Nachtleben oder Nachtsterben?Artistin

Vibrierende Bässe, zuckende Lichter, pulsierende Partymassen? Seit Beginn der Coronapandemie liegt Österreichs Clubkultur wegen menschenleerer Nachtlokale brach. Was dort noch pulsiert, sind nur die Adern der sorgenvollen Besitzer_innen, die sich außer Acht gelassen fühlen. So auch im Viper Room auf der Wiener Landstraße.

TEXT & FOTO: LARA SCHIMPF

Es ist eine Nacht vor Halloween, und gespenstischer könnte die Stimmung kaum sein. Ein dunkler Raum: schwarze Wände, steinerne Kellergewölbe und nur von roten und blauen Neonlichtröhren beleuchtet. Leise spielt Metal-Musik im Hintergrund. Metal und leise? Ein Widerspruch in sich. Es ist ruhig, zu ruhig für einen Club am Freitagabend. Ein Mann mit langem schwarzem Ledermantel, schweren Stiefeln und Maske setzt sich an einen Tisch und füllt den Registrierungszettel aus. So macht man das eben jetzt, um die Verbreitung des unsichtbaren Feindes zu vermeiden. Die Coronamaßnahmen werden sorgfältig eingehalten, und dennoch sollte es einer der letzten offenen Abende für den Viper Room werden. Vier Tage später müssen die Tore in den Untergrund des Clubs wieder auf unbestimmte Zeit schließen, gemeinsam mit denen der anderen Nachtlokale.

Nichts ist mehr, wie es einmal war.

Am 25. Februar 2020 wurden die ersten beiden Coronainfektionen in Österreich nachgewiesen, ein trauriges Jubiläum steht bevor. Das Leben findet seither hauptsächlich in den eigenen vier Wänden statt, der Kontakt zu anderen soll möglichst gemieden werden – die Welt ist im Stillstand. Ein bitterer Schlag für die Clubszene, die von dicht gedrängten Menschenmassen lebt. Die Pandemie stellt die Beteiligten der Nachtwirtschaft vor eine Belastungsprobe. Laut einer Studie der Wirtschaftskammer aus dem Jahr 2019 sind davon alleine in Wien 4.300 Unternehmen und 24.000 Arbeitsplätze betroffen sowie fast eine Milliarde Euro Jahresumsatz, der dadurch großteils wegfällt. «Hoffentlich wird das nicht die Reportage vom Untergang des Viper Rooms», sagt Martin Borovnik, der Inhaber und Betreiber, Ende Oktober des Jahres 2020. Lange Locken, Vollbart und dunkle Kleidung. Hinter dem Metal-Image steckt eine herzliche Persönlichkeit, die auf ein «Per du» besteht. Zum Lachen ist ihm derzeit dennoch nicht zumute. Er spricht von einer «dramatischen Situation» und «extremen Existenzängsten», es sei «einfach nur mehr frustrierend». Der Umsatzersatz für November und Dezember brachte nur etwas Erleichterung mit sich. Der Fixkosten­zuschuss reiche bisher nicht, um die enormen Umsatzeinbußen zu kompensieren. So dunkel, wie es in den Gewölben des Viper Rooms ist, ist auch die Stimmung – emotional und angespannt, geprägt von der Unsicherheit, wann und wie es weitergehen wird.

Das Tanzbein muss zu Hause bleiben.

Seit März 2020 kann Martin nicht einmal mehr ansatzweise einen normalen Betrieb führen. Partys, die für einige Clubs im Sommer draußen mit weniger Einschränkungen möglich waren, sind für ihn nicht umsetzbar gewesen, da seine Räumlichkeiten das nicht zulassen. Für 300 Gäste wäre Platz. Im Sommer konnten maximal 100 Leute bis 1 Uhr bei sogenannten «Sitzkonzerten» feiern. Headbangen in gewohnter Metal-Manier? Aber bitte nur im Sitzen! Ohne Tanzen fehlt vielen aber der Anreiz – das «Clubfeeling». Im Schnitt sind nur etwa 30 Personen pro Veranstaltung gekommen. Der Umsatz betrug laut Martin dadurch etwa ein Viertel der Einnahmen vor Corona, einen Fixkostenzuschuss gab es für ihn in den Sommermonaten nicht. Dennoch hielt er den Betrieb am Laufen, um «wenigstens ein bisschen präsent» zu sein. Rund 150 Konzerte pro Jahr, davon ca. 100 internationale, finden normalerweise im Viper Room statt – dieses Jahr ist der Großteil davon ausgefallen. Nicht nur die Arbeitgeber_innen und –nehmer_innen der Nachtgastronomie sind davon betroffen, auch die Künstler_innen sind gezwungen, zu Überlebenskünstler_innen zu werden.

Abwarten und Bier trinken.

