«Narziss hat wie ein Beamer ein Bild geworfen»Artistin

Der Philosoph, Tänzer und Choreograf Michael Turinsky anlässlich seines «Narcissus Project»:

Im Tanzbereich ist Michael Turinsky ein gefragter (Gespächs-)Partner bzw. Experte, den es heranzuziehen gilt. Paradoxerweise stößt er im Behinderten-Betreuungsbereich mit seinen Expertisen auf taube Ohren.Du bezeichnest dich selbst als Behinderter. In deinem Essay «Das abscheuliche Genießen. Lacanianische Reflexionen über den Umgang mit Behinderung, Liebe und Sexualität» schreibst du über Körper, die «un-sinnige» Bewegungen ausführen, und zählst indirekt auch deinen dazu. Wäre es politisch unkorrekt, dich als Spastiker zu bezeichnen?

Medizinisch wäre es nicht korrekt. Ob es politisch unkorrekt wäre, ist mir wurscht. Ich habe eine Zerebralparese, eine Art physisches Tourette-Syndrom. Im Vergleich zu einem Spastiker wackle ich mehr und bin weniger verkrampft.

Wie bist du zum Tanz gekommen?

Eine behinderte Frau erzählte mir, sie würde regelmäßig zu einer Tanzgruppe gehen. Ich dachte: Aha, interessant, das können auch Behinderte machen spannend. Ich habe mir das angeschaut es hat mir beim ersten Mal gleich voll getaugt. Allerdings habe ich als Kind schon eine Phase gehabt, wo mir Ballett gefallen hat.

Wie alt bist du damals gewesen, als du zu der Tanzgruppe gestoßen bist?

28, ein sehr später Einstieg (Turinsky ist Jg. 1978, Anm.). Das tut mir ein bisschen leid, denn wo stünde ich jetzt, hätte ich wesentlich früher damit begonnen. Als Choreograf kann ich sicher lange arbeiten, aber wie lange als Tänzer?

Du praktizierst «inklusiven Tanz» und beschäftigst dich auch theoretisch damit, wie in deinem Essay «Strauchelnde Gesten. Zu einer politischen Ontologie inklusiven Tanzes». Was darf man sich unter dieser Tanzform vorstellen?

Im Prinzip ist inklusiver Tanz die zeitgenössischste Bezeichnung für die künstlerische Praxis von behinderten und nicht behinderten TänzerInnen. Man nennt das nicht mehr integrativer Tanz, mit dem Hintergedanken, die Rede von der Integration würde Folgendes implizieren: Da wäre die eine homogene Gruppe, dort die andere homogene Gruppe und wie bringen wir die jetzt zusammen? Hingegen geht man beim inklusiven Tanz davon aus, dass die Körper generell individuell verschieden sind. Man muss folglich schauen, wie man mit dieser grundlegenden individuellen Verschiedenheit umgeht.

Dazu möchte ich eine Anekdote bringen: Eine Assistentin von mir hörte am Büffet, nach einer Vorstellung, wie ein Besucher meinte, der sitze nicht wirklich im Rollstuhl. Sie darauf: Schaun S rüber, da sitzt er ja in seinem Rollstuhl. Der Besucher entgegnete, das müsse noch immer Teil der Inszenierung sein. Das liegt auch an meiner Technik. Natürlich steckt bei mir auch jede Menge Arbeit dahinter, einen bestimmten Effekt zu erzielen.

Nervt dich diese Beurteilung, dass «der ja nur spiele»?

Ich finde das lustig, es ist aber auch eine Bestätigung. Nicht dass ich darauf aus wäre, diese Effekte zu erzielen, aber ich glaube, nicht jeder hat diese Performancequalitäten und paradoxerweise erzeugen diese Qualitäten auch den Effekt von Körperbeherrschung, dazu muss man den behinderten Körper spezifisch einsetzen.

Inwiefern können dir nichtbehinderte ChoreografInnen und TanzpartnerInnen weiterhelfen? Wie begegnen sie dir bei der Körperarbeit?

Ausprobieren und schauen, was geht. Kann ich es lernen, oder nicht? Kann ich es adaptieren? Man muss viel autodidaktisch machen, weil es so speziell ist. Sie können dir helfen, deinen Körper kennen zu lernen. Sie helfen auch, indem sie sagen, wie man das Repertoire erweitern könnte. Ich wurde einmal dazu gedrängt, zwischen zwei langen Zuschauerreihen zu gehen das war nicht ohne. Ich gehe gerne in meiner Wohnung, aber zwischen diesen Reihen zu gehen und zu denken, hoffentlich falle ich niemandem auf den Schoß, wenn es mich umprackt, ist schon heftig. Wenn dich jemand dazu bringt, das zu tun, und dir das Vertrauen gibt, wenn es schief geht, ist es auch nicht schlimm, dann helfen dir diese Leute.


TänzerInnen werden auch stark mit Athletik und virtuoser Körperbeherrschung in Verbindung gebracht. Attribute, die für dich wohl eine untergeordnete Rolle spielen?

