Mythos: «Jeder schafft es, wenn er nur will»tun & lassen

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«Jeder und jede kann es schaffen», heißt es, «man muss sich nur anstrengen.» So einfach ist die Sache aber nicht. Wie stark hierzulande der Lernerfolg von Kindern am sozialen Status der Eltern hängt, zeigt die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, erneut auf: Hohe Bildung und damit hohes Einkommen, hohe berufliche Position bringen Kindern im hiesigen Schulsystem um neunzig Punkte bessere Leistung, als Kinder aus Elternhäusern mit weniger Bildung und Einkommen erreichen.

In anderen Ländern beträgt dieser Abstand weniger als vierzig Punkte. Feinauswertungen fördern noch verstörendere Daten zutage. Es ist nicht die Leistung, die zählt, es sind nicht die Kompetenzen, die honoriert werden. Noten werden nach Herkunft vergeben. Schüler_innen aus Haushalten mit geringer Bildung erhalten bei gleicher Leistung die schlechteren Noten. Bei gleicher Lesekompetenz fassen sie die deutlich schlechteren Noten aus. Und umgekehrt bekommen Schüler_innen aus universitärem Elternhaus bei gleichen Kompetenzen die besseren Beurteilungen. Beim Übertritt von der Volksschule ins Gymnasium spielt sich dasselbe ab. Kinder mit Eltern, die maximal Pflichtschulabschluss aufweisen, treten bei gleichen Noten seltener in die AHS über als Kinder von Uni- oder Matura-Eltern. Bei gleicher Lesekompetenz wechseln 67 Prozent der Schüler_innen mit Akademiker-Eltern in die AHS, vierzig Prozent mit Matura-Eltern, aber nur 22 Prozent der Schüler_innen aus Haushalten mit Pflichtschulabschluss.

«Nicht jeder hat die gleiche Chance, in absolute Spitzenpositionen aufzusteigen», erläutert der Soziologe Michael Hartmann. Selbst mit einem Hochschulabschluss nicht. Eine Studie, bei der Biographien von 6500 Doktor_innen über Jahrzehnte untersucht wurden, hat gezeigt, dass Spitzenpositionen überrepräsentativ mit Kindern aus dem Bürgertum bzw. Großbürgertum besetzt werden. Vor allem in der Wirtschaft werden 80 Prozent an diesen Kreis vergeben, der in der Bevölkerung drei bis vier Prozent ausmacht. Entscheidend ist der richtige Stallgeruch. Es zählt die Ähnlichkeit. Wir sind es gewohnt, andere sozial einzuschätzen: Wie reden sie, wie sind sie angezogen, was lesen sie, welche Fernsehsendungen sehen sie, was essen sie, welche Musik hören sie, welches Auto fahren sie? «Bildung hört man mehr, als man sie sieht. Den materiellen Besitzstand sieht man dagegen eher, als dass man ihn hört», bringt es der Sozialwissenschaftler August Gächter auf den Punkt. Bei Bewerbungsgesprächen regiert die «gehörte Bildung» mit Namen und Akzent, dann erst die wirkliche Qualifikation. Versuche mit unterschiedlichen Absendernamen bei Bewerbungsbriefen haben die Kriterien für Einladung oder Desinteresse gezeigt: Michael ja, Mustafa nein.

Generell kann man sagen, dass in den meisten Ländern die Wirtschafts- und die Justizelite in ihrer großen Mehrheit aus bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien stammen. Auch in Österreich. Die politische Elite ist in Frankreich, Spanien, Portugal oder mittlerweile auch in Deutschland so zusammengesetzt wie die wirtschaftliche Elite, das heißt ein Anteil von mindestens drei Viertel an Bürger- und Großbürgerkindern.

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