Nachbarinnenstadt: Gestatten, ich zahle nichtvorstadt

«Permiso?», sagt sie und geht ganz selbstverständlich vorn am Busfahrer vorbei; ihr folgen weitere «Permisos?» und in den Bus drängende Menschen.Der Busfahrer sitzt schweigsam auf seinem Platz – nicht unbedingt gelangweilt, aber doch etwas teilnahmslos. Auf den ersten Blick erschließt sich mir diese alltäglich in Santiago de Chiles öffentlichem Verkehr vonstattengehende Situation nicht ganz. Klarer wird die Bedeutung des Permiso? – auf Deutsch: «Gestatten?» – in einem anderen Bus: Hier versperrt ein Schranken neben der Fahrer-Kabine den Eintritt in den hinteren Teil des Busses, bis das Ticket an den Scanner gehalten wird. Auch hier «Permiso?» und der Mann hievt sich hoch, schwingt sich über die Barriere und landet auf der den Passagier_innen zugewiesenen Seite des Busses. Wieder folgen weitere «Permisos?» sowie unterschiedlichste Wege, den Schranken zu überwinden – je nach Gepäck, Alter oder Konstitution manchmal eleganter, manchmal weniger elegant. Der Busfahrer gewährt, das «Permiso?» entschuldigt die Personen ohne gültige Tickets. Aber auch nicht immer. An viel befahrenen Straßen zur Rush-Hour kommen Menschen mit diesem Gestatten? anstatt Bezahlen oft nicht weit(er).

Das durch diese alltägliche Praxis vermeintlich verlorene Geld fehlt dabei keineswegs in den öffentlichen Kassen. Wie viele andere Bereiche in Chile ist der öffentliche Verkehr Santiagos größtenteils in privater Hand. Die mit der Diktatur Pinochets in den 80ern vollzogenen Privatisierungen wurden auch nach Ende der Diktatur nicht essenziell beanstandet. Zwar steht Chile durch seinen massiven Raubbau an Ressourcen und des Exports an Rohstoffen makroökonomisch gut da, die Einkommensschere schert jedoch gewaltigst aus. Viele Chilen_innen sind verschuldet und leben trotz Beschäftigung auf Kredit. Und so liegt es unter anderem am/an der Busfahrer_in im stillen Einverständnis beziehungsweise Gestatten einer Großzahl der Bewohner_innen Santiagos zumindest den Transport kostenfrei zu ermöglichen.