Zum einen ist das richtig. Den Fokus kann man als Behinderter nicht auf elaborierte Virtuosität, Athletik usw. legen. Man legt den Fokus sowohl auf Präsenz auf der Bühne als auch auf eine bestimmte Haltung gegenüber dem Körper und auf improvisatorische Fähigkeiten. Auf der anderen Seite: Ich lasse es auf der Bühne auch gerne krachen. Ich liebe es, an meine physische Grenze zu gehen. Insofern stellt sich die Frage für mich genauso. Speziell stellt sich diese Frage für meine Knie. Ich bewege mich viel auf den Knien, natürlich mit Schützern, aber ich habe keine Ahnung, wie lange sie das noch aushalten. Ich muss mich selber immer wieder disziplinieren, auf mich aufzupassen. Ich wurde sogar schon gerügt, nach dem Motto, ich sei self-abusive (sich selbst verletzen, Anm.). Das hat mich sehr geärgert, weil ich würde mich nicht so bezeichnen. Ich entgegnete damals: Fußballer hauen sich auch hinein und riskieren Verletzungen, gelten aber nicht als self-abusive!

BehindertenbetreuerInnen hören nicht auf Behinderten

Was hast du aus dem mythologischen Stoff des Narziss für dein Tanzstück «Narcissus Project» herausgeholt?

Ausgehend von dieser antiken Figur thematisiere ich Prozesse des Eintauchens, des Spiegelns und des Projizierens. Der Titel spielt mit dem Begriff «projecten» der ein Terminus technicus im Tanz ist. Projizieren heißt Energie senden, ausstrahlen, aufmachen; wie ein Beamer mache ich auf. Narziss hat wie ein Beamer ein Bild geworfen, ein Bild nach außen in das Wasser, und dann ist er in das geworfene Bild eingetaucht. Es geht dabei auch um den Ausschluss von Andersheit, weil Narziss die Nymphe Echo verschmäht hat, da er zu selbstbezüglich war. Es geht auch um Gewalt in einer rigiden individuellen oder kollektiven Identitätsbildung. Der Staat ist auch ein Narziss, insofern, als er zur Konstitution der eigenen Identität den gewaltsamen Ausschluss in gewisser Weise benötigt. In diese Richtungen geht es, ich wollte das Stück nicht auf eine einzige Message hintrimmen.

Du bist auch Philosoph und hast den «Verein für Philosophische Praxis» gegründet. Womit kannst du als praktizierender Philosoph dienen?

Ich mache keine Einzelberatungen. Ich halte für Leute, die im Behindertenbetreuungsbereich arbeiten, Seminare, aber nur ein bis zwei Mal im Jahr, weil ich nicht ständig kämpfen will, dass mir die Leute zuhören und dem Bedeutung beimessen, was ich zu sagen habe. Beim Tanz wollen viele Leute mit mir arbeiten, wollen von mir etwas wissen dort fliegt mir alles von alleine zu, während ich im Behindertenbetreuungsbereich zum Teil auf massive Widerstände stoße. Das Frustrierende ist, dass gerade Leute, die im Behindertenbereich arbeiten, oft nicht wirklich mögen, dass ihnen ein behinderter Mensch etwas sagt. Das ist schwer zum Aushalten. Ich halte es für enorm wichtig, dass zumindest ein behinderter Mensch an Ausbildungsinstitutionen zur Behindertenbetreuung unterrichtet das muss doch möglich sein! Für mich ist das typisch österreichisch: immer über Leute reden, aber sie selbst nicht reden lassen. Es dürfte ein sehr absurdes Vorurteil bestehen, in dem Sinne: Wenn man selbst betroffen ist, kann man darüber nichts sagen.

Welche Themen wurden/werden in deinen Seminaren behandelt?

Zum Beispiel «Spannungsfelder in der Arbeit mit behinderten Menschen» oder «Macht und Ohnmacht in der Betreuungsarbeit». Ich versuche zwei Stränge unterzubringen, u. z. psychoanalytische Theorie und Disability Studies, ein emanzipatorischer Forschungsansatz rund um das Thema Behinderung, der sich im angloamerikanischen Raum etabliert hat. Dieser hebt sich von der hiesigen Heilpädagogik dadurch ab, dass er interdisziplinär, emanzipatorisch und zum Teil von behinderten Menschen selbst verfolgt wird.

Bist du Aktivist der Behindertenszene?

Ich sehe mich in der theoretischen Praxis verortet.

Info:

«Narcissus Project»

TänzerInnen: Tanja Erhart, Thomas Richter, Gabi Seeleitner, Maria Christina Hilber und Franz Nachbauer

Am 29. und 30. April 2011, jeweils 20 Uhr

Kabelwerk

Oswaldgasse 35A

1120 Wien

www.dansebrute.org



Website des «Verein für Philosophische Praxis»:

http://anderssein.at

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