«Nach Hause geht man immer zu Fuß»vorstadt

Viel Kultur für einen kurzen Straßenabschnitt: die Thelemangasse

«The Forever Road», auf Deutsch «Die Ewigkeitsgasse». Das ist der Titel eines Romans des amerikanischen Autors Frederic Morton, der unter dem Namen Fritz Mandelbaum in Wien geboren und vom NS-Regime aus seiner Heimat vertrieben wurde. Davor besaß seine Familie mehrere Häuser am so genannten «Türkenplatzl», der heutigen Thelemangasse in Hernals, wo sich Chris Haderer (Text und Fotos) umgeschaut hat.

Illu: Heike Willmaser

Der Roman beschreibt die autobiografisch gefärbte Geschichte der Familie Spiegelglas und das Leben der jüdischen Gemeinde in Wien – bis «in Österreich die Hakenkreuze aufblühten wie Gänseblümchen», wie es Morton ausdrückt. Am 20. April ist Frederic Morton während seines jährlichen Wienbesuchs im Alter von 91 Jahren verstorben. Sein bekanntestes Buch ist schon vor längerer Zeit zum Namensgeber für eine kleine Kulturinstitution im 17. Bezirk geworden, den «Kunstraum Ewigkeitsgasse» (www.facebook.com/ewigkeitsgasse). In der Thelemangasse 6, einem Haus, das dem in New York lebenden Autor gehörte, befindet sich ein kleiner Ausstellungsraum, in dem sich Künstler_innen die Hand geben. Betrieben wird «die Ewigkeitsgasse» vom Verein Welt & Co, dessen etwas sperrig ausgedrücktes Ziel «die Förderung interdisziplinärer Kulturprojekte mit Schwerpunkt Literatur und Musik» ist, sagt Alfred Woschitz. Jede Woche gibt es durchschnittlich drei Veranstaltungen. «Es ist immer ein bisschen eine verklärte Situation für die Leute, die hier ausstellen», sagt Woschitz. «Vielleicht ist es auch der Name Kunstraum Ewigkeitsgasse. Irgendwie ist die Ewigkeitsgasse ein Kleinod österreichischer Zeitgeschichte geworden, einerseits durch die Geschichten des Herrn Morton und das Vertriebenenschicksal, andererseits durch die Nähe zum Yppenplatz mit den vielen Cafés und Galerien. Es wuchert sehr viel hier.»

Hohe Dichte an Kulturlokalen


Es ist ein recht breiter Garten zwischen dem Brunnenmarkt und dem Bezirksmuseum Hernals am Elterleinplatz. Und er wuchert zwar an einem durchaus historischen, außerhalb des Grätzels aber leider recht unbekannten Ort. In der Thelemangasse 8, Mortons Geburtshaus und zugleich auch das Geburtshaus des Komponisten Edmund Eysler, befand sich beispielsweise von 1913 bis 1938 ein jüdisches Gebetshaus, zwei Häuser näher am Gürtel, auf Nummer 4, die k. u. k. Orden- und Medaillenmanufaktur Mandelbaum. Mittlerweile wird in den ehemaligen Fabrikhallen wieder Kultur gefertigt, nämlich von «mo.ë», einem Experiment des Vereins «picapica», das aus Veranstaltungsraum, Atelierhaus sowie Artist-In-Residence-Programm besteht. Insgesamt eine ziemlich hohe Dichte an Kulturlokalen für eine Straße, die beidseitig gerade einmal vier Häuserblocks lange ist: auf der einen Seite der Gürtel, auf der anderen die Veronikagasse. Vom Brunnen, der sich am früheren Türkenplatzl befand und dessen Name auf den Großwesir Kara Mustafa zurückgeht und das noch früher Antichristkuchl genannt wurde, ist nichts mehr zu sehen. So wie von den meisten Zeug_innen des jüdischen Lebens um die Jahrhundertwende in Wien.

«Die Kindheit in Wien war geprägt von der Tatsache, dass wir in der Vorstadt lebten wie in einem Dorf», sagt Frederic Morton in Andrea Eckerts Filmbiografie «Durch die Welt nach Hause». Die Thelemangasse war das Zentrum der Familie. «Wenn wir am Wochenende einen Ausflug zum Kahlenberg hinauf machten, hat mein Vater immer zu mir und meinem kleinen Bruder bei der Jause auf der Terrasse gesagt: derjenige, der am geradesten auf die Thelemangasse zeigt, durch dieses Häusermeer, der bekommt ein Würstel. Denn dort ist das wirkliche Zentrum von Wien. Dort drüben steht zwar der Stephansdom, aber für uns ist die Thelemangasse das Zentrum.» Bei einem seiner ersten Wienbesuche kam Frederic Morton auch im Kunstraum Ewigkeitsgasse vorbei. «Er kam in seinem Trenchcoat angelatscht und ich habe ihn gefragt, warum er sich kein Taxi quer durch die Stadt genommen hat», erinnert sich Woschitz. Morton antwortete: «Nach Hause geht man immer zu Fuß.»

Info:

Zum Nachhören – Ein Feature von Radio Augustin über den Kunstraum Ewigkeitsgasse cba.fro.at/286425