Die Theatermacherin, Schauspielschulen-Leiterin, Regisseurin Aslı Kışlal, die ich im Augustin schon einmal porträtiert habe, rief letzten Sommer bei mir an und fragte mich, ob ich Interesse hätte, eine queer-feministische Clown_in kennenzulernen. Nach einem kurzen abklärenden Telefonat traf ich dann also Lisa Risa.
Wir wollten uns beschnuppern, unsere Chemie prüfen, wie wir feministisch ticken, und unsere künstlerischen Prinzipien gegenseitig abklopfen. Es wurde spannend, langsam sichtbar, wie intensiv und durchaus akademisch Lisa mit dem Topos Gender oder in meinen Worten Geschlechtszugehörigkeitsschemata und historischer Position des Clowns, der Clownfrau, der Clown_in oder einer Cyborg-Clown_in bereits gearbeitet und geforscht hat. 2019 erhielt Lisa Risa den Preis der Akademie für wissenschaftliches Arbeiten für ihre Arbeit Clecture, also eine Kombination aus Clown und Lecture. Die Clecture wendet feministische Theorie am praktischen Beispiel der Kunstfigur des Clowns an und wertet gleichzeitig Zirkus und Clownerie durch einen theoretischen Diskurs auf, so formuliert es Lisa Risa. Persönlich frage ich mich, ob Zirkus und Clownerie (wieder) postakademisch stattfinden kann, in einer zukünftigen Ära, in der pures Staunen über wunderbare und entsetzliche Dinge des Lebens die Zuseher_innen erfasst. Dieses Staunen impliziert Offenheit. Daher auch oft der Vergleich einer Clown_in mit Kindern, die diese Vulnerabilität repräsentieren. Nun, es geht Lisa explizit um antirassistische Arbeit, Sexismus und Rassismus miteinander zu denken.
Auf meine Frage, ob Altersunterschiede zwischen Feministinnen ein Hindernis seien, sagt Lisa «Das sei eine Frage der Strömung. Der zweiten Welle des Feminismus war es wichtig, die Frauen aufzuwerten, in den 80er Jahren wurde das kritisiert, da es sich um weißen Mittelstandsfeminismus handelt. So wurde die Intersektionalität* eingebracht. Bis Judith Butler das binäre Geschlechtssystem dekonstruierte und den Begriff ‹Gender› prägte, also Kategorisierungen im Sinne patriarchaler sozialer Strukturen.» Die Kritik einiger älterer Feministinnen daran, die u. a. meine Professorinnen waren, ist, dass Weiblichkeit, Frau-Sein, Mutter-Sein nach wie vor unterdrückt bleiben, terminologisch zur Seite geschoben werden und das Problem nicht von der Tiefe heraus verändert wird. «Welche Dogmen möchtest du knacken, Lisa?», frage ich. «Ich halte nicht viel von Dogmen, ich finde die Grauzonen, Schwellen und Übergänge spannend, der Moment wo, sich viel bewegt, und ein konkretes Arbeiten für Vielfalt und Mehrdeutigkeit.» Lisa Risa ist in ihren Dreißigern, also nicht mehr grün hinter den Ohren. Oft hat sie mit den Space Girrrls performt, als Limetta Lichterloh bei One Billion Rising mitgewirkt und zahlreiche Solos als Clown_in hingelegt. Hinzu kommen Gruppen- und Einzelausstellungen in der Brunnenpassage, im EKH, im Semperdepot, beim Riot Festival und vielen anderen. Das machte mich neugierig. Und dann war da noch ihr Baby. Wie immer eigentlich eine völlig andere Geschichte, eine private Geschichte, die in das Leben einer Künstlerin bedeutend reinspielt und gesellschaftlich interagiert bis provoziert. Du willst Künstlerin werden und hast ein Kind? Fragen, die Mütter zu Genüge hören und junge Frauen von heute immer noch. Kinder sind kein Ausschließungsgrund in der Arbeit in Kunst und Kultur! Heute bin ich froh darüber, nicht mehr der schamlosen Arroganz und den Unterminierungen einiger Theatermacher_innen oder Leiter_innen ausgesetzt zu sein. Ich verdiene mein Brot als Deutsch-Lehrende, als freischaffende Dozentin, Autorin und Künstlerin. Wer mich schlecht behandelt – erhält einen symbolischen Fußtritt. Und das fühlt sich verdammt gut an. Deshalb interessiert mich die Arbeit mit queer-feministischen Künstler_innen. Respekt voreinander. Radikale Offenheit. Subversiv liebenswürdig.
