In Krisen entstehen oft die besten und nachhaltigsten Ideen bzw. wagen Gesellschaften auch neue Wege einzuschlagen. Mit dem Platzen der ökonomischen Blase 2008 steckte (nicht nur) Island in einer schwerwiegenden Krise. Einhergehend mit dem massiven Verlust sozialer und ökonomischer Reichtümer ging auch das Vertrauen in etablierte politische Institutionen verloren. Die Isländer_innen waren mit einer Situation konfrontiert, die es ihnen ermöglichte, radikal mit neuen Zugängen politischer Entscheidungsfindung und dem Aufbau von Empowermentstrukturen zu experimentieren.Eines dieser Projekte, welches half, die Beziehungen zwischen Regierung sowie politischen Entscheidungsträger_innen und den Bewohner_innen eines Landes zu restrukturieren, ist «Better Reykjavík» (Betri Reykjavík; Besseres Reykjavík, siehe: https://betrireykjavik.is). Oberflächlich betrachtet könnte man_frau meinen, es handelt sich dabei um eine der üblichen Seite für E-Petitionen, mit denen heutzutage Regierungen und Non-Profit-Organisationen weltweit arbeiten. Doch ich meine, dass man darin durchaus mehr sehen und entdecken kann. Neben der Tatsache, dass die Anfänge auf eine Graswurzelbewegung zurückgehen und nicht nur Abstimmungs-, sondern auch wichtige Beratungsmomente enthalten sind, unterstützt Betri Reykjavík zivilgesellschaftliches Regieren und den Austausch auf Augenhöhe mit städtischer Politik und Verwaltung. Die Website wurde 2010 gelauncht und unter der Regierung von Jón Gnarr als eine Möglichkeit direkter Demokratie etabliert. Mehr als 70.000 Menschen (in Reykjavík leben 120.000) haben diese Plattform genutzt bzw. nutzen sie, um Ideen einzubringen und zur Diskussion zu stellen. Diese werden von der Verwaltung aufgenommen und umgesetzt – vice versa bringt die Verwaltung Ideen ein. Darauf aufbauend hat sich auch ein partizipatives Haushaltsbudget (Better Neighbourhoods) entwickelt, wo jeden Monat 10 bis 15 Top-Ideen von der Verwaltung geprüft und umgesetzt werden.
Natürlich wünsche ich Wien keine umwälzende Krise, dennoch glaube ich, dass die Innovationskraft einer Gesellschaft genau in krisenhaften Momenten liegt, um Systeme und Strukturen zu überdenken und Neues zu wagen. Wie wäre es mit etablierten Grätzelbudgets und Bürgerhaushalten in Wien?