uhr morgens in meinen Schlafsack krieche, fühle ich mich zufrieden. Und zuhause.

www.myspace.com/roscoefletcher

www.kevinscampfire.de