Das Theatermuseum erklärt, was Austropop ist. Und Peter Cornelius erhält das Goldene Ehrenzeichen der Republik. Dazu ein paar Anmerkungen eines Insiders.
TEXT: ERICH FÉLIX MAUTNER
Warum sich ausgerechnet das Theatermuseum, das andere Kompetenzen besitzt, mit Austropop beschäftigt, bleibt im Dunkeln. Ebenso, warum das Theatermuseum unter Austropop Im weißen Rössl, «Das neue Wunderteam» und «Schifoan», Die Fledermaus, Nestroy und Falco und sogar das amerikanische Musical The Sound of Music subsumiert, lässt sich nur damit erklären, dass das Kurator:innen-Team zu wenig Zeit hatte, um sich ausreichend zu informieren. Da steht sogar: «Der ‹Austropop› lässt sich bereits im 18. Jahrhundert bei Wolfgang Amadeus Mozart, seinem ersten Papageno Emanuel Schikaneder sowie seinem Librettisten Lorenzo da Ponte festmachen.» Namedropping als Ausstellungsthema. «Dort wird also mit beherzter Absicht am Rande des Etikettenschwindels trittbrettgefahren», schreibt Der Standard, und die meinen das ernst!
Zunächst:
Der Begriff «Pop» ist über die Pop Art in der bildenden Kunst zu uns gekommen. Die Pop Music ist die musikalische Ausformung der Pop Art. Pop war aber auch das Motto dieser Jahre um diese Mode: Die Carnaby Street in London, Minirock, lange Haare, bunte Blumentapeten, überhaupt die Blumenkinder und Stirnbänder, das Musical Hair, freie Liebe, die Disco Blow Up in München und das Voom Voom als erstes Pop-Lokal Österreichs in Wien, wo der Sacco-Sitzsack erstmals fotografiert wurde. Frank Zappa, «Fire» von Arthur Brown oder das 17-Minuten-Epos «In-A-Gadda-Da-Vida» von Iron Butterfly. In der österreichischen Musik waren es u. a. Peter Schleichers Band Plastic Drug und Jesus H. C. um Walter Frey Pop Music. Novaks Kapelle schaffte es sogar zu einem Vorgriff auf den Punkrock, nachdem sie bei einem Konzert, besonders gut aufgelegt – wovon ist nicht überliefert –, auf der Bühne ihre Instrumente vertauscht hatten, sodass jeder ein Instrument spielte, das er sicher nicht beherrscht hatte. Pop konnte hier nur aus England, vielleicht auch aus den USA kommen, jedenfalls nur englisch gesungen werden. Und neue Klangeffekte hatten eingesetzt, wie die Leslie-Tonbox, das Wah-Wah-Pedal oder frühe Computer. Das war Popmusik aus Österreich. (In der Bundesrepublik hatte sich der Begriff bald anders entwickelt. Und zwar ist dort bis heute Popmusik alles, was populäre Musik ist, also auch Schlager.)
Erst Wilfried, der dank der ORF-Nachwuchsförderin Eva Maria Kaiser lange ohne seinen Familiennamen Scheutz auskommen wollte, schaffte es, den Rock mit «Ziwui Ziwui» und Gstanzl-Format zu überraschen. «Ziwui» ist Austro, das Verwenden eines volkstümlichen Formats war «poppig» – und bekam den Stempel «Austropop». Und das war kein Adelsprädikat.
Die Dialektwelle wurde zur Dauerwelle.
Mundart-Protestsongs, Liedermacher:innen, Skiffle Music und Lyrisches gab es davon unabhängig, wollte aber nicht Austropop sein. Zuerst The Worried Men Skiffle Group mit «I Bin A Wunda» und «Glaubst I Bin Bled», danach Marianne Mendts «Wie a Glockn» und die anderen. Parallel dazu entstand Free Jazz und Underground. Falco machte keinen Austropop, das war internationales Format.
Der meistgespielte österreichische Gesangsstar in den ORF-Sendern war allerdings keiner von diesen, sondern lange Zeit Mariza Lichter, die sich als «Marika» einen Namen gemacht hatte. Für sie hatte selbst der österreichische Hauspoet André Heller unter dem Namen Andreas Miriflor persönlich gedichtet: «Dann wird es wieder schön sein, ein neues Wiedersehn sein.» Jetzt muss man wissen, dass zu dieser Zeit der Peter Lossak als fleißigster Musikprogrammierer sehr viele Sendungen in Ö3, aber auch für andere ORF-Sender musikalisch gestaltet hatte. In den täglichen, oft stündlichen Laufband-Sendungen von Ö3 wurde stets mindestens eine Vokalaufnahme Marika Lichters gespielt und jedenfalls auch eine Instrumental-Version eines ihrer Lieder. Peter Lossak war der Lebensabschnittspartner der Frau Lichter.
Bach als Rausschmeißer.