Sichtbarmachung von Tabus
Lisa hat Kunst und Kommunikation bei Elke Krasny abgeschlossen, die Klassen Video- und Performance-Kunst bei Carola Dertnig, Stefanie Sourial an der Akademie der Bildenden Künste hat sie nur ein Jahr lang besucht. Ein Erasmus-Jahr in Barcelona an der «Facultat de Belles Arts» war auch dabei. Lisa kam nach Wien «weil es die kleinste Großstadt ist, die ich gefunden habe. Ich wollte immer Kunst studieren. Meines Vaters wegen habe ich ursprünglich BWL studiert. Aber das ist ein Geheimnis. Beziehungsweise ist es das jetzt nicht mehr. Es war sehr schwer, hier in Wien anzukommen, es hat gedauert, bis ich die ersten Freundschaften hatte. Eigentlich wollte ich nie in einer Großstadt leben, ich bin in Frankfurt und in so einer kleinen Stadt Richtung Köln aufgewachsen. Dort mache ich in einem autonomen Kulturzentrum auch immer wieder Arbeiten, das ist mir wichtig, denn dort gab man mir in meiner Jugend den so wichtigen Freiraum. Ich habe künstlerisches Lehramt studiert, Fachbereich Kunst und Kommunikation. Das hat mein Interesse an Performance geweckt. Ich fand es spannend, einen tieferen Einblick in den Kunstbetrieb zu bekommen. Auch Das-darüber-Sprechen, über die eigene Arbeit, war sehr wichtig. Es geht viel um das Objekt. Die Frage war dann, warum ich mit dem oder jenem Objekt jonglieren will und was will ich damit sagen. Im Clownesken lassen sich viele queer-feministische Methoden wie das Scheitern, das Erkunden des Zwischenraums und das Spiel mit der Abweichung wiederfinden. Clownerie und Feminismus setzen sich für eine gesellschaftliche Veränderung ein, in der das Menschliche im Mittelpunkt steht.»
«Ich kotze meine Mama an, na, wer mag als Nächstes dran» (Lisa Risa)
«Wie gehst du mit deiner Mutterschaft um, wie ist deine Ausgangssituation, damit du weiter Kunst machen kannst?», frage ich. «Ja, das war schon für mich vor der Schwangerschaft wichtig, dass die Person, mit der ich das Kind habe, genauso viel Betreuungszeit übernimmt. Mir ist erst jetzt klar geworden, wie die Mutterrolle in der Gesellschaft ist, was es bedeutet, so viel Zeit mit einem Baby zu verbringen, und wie das im Privaten stattfindet und darüber nicht geredet wird. Und genau das mache ich auch zu meiner künstlerischen Arbeit. Ich arbeite und habe ein Baby. Was dazu führt, dass manche nicht mit mir arbeiten wollen. Oder ich habe gehört, ich solle doch zurück zu meinem Baby gehen. Ich habe sechs Wochen nach der Geburt Mutterpunk gemacht.» (Siehe Link unten)
Lisa Risa entwickelt konsequent ihre künstlerisch-aktivistische Praxis. Sie reagiert auf vorgefundene Umgebungen, teilt ihr künstlerisches Wissen im Sinne einer sozial engagierten künstlerischen Praxis, unter anderem auch mit geflüchteten Menschen. Ihre künstlerischen Schwerpunkte liegen in Performance und Malerei. Ihre Interessen gelten der Exploration von Interdisziplinarität, Spontanität, experimentellem Vorgehen, Material, Handwerklichkeit und Kooperationsformen sowie dem politischen Potenzial von Humor und Komik. Thematisch zentriert sie in ihrer feministischen Praxis die Sichtbarmachung und Überwindung von gesellschaftlichen Tabus mit Fokus auf Fragen von Körper und Ausgrenzung. Schwangerschaft und Geburt bleibt unbezahlte körperlich-emotionale Schwerstarbeit, die weh tut. Mutterpunk also als etwas, das «sich mit der Gesellschaft anlegt und Tabus vor den Latz knallt», schreibt Lisa in ihrem Portfolio. Generell beschäftigt sich Lisa Risa mit Aktivismus aus ihrer weiß-privilegierten Perspektive. Mir fallen da zum Beispiel Gardi Hutter, Jango Edwards, Dario Fo oder Leo Bassi ein. Das sind künstlerische Aktionist_innen, politische Clowns. Clowns sind unberechenbar, nerven und sind oft nicht erwünscht, weil sie anecken. Clowns gestehen eigene Defizite und Fehler ein. Sie verbergen das Scheitern nicht. Der Clown, die Clownin überschreitet Grenzen, reizt sie aus und sticht mitten hinein, lässt die schöne Blase des Scheins platzen. Der legendäre Clown Leo Bassi zum Beispiel ist ein Terrorclown, aktionistisch, gewaltig, intensiv. Da liegen Anarchie und Wahrheit dicht aneinander. Leo Bassi spricht von Kultur-Ghettos, die mit der Realität nicht mehr in Kontakt sind. Und wie soll ohne Kontakt Kunst entstehen? Ich freue mich auf eine zukünftige gemeinsame Arbeit mit Lisa, für die gesellschaftliche Vorurteile wie Alter, Kunst, Feminismus keine Relevanz haben. Die älteren Feministinnen habe ich ja kennengelernt. Nun sind die Jungen dran. Alles ist Kontakt, Berührung.■
*Intersektionalität = Notwendigkeit der Verknüpfung von Gender mit Ethnie, Klasse, Alter, Sexualität, Beeinträchtigung und anderen Aspekten
Mutterpunk ist ein gemeinsames Projekt mit Thea truc
bell hooks: Feminist Theory: From Margin To Center (1984)