Nah, frisch und solidarischtun & lassen

Ein oberösterreichischer Supermarkt will Zentrum alternativer Ökonomie sein

Bernd Fischer ist auf verschlungenen Wegen zu seinem Supermarkt gekommen: Er wollte eigentlich nur einen Ort finden, an dem sich solidarische Ökonomie praktizieren lässt. Den hat er jetzt – im Zentrum von Losenstein, hinter der Kassa.

Im Schaufenster, in dem außer einem Kürbis und einer Zucchini die Leere gähnt, hängt ein A4-Blatt: «Nie ist zu wenig, was genügt. Seneca (röm. Philosoph)». Wir stehen vor dem lokalen Supermarkt in Losenstein.

 

Losenstein ist eine kleine Gemeinde, eingequetscht zwischen den steilen, bewirtschafteten Hängen des Ennstals; die Enns scheint hier breiter zu sein als das Dorf selbst. Ein Café gibt es, drei Gasthäuser, eine Fleischerei, eine Trafik, eine Bäckerei – und einen «Nah & Frisch». Der «Schlecker» nebenan hat erst mit der Pleite des gesamten Unternehmens zugesperrt. Seitdem muss der Supermarkt den Drogeriebedarf übernehmen: «Wir wandern von einem Geschäft zum andern», steht in einem der Schaufenster, aus Papier ausgeschnittene Windeln mit Beinen sind darunter zu sehen.

 

Die halbleeren Schaufenster sind nicht Ausdruck des Untergangs der gut aufgestellten Nahversorgung, sondern Bernd Fischers kapitalismuskritisches Geschäftskonzept. Klingt absurd? Die Praxis beweist das Gegenteil.

Vom Burnout-Therapeuten zum Schenk-Kaufmann


Eine Kiste schönster Biotomaten – umsonst. Hausgemachte Marmelade. Ein Raum mit Sofas und Kaffeemaschine, daneben ein Regal mit der Aufschrift «Gib und Nimm». Lokale Nudeln, Brot, neben dem Basmatireis steht eine Packung Emmer: «Da bin ich erst hier draufgekommen, dass es regionalen Reis gibt.» Der Kaufmann strahlt vor Freude über die täglichen Erkenntnisse, wie sich das gute Essen für das gute Leben organisieren lässt. Am Tiefkühlfach klebt ein Zettel: «Alles zur freien Entnahme oder freiwillige Spende». Der Tiefkühler war kaputt, und Bernd Fischer hat sich gedacht: Wozu das Essen wegwerfen, das ist ja noch gut. Eigentlich plausibel – und trotzdem ein selten praktiziertes Geschäftsmodell.

 

Heute sitzt Bernd Fischer hinter der Kassa. Nachdem er von Köln nach Oberösterreich gezogen ist, war er eigentlich als Ergotherapeut in einer psychiatrischen Klinik tätig. Erschöpfung, Burnout, Berufskrankheiten – irgendwann wollte er nicht länger Symptomfeuerwehr spielen: «Ich war es leid, immer auf dieselben Stellen Pflaster zu kleben und die Leute dann ins System zurückzuschicken.» Und hat, nach vielen Stationen des Überlegens und Diskutierens, den Losensteiner «Nah & Frisch» übernommen.

 

Der letzte Supermarkt im Ort war wegen Pensionierung der Kauffrau kurz vorm Zusperren. Zur Übergabe fand sich niemand, weil das Gerücht laut wurde, am Ortsrand würde gerade ein Grundstück umgewidmet, um einen «Billa» zu eröffnen. Bernd Fischer hat sich trotzdem drübergetraut. Gemeinsam mit Trafikantin und Fleischhauer bildet er das mutige Trio, das lokale Betriebe außerhalb familiärer Betriebsweitergaben neu übernommen hat: Dafür gab es Anfang des Jahres den «Regionalitätspreis».

«Ein Supermarkt, hab ich mir gedacht, ist der richtige Ort, um die Leute da abzuholen, wo sie sind.» Und ihnen dabei gleich ein paar Vorschläge mitzugeben, wohin es gehen könnte – das ist Bernd Fischers Programm. Ob er vorher schon mit dem Einzelhandel zu tun gehabt hat? «Ich bin jahrelang einkaufen gegangen.» Das muss an Erfahrung genügen.

