Nach der Orgie? Wird Theater gespielt!Artistin

Claudia Bosse vom «theatercombinat» bietet keine Unterhaltungsware an

Was haben der Schlachthof St. Marx, die Rennbahnwegsiedlung, der Schwarzenbergplatz und die Ankerbrotfabrik gemeinsam? Sie alle waren Schauplätze der Theaterperformances von Claudia Bosse. Ihr neues Stück «vampires of the 21st century oder was also tun?» hat am 8. Dezember Wien-Premiere. Der Augustin sprach mit ihr über die neue Produktion, körperliche und geistige Überforderungszustände und über die Frage: Warum zum Teufel noch Theater?Die neue Produktion wird im ehemaligen Kartographischen Institut stattfinden, warum haben Sie diesen Ort gewählt?

Das Kartographische Institut wurde um 1900 gegründet und diente zur Erfassung und Aufzeichnung territorialer Grenzen. Hier wurden Landkarten gezeichnet und diese Karten archiviert. Mich hat interessiert, ob es möglich ist, mit Mitteln des Theaters eine Gegenwartssondierung, eine Gegenwartskarte zu machen. Die Kartenleser sind dabei die ZuschauerInnen, die das Geschehen auf der Bühne für sich zusammensetzen.

Letztes Jahr hat das theatercombinat vor allem in der Ankerbrotfabrik gespielt, dort wurde «2481 desaster zone», ein Querschnitt aus den bisherigen Tragödienproduktionen mit Texten von Aischylos bis Jelinek, aufgeführt und für das Festival Neuer Musik «Wien Modern» nochmals «Bambiland» inszeniert. Davor sind Sie eher dafür bekannt gewesen, den Stadtraum für Produktionen zu nützen. Hat das Interesse am öffentlichen Raum nun abgenommen?

Ganz wichtig ist, dass die Projekte immer verschieden sind. Nächstes Jahr gibt es ein Projekt in Prag und ein kleines Projekt in Zürich, wo der öffentliche Raum genützt wird. Es ist eben nicht so, dass es eine Machart gibt, die durchgeht, sondern es ist eigentlich immer der Versuch, aufgrund von bestimmten Fragestellungen sich auch räumlich anders zu verhalten und variabel zu bleiben. Im Moment beobachte ich eine Hysterie der Eventisierung des sozialen oder des authentischen Stadtraums, wo im Grunde bereits jedes deutsche Stadttheater darauf anspringt. Es gibt eine Tendenz, die mir nicht behagt. Daher brauche ich eine kritische Pause, um wieder zu sondieren, wo genau man wieder wie einsetzen kann.



Spielen dabei auch eigene Erfahrungen mit? Die Bambiland-Inszenierung von 2008 in der Rennbahnwegsiedlung hat für einiges Aufsehen gesorgt.

Meine Kritik zielt auf einen Trend, mit sehr ähnlichen Strategien sozial zu intervenieren. Die Rennbahnwegsiedlung war ganz klar ein Konfrontationsraum. Es ging darum, sowohl uns als auch diesen Ort, der für mich eine Sozialutopie, ein Disneyland des Sozialbaus verkörpert, mit Texten von Elfriede Jelinek zu konfrontieren.

Noch eine Frage zur Ankerbrotfabrik. Dort wird Kunst reingeholt, um das Areal für einen späteren Businesspark zu bewerben. Fühlt man sich dabei nicht instrumentalisiert?

Man wird immer instrumentalisiert, das ist ein Grundkonflikt, den man nicht aufheben kann, wenn man Interesse hat, in bestimmte Räume vorzudringen und bestimmte Raumressourcen zu nutzen. Es gibt keinen Ort, kein Territorium, wo keine Instrumentalisierung stattfinden würde.

Dasselbe gilt auch für den öffentlichen Raum. Eine Stadtverwaltung bewilligt Interventionen nur dann, wenn sie sich einen Mehrwert verspricht. Wir hatten so viele Treffen und Bewilligungsverfahren mit Bezirksvorstehern, und die brauchen ein Argument, warum das toll sei. Diese Phasen von anarchischen Zwischenräumen, die es manchmal gibt, die gehen nur für ganz kurze Zeit und auch nur in radikalen ökonomischen und politischen Umbruchsituationen, die aber sofort institutionalisiert werden. Das Kunsthaus Tacheles oder die Ausstellungen in der Margarinefabrik in Berlin wären Beispiele dafür. Die Frage ist, wie man auswählt und wie man sich dazu verhält.

Die Produktionen des theatercombinats sind keine klassische Unterhaltungsware, als Besucher fühlt man sich oft im doppelten Sinn überfordert, sowohl körperlich als auch geistig. Leute verlassen die Vorstellungen, noch bevor sie zu Ende sind. Es ist schwierig, etwas Inhaltliches und Politisches rauszuholen. Das theatercombinat macht aber zumindest laut Homepage und Programmheften politisches Theater.