Ich war damals Manager einer Disco in Velden am Wörthersee, die sich auf eben dieses Popmusik-Publikum spezialisiert hatte. Diese Disco hat mir auch ein interessantes Zeugnis über den Musikgeschmack der Pop-People gezeigt. Es war Sperrstunde und das Lokal rammelvoll. Jetzt war guter Rat gefragt, nämlich die Gäste freundlich auf den Heimweg zu bringen, ohne sie zu vergrämen. So hieß ich den Discjockey, als Rausschmeißer eine LP mit Werken Johann Sebastian Bachs zu spielen. Der Erfolg war, dass die langhaarigen Folks von der Barockmusik so begeistert waren, dass sie mehr hören wollten. Die zeitgenössische Unterhaltungsmusik hat sich tatsächlich oft, legal und erfolgreich mit Bach beschäftigt.
Nackerpatzl.
Das Café Hawelka war auch kein Lokal für die Musiker:innen (wie behauptet), aber für die Bildenden und Schreibenden. Der studierte Georg Danzer (der nie Austropopper sein wollte, sondern Lyriker und anspruchsvoller Liedermacher) kam erstmals ins Hawelka, weil ich mich mit ihm dort verabredet hatte. Damals war er Zeichner, die Muse Polyhymnia lauerte ihm erst später auf, auch Gerhard Bronner, der ihn gefördert hatte.
Umso überraschender sein Auftritt in einer der TV-Jugendsendungen mit seinem Statement, dass es in Wien keine nennenswerte Szene gäbe wie in Hamburg: «Die Szene, das ist der Wolfgang Ambros und i!» Es folgte das Album Der Tschik und das Trinklied «Heit Bin I Wieda Fett Wie Ein Radierer!»
Eines Abends saß der junge Liedermacher im Hawelka, nicht um «hoiba zwaa», weil dort um ein Uhr strikte Sperrstunde war, als der von Grazer Gastronom:innen respektvoll gefürchtete Wolfgang Bauer das Lokal rumpelnd betrat. Danzer hatte den Dichter vielleicht nicht erkannt. Jedenfalls war er sich sicher, dass Bauer ob seines Benehmens ein geistiges Nackerpatzl sein müsse. Und die Idee zu «Jö Schau» ward geboren. (Nach einer anderen Erzählung spazierte der Fotograf Marcel Houf nackt, wie er das öfters machte, ins Hawelka.)
Ambros und Cornelius.
Einmal hatte mich jemand von der Amadeo-Platten-Produktion angerufen, ich möge mich um einen jungen Interpreten PR-halber kümmern. Ich kam ins Büro, dort war schon Wolfgang Ambros, sein Texter Josef Prokopetz und eine Single mit «Da Hofa». Ich schlug, es sollte ja schnell gehen, ein Treffen zwecks genauerer Absprachen vor, und zwar am folgenden Tag um 16 Uhr im Café Hawelka. Wolfgang Ambros, 19 Jahre alt: «Aber ned z’ spät kumman! Weil um halber fünfe bin i scho b’soffn!»
Ein anderes Mal sollte ich mit dem Bank-Angestellten Peter Korunka und seinem Erstlingswerk auf Promotion-Tournee. Allein, es war mir nicht möglich, auch nur einen einzigen Auftritt zu fixieren. Der Liedermacher und Gitarrist war aus der europäischen Produktion von Hair gekommen und nun auf Solopfaden unterwegs. Später, als er sich Peter Cornelius nannte, war das leichter.
Cornelius’ Karriere wurde schließlich im September dieses Jahres durch die Politik gekrönt. Im restaurierten ehemaligen Ranftl-Zimmer, jetzt Salon des Künstlerhauses, wurde ihm aus den Händen der Kulturstaatssekretärin das Österreichische Ehrenkreuz für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Das ist mehr wert als eine Goldene Schallplatte. Andrea Mayer sparte in ihrer Laudatio nicht mit Superlativen und in der Aussendung des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport hat es dazu geheißen: «Er ist der in Deutschland erfolgreichste österreichische Singer-Songwriter aller Zeiten und gilt als einer der besten Rock- und Popgitarristen Österreichs. […] Die LP Reif für die Insel war 45 Wochen ununterbrochen in den deutschen Albumcharts. Zu dieser Zeit war Peter Cornelius mit zwei Alben und zwei Singles gleichzeitig in den deutschen Charts. […] Immer wieder verlegt er sein künstlerisches Schaffen in seine Sehnsuchtsstadt New York City.»
Austropop. Von Mozart bis Falco
Bis 4. September 2023
Theatermuseum, 1., Lobkowitzplatz 2
www.theatermuseum.at
Bildbeschreibung: Kurzer Rock (Trägerin: unbekannt) und lange Haare (Träger: Theo Bina) galten auch in Wien am Ende der 1960er-Jahre als Zubehör zur «Pop Music», ©www.stephanmussil.at