Wie viele Menschen ist Martin zurzeit hauptsächlich zu Hause. Er spricht von einem Motivationstief. Seit Anfang November und der erneuten Schließung des Viper Rooms sei er in eine Art «Tiefschlaf» gefallen. Die Ungewissheit und das «Nichtstun» beanspruchen die Psyche. Was fehlt, ist ein Grund, morgens aufzustehen. Nachtlokale sind Lockdown-bedingt die ersten, die schließen müssen, und die letzten, die wieder öffnen dürfen. Von neuen Regelungen erfährt auch Martin meistens erst wenige Tage zuvor über die Medien. Mit den Clubbesitzer_innen werde umgegangen, als wären sie «super flexibel». Im Lockdown gibt es für Martin keine Alternativen, wie etwa in der Gastronomie, die ihre Speisen zum Abholen oder Liefern anbieten kann. Er hat zu 100 Prozent geschlossen. Getränke, die er im Herbst noch gekauft hat, hofft er, über Facebook an seine Community verscherbeln zu können, um sie so zumindest vor dem Ablaufen zu bewahren. Falls im kommenden Sommer unter strengen Corona-Auflagen wieder geöffnet werden darf, sei das aber auch nur wieder sinnvoll, wenn die staatlichen Unterstützungen dann noch zur Verfügung stehen. Kosten­tragendes Arbeiten sei ansonsten nicht möglich. «Wir hatten 2020 beinahe mehr geschlossen als geöffnet, das ist eine Katastrophe», sagt Martin. Er fühlt sich unbeachtet, es werde medial zu wenig über die Lage der Kulturszene gesprochen.

Wettkampf ums Überleben.

Einen Lichtblick bieten neue Förderungen für den Erhalt der Clubkultur, die von der Stadt Wien vergeben werden. Insgesamt handelt es sich dabei um 3 Millionen Euro. Eine Jury entscheidet, wer den Zuschuss von maximal 30.000 Euro pro Nachtlokal erhält. Es ist eine Art Wettbewerb. Nur wer ein überzeugendes, Corona-konformes Veranstaltungskonzept, bestehend aus Live-Auftritten, und gute Argumente dafür aufbringen kann, erhält einen Zuschuss von 90 Prozent für sein Programm und somit für die Bezahlung von Künstler_innen, Personal, Material etc. Die Bewertung erfolgt von der Wirtschaftsagentur Wien in Zusammenarbeit mit Expert_innen der Wiener Musikszene, die nach einem «umgekehrten Schulnotensystem» beurteilen. Mindestens 30 Prozent der möglichen Punkte werden benötigt. Wichtig sei dabei, dass der Plan «zur Stärkung der Wiener Clubkultur in der Corona-Krise» beiträgt. Ab dem Erhalt eines positiven Bescheids gelten die Programmförderungen dann für ein Jahr. Bauliche Maßnahmen, die aufgrund der Pandemie seit März 2020 fällig waren, können ebenfalls erstattet werden. Von November 2020 bis Juni 2021 haben Musikclubs, die sich in Wien befinden und mindestens ein Jahr alt sind, die Möglichkeit, ihre Teilnahme einzureichen. Auch Martin wird sein Glück damit versuchen. Doch fix ist dabei eben noch nix.

Sozial in unsozialen Zeiten.

«Ohne seine Community gäbe es den Viper Room wahrscheinlich nicht mehr», erklärt Martin. Eine Spendenaktion im Frühjahr bewahrte den Viper Room vor dem vorzeitigen Untergang. Treue Gäste haben gemeinsam viel Geld zusammengelegt, um ihren Lieblingsclub auch nach der Pandemie wieder besuchen zu können. 32.000 Euro wurden letztendlich an den Viper Room ausbezahlt. Doch auch das ist irgendwann aufgebraucht. Nur sehr ungern würde er erneut einen Spendenaufruf starten müssen. Die Zeit im ersten Lockdown hat Martin mit seinen Mitarbeiter_innen und wenigen finanziellen Mitteln genutzt, um den Viper Room in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Die Arbeit hat nicht nur für neue, saubere Wände und Sitzbänke gesorgt, sondern vor allem auch für Zusammenhalt untereinander. Wann der Viper Room wieder unter annehmbaren Bedingungen öffnen kann, ist derzeit nicht absehbar. Im vergangenen Oktober rechnete Martin noch ab Herbst/Winter 2021 wieder mit «Normalbetrieb», heute ist er da nicht mehr ganz so optimistisch. «Unsere Eventbranche stirbt!», steht groß auf einem roten Plakat der Initative «ohne-uns» am Eingang zum Viper Room. Es ist ein Hilfeschrei. Was Nachtlokale und das Coronavirus gemeinsam haben? Sie schweben beide in der Luft.