Näher am Lebentun & lassen

Augustinerin Kerstin Kellermann

Ich denke, es war 2000 oder 2001, als ich mit zwei afrikanischen Kollegen von der Bunte Zeitung (heute The Global Player), bei der ich Redakteurin war, den Augustin besuchte. Es ging darum, ob einige unserer afrikanischen Verkäufer auch den Augustin verkaufen und etwas besser verdienen können. Dass es afrikanische Flüchtlinge als Kolporteure gibt, hat in Wien viel verändert. Ich hab mich später von der Bunte Zeitung getrennt. Denn eine Gruppe von Künstler_innen ist zu Soho in Ottakring gegangen, und wir haben dort die art in migration gemacht, eine Kunstzeitung, die in Lokalen verkauft wurde.
Ich habe Journalismus studiert in Salzburg und Ljubljana. Ich habe bei drei Tageszeitungen gearbeitet und überall auch Probleme bekommen, weil ich ziemlich fortschrittlich war, was den Umgang mit Flüchtlingen betrifft. Die Augustin-Leser_innen mögen mir meine Obsession für Flüchtlinge und Holocaustopfer verzeihen, das hat mit meiner Familiengeschichte zu tun. Ich habe dazu sehr viel recherchiert in den letzten Jahren. Ich hatte schon zehn Jahre lang mit Flüchtlingen gearbeitet, bevor ich wusste, dass in unserer Familie Kinder als Flüchtlinge allein unterwegs waren. Derzeit recherchiere ich zu meiner Urgroßmutter, die sich 1938 umgebracht hat. Aber nicht obdachlos auf der Straße, wie meine Mutter dachte, sondern bei sich zuhause.
Ursprünglich habe ich Literatur geschrieben, aber Journalismus ist näher am Leben dran. Ich hatte auch das Privileg oder den Luxus, dass ich mein Leben lang das geschrieben habe, was mich interessiert. Was mir immer beim Augustin so gut gefallen hat, ist das Künstlerische. Da möchte ich dem Robert Sommer ein Kompliment machen. So wie ­­­­­­z. B. vier Leute um den Flughafen Schwechat gelatscht sind bei 40 Grad und Peter Krobath darüber geschrieben hat (Augustin 445). Oder in der vorletzten Ausgabe der Artikel über diese Rundbauten. Es gibt keine andere Zeitung, die so etwas bringen würde.
Ich bin nicht so künstlerisch veranlagt. Ich spiele nur Schlagzeug. Momentan bin ich in keiner Band, zuletzt war ich im Umfeld von Norah Noizzze. Früher war ich bei Punkbands, wie bei Johannes Paul und die ewigen Zweiten, wir hatten auch eine Frauenband, die Suffragetten. Das hat mich schon sehr glücklich gemacht. Aber ich habe mein Schlagzeug verschenkt an ein Flüchtlingsmädchen, Sunita von Bloody Mary.
Ich bin sehr zufrieden, denn jetzt ist 2021, und jetzt sind es wohl 20 Jahre, die ich für den Augustin schreibe, das ist schon eine lange Zeit.

Protokoll: Jenny Legenstein
Foto: Lisbeth Kovačič