Direkte Demokratie am Beispiel «Schokoladenikolaus»


Der Herr von der Zentrale hatte auch seine Anlaufschwierigkeiten mit dem neuen Geschäftsmann. Zum Beispiel die Sache mit der Vorweihnachtsschokolade. Nach zentraler «Nah & Frisch»-Logik sollte die im November längst in den Regalen liegen. Bernd Fischer hatte keine Lust auf diesen billigen Trick. «Das soll die Leute ja nur dazu bringen, mehr zu kaufen. Und ich bin doch der Meinung, alle sollten insgesamt weniger kaufen. Also mach ich da nicht mit.» Aber weil er schließlich nicht für die anderen entscheiden will – und sei es nur in der scheinbar nebensächlichen Frage der Krampusse und Nikoläuse – hat Bernd Fischer eine Umfrage gemacht: «Wann soll der Schokoladenikolausverkauf beginnen?» Anfang Dezember, war das Ergebnis der lokalen Bürger_innenbefragung, und die Entscheidung wurde ohne Wenn und Aber umgesetzt: Partizipation in Bestform. «Und weil die Leute das selbst entschieden haben, wollten sie auch, dass es funktioniert. Also haben sie die ganze Schokolade aufgekauft – damit nichts übrigbleibt und wir gemeinsam Erfolg haben.» So war auch die Zentrale zu überzeugen: «Ich musste in den ersten beiden Jahren beweisen, dass ich mit meinen spinnerten Ideen nicht auf die Schnauze fall‘. Das hab ich geschafft.»

Open-Source-Ökonomie


Auf die «spinnerten Ideen» kam Bernd Fischer bei einer Tagung zur Schenkökonomie in St. Pölten. Das Prinzip war so einleuchtend, da wollte er mitmischen. «Eigentlich möchte ich mein eigenes Geschäft unnötig machen. Mein Ziel ist, die Schenkökonomie, den Tausch, die lokalen Netzwerke so auszuweiten, dass der Verkauf sich auf ein Minimum reduziert.» Wegen der Umweltkosten, des sozialen Mehrwerts und des liebevollen Umgangs mit Lebensmitteln. Außerdem gibt es, wenn der Supermarkt sich erübrigt hat, ja noch die Jugendlichen im Flüchtlingsheim in der Nähe, mit denen man gemeinsam kochen könnte – oder den Energiestammtisch, an dem man sich zu sinnvollen lokalen Energiekonzepten austauscht – oder die vielen Projekte, von denen man gehört hat und die zu besuchen nie genug Zeit ist – und eine Reparaturwerkstatt sollte doch dringend aufgebaut werden – und überhaupt … nein, fad wird ihm nicht.

Ob der «Billa» im Sorgen mache? «Der hat keine Chance.» Bernd Fischer lacht. «Ich bin mit meinen Projekten und Ideen und vor allem mit der Schenkökonomie auf ein Feld ausgewichen, wo der nicht mitkann. Bei mir werden die Leute einbezogen. Warum sollen sie bei mir einkaufen? Das Argument ist sicher nicht der Preis.» Der Idealismus hat dabei eine ganz pragmatische Schlagrichtung: Mit «kleinen, zarten Kreisläufen, auf die man aufbauen kann», kann auch in der schwersten Krise gewirtschaftet werden, wenn die großen, nicht selbst organisierten Kreisel ins Wanken geraten.

 

Dass Bernd Fischer ausgerechnet in Losenstein gelandet ist, ist Zufall. Wenn auch die Tatsache, dass es hier noch eine Menge an lokaler Infrastruktur gibt, die Angelegenheit erleichtert. Aber prinzipiell, meint der erfolgreiche Schenk-Kaufmann, ist so eine Initiative überall möglich: «Ich freu mich über jeden, der meine Ideen klaut.» Open-Source-Ökonomie, verbunden mit dem Nahziel, mehr pragmatische Idealist_innen anzuziehen: «Damit irgendwann die Leute sagen: Die Losensteiner sind cool. Da will ich auch hinziehen.»