Es ist kein Unterhaltungsprogramm, und es gibt Situationen, wo das Sich-Hinaus- und wieder Hineinbegeben Teil der Aufführung ist. Die erste Produktion in Wien mit Josef Szeiler dauerte 36 Stunden. Klar ging es dabei auch ums Physische.

Die Frage ist: Was bin ich gewöhnt zu konsumieren? Ich bin felsenfest davon überzeugt das mag eine rüde Haltung sein , wenn man sich wachen Sinnes Zeit gibt, sich mit dem Gebotenen zu konfrontieren, holt man etwas raus. Ich kann aber niemanden zwingen, das zu tun, und es mag sein, dass bestimmte zugänglichere Führungsgesten fehlen.

Natürlich sind es auch die Räume, die uns konventionalisieren. Wenn ich mir im Burgtheater eine drei Stunden dauernde Aufführung anschaue, kann ich gemütlich in meinem warmen Sessel wegnicken und muss nicht meinen Hintern von A nach B bewegen. Die intellektuelle und körperliche Überforderung ist ein interessantes Thema, aber nicht um zu sagen, Du bist blöd oder überfordert, sondern darin liegt für mich eine Art von Möglichkeit. Wann lese ich ein Buch, über das ich sagen kann, ich verstehe alles? Oft bleibe ich hängen, vielleicht nur an einem Satz, der mich aber zum Nachdenken bringt. Ich frage mich, ob solche Rezeptionshaltungen nicht interessanter sind, aber die werden immer mehr abgeschafft.

Bisher mussten sich die ZuschauerInnen selbst durch den Theaterraum bewegen, hier im Kartographischen Institut gibt es erstmals einen klassischen Zuschauerraum. Was ist sonst im Vergleich zu den vorangegangenen Produktionen anders?

Das ist wirklich ein völlig neuer Versuch. Es geht nicht mehr darum, einem Textmonument gegenüberzustehen, wie das bei den «Tragödienproduzenten» der Fall war, sondern über unterschiedliche Textfragmente und Sounddokumente, Stücke zu entwerfen.

Für mich stellt sich die Frage: Was bewirkt es, wenn ich nicht nur mit Texten, die von Darstellern gesprochen werden, sondern auch mit Dokumenten, mit Stimmen, mit Sounds aus der Vergangenheit, Stücke baue? Im Grunde ist es der Versuch, mit diesen verschiedenen Materialien und Elementen über Gewalt, Individuum und Politik nachzudenken.

«vampires of the 21st century oder was also tun?» wird als «experimental-dokumentarische Performance» angekündigt, worum gehts dabei?

Ausgangspunkt für diese Arbeit war der nicht mehr taufrische Text «Transparenz des Bösen» von Jean Baudrillard (19292007, französischer Medientheoretiker, Philosoph und Soziologe; Anm.) aus den frühen 1990er Jahren, in dem er fragt: «Was tun nach der Orgie?» Die Orgie war für ihn die Befreiung der emanzipativen Kräfte, die politische Befreiung, die sexuelle Befreiung, die Befreiung der Kunst und dergleichen. «Heute ist alles befreit, das Spiel ist gespielt», heißt es in diesem Text, und ich möchte wissen, wie es heute noch möglich ist, mit bestimmten politischen Überzeugungen auch ästhetisch umzugehen. Dabei geht es auch um die Gewaltfrage, um staatliche und individuelle Gewalt und darum, wo noch Lebens- oder Handlungsoptionen zu finden sind.

Um staatliche Gewalt ging es zwar auch schon in den Arbeiten davor, aber es wird hier expliziter. Es geht sehr viel um Gegenwartsgeschichte, die Jahre 1989 und 2001 sind als paradigmatische Wendepunkte ganz wichtig. Nach den Tragödienproduzenten, die mit bereits geschriebenen Texten, mit bereits fertigen Tragödienentwürfen gearbeitet haben, ist es der Versuch, aus Materialfragmenten eine im weitesten Sinne zeitgenössische Tragödie zusammenzustellen.

(Info)

«vampires of the 21st century oder was also tun?»

8.11. und 14.16. Dezember

Ehem. Kartographisches Institut

Krotenthallergasse 3, 1080 Wien

Eintritt: 15,/10, (erm.)

Zugang ist nicht rollstuhlgerecht!

www.theatercombinat.com

Claudia Bosse, geboren 1969 in Salzgitter (Niedersachsen), studierte Regie an der Hochschule für Schauspielkunst «Ernst Busch» in Berlin. Die KünstlerInnenformation theatercombinat wurde 1996 in Berlin von Claudia Bosse, Dominika Duchnik, Heike Müller und Silke Rosenthal gegründet. Für die Bambiland08-Produktion erhielt Bosse 2009 den Nestroy-Preis für die beste Off-Theaterproduktion.

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