Nationalsozialistisches Gedankengut in Gesetzentun & lassen

Eindeutig Staatsvertragsbruch

Joachim Stern ist Jus-Student. Bis vor einigen Monaten war er zusätzlich Mitarbeiter einer Beratungsstelle in Wien. Im Zuge dieser Tätigkeiten hat er dauernd mit gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen zu tun, der Umgang mit Gesetzestexten und der Bezug von Originalquellen sind sein Alltag. Eines Tages macht er eine Entdeckung. Er findet die Wörter „Erb- und Rassenpflege“ im online-Schalgwortkatalog des Rechtsinformationssystems (RIS), das für jedeN BürgerIn zugänglich vom Bundeskanzleramt betreut und herausgegeben wird. Und als Joachim Stern nachsieht, was ihm denn der Computer zu diesen Schlagwörtern herausspuckt findet er Gesetze mit nationalsozialistischem Inhalt, in ihrer Kraft bestätigt im Jänner dieses Jahres.“Eigentlich wären 1945 alle nationalsozialistischen Gesetze außer Kraft getreten,“ schildert Joachim Stern die historischen Vorgänge in Österreich. „Die Republik Österreich ist wiedererstanden und somit sind alle österreichischen Gesetze wieder gültig gewesen. Und die provisorische Staatsregierung hat sich gedacht, wir wollen zwar eine österreichische Rechtsordnung herstellen, aber es ist praktischer, wenn wir die Nazigesetze übergangsweise aufrecht erhalten und nur die undemokratischen, nationalsozialistisch-ideologisch belasteten Paragraphen rausfiltern.“ Während es also in Deutschland zu dieser Zeit eine sogenannte Generalklausel gab, durch die alle Nazi-Gesetze von Vornherein aufgehoben waren, gab es in Österreich ein sogenanntes Rechtsüberleitungsgesetz. Alle NS-Gesetze blieben in Kraft, die ideologisch belasteten sollten schrittweise und per Kundmachung durch die Bundesregierung außer Kraft gesetzt werden. Dieser Plan scheiterte. „Insgesamt hat es 34 Kundmachungen gegeben in den Jahren 1945 und 46,“ so Stern weiter. „Aber dann hat die Bundesregierung aufgehört, Kundmachungen zu erlassen. Ich denke, aus Bequemheit. Es gab auch eine Kommission, die extra dazu einberufen war, für die Wiederherstellung der österreichischen Rechtsordnung zu sorgen. Aber das ist alles im Sand verlaufen. Man hat dann mehr oder weniger auf den Nazibestimmungen aufgebaut, einzelne Paragraphen aufgehoben oder als aufgehoben betrachtet.“

Erblehre und Rassenpflege

Es dauerte noch weitere zig Jahre, ehe die österreichische Bundesregierung 1999 ein sogenanntes Bundesreinigungsgesetz erließ, mit dem alle Gesetze bis 1946 in ihrer Kraft aufgehoben wurden, mit Ausnahme einiger explizit aufgelisteten Paragraphen. Man hatte inzwischen erkannt, daß es die unüberschaubare Flut von Gesetzen aus der Zeit der Monarchie und aus dem Nationalsozialismus endlich anzupassen wären. Joachim Stern untersuchte diese Liste nicht zu streichender Gesetze und machte eine ungeheuerliche Entdeckung: Auf dieser Liste explizit genannt wurde z.B. das Gesetz über die Gesundheitsämter. Da heißt es: „Das Gesundheitsamt hat die natürliche Bevölkerungsbewegung in seinem Bezirk zu verfolgen, das wertvolle Erbgut in unserem Volke zu pflegen und hierauf insbesondere bei der Eheberatung zu achten…“ „Die gesundheitliche Volksbelehrung, durch die allgemein anerkannte Grundsätze auf dem Gebiete des Gesundheitswesens und der Erblehre und Rassenpflege Gemeingut der Bevölkerung werden sollen, ist vom Gesundheitsamt im engen Einvernehmen mit den die gleichen Ziele verfolgenden Organisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei durchzuführen.“ Diese eindeutig nationalsozialistischen Bestimmungen waren also zunächst aus Bequemlichkeit nach dem Krieg in Kraft geblieben und 1999 eigens aufgelistet worden, um neuerlich in ihrer Kraft bestätigt zu werden und waren außerdem im öffentlich zugänglichen Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts als gültige Verordnung zu finden.

Gerichtshöfe unter sich

„Ich hab dann versucht, das an die Öffentlichkeit zu bringen,“ schildert Joachim Stern weiter. „Ich habe eine homepage eingerichtet und mich an die Medien gewandt. Aber das Interesse war sehr gering. Nur der Standard hat das aufgegriffen und kritisch darüber geschrieben und interessanterweise waren am nächsten Tag die genannten nationalsozialistischen Paragraphen aus dem RIS einfach verschwunden.“ Während also Joachim Stern davon ausgegangen war, daß das Problem die Existenz dieser Gesetze ist, war das Bundeskanzleramt offenbar davon ausgegangen, nur die Tatsache sei problematisch, daß sie dokumentiert waren und löschte sie ganz einfach. Juristisch gesehen, ein höchst bedenklicher Vorgang. Einigermaßen fassungslos suchte Joachim Stern politische Unterstützung. „Die Grünen haben dann zwei Anfrage eingebracht,“ so Stern. „Eine an die Gesundheitsministerin -also jetzt Ministerin für soziale Sicherheit- und eine an den Bundeskanzler. Aber beide stützen sich auf die Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofs, daß die Gesetze von vornherein gar nie Teil der österreichischen Rechtsordnung waren. Dieser Meinung ist aber nur der Verfassungsgerichtshof. Der versuchte wohl diese ganze verschlampte Prozedur zu kompensieren. Sowohl der Verwaltungsgerichtshof als auch der oberste Gerichtshof sind noch immer der Ansicht, daß nur eine Kundmachung der Bundesregierung diese Bestimmungen außer Kraft setzen kann. Außerdem: selbst wenn ich jetzt annehme, daß diese Gesetze ja ohnehin nicht in Kraft sind, warum sind sie dann dokumentiert? Das wäre ja dann Wiederbetätigung. Ich meine, im Bundeskanzleramt sitzen schließlich Experten und geben diese Texte ein.“

Dentisten deutschen Blutes

Joachim Stern stieß im Zuge seiner Recherche auf noch mehr erstaunliche Dinge. Nicht nur, daß es also bis heute juristisch völlig unklar ist, ob die noch dokumentierten Nazi-Gesetze nun in Kraft sind oder nicht, es ist auch so, daß diese Gesetze ja nicht wieder verlautbart wurden, was bedeutet, daß man sich Reichsgesetzblätter u.ä. anschauen muß, um heute zum Originaltext zu kommen. „Daß man nach wie vor in einem Buch nachschauen muß, wo so ein mordstrum Hakenkreuz drauf sitzt, das scheint niemanden zu stören,“ sagt Stern. „Ich meine, ich bin ein Student im fünften Semester, aber es gibt Leute, die haben jeden Tag damit zu tun. Ist denen das ganz egal?“ Noch immer findet man in zahlreichen Gesetzen, auch bei jenen, die das RIS dokumentiert, folgenden Wortlaut: …aufgrund des Gesetzes über die Wiedervereinigung mit dem deutschen Reich wird Folgendes verordnet. Auch das scheint bisher niemanden gestört zu haben. Nach den parlamentarischen Anfragen der Grünen hätte man meinen können, daß das Bundeskanzleramt sein Computersystem durchforsten und nach problematischen Paragraphen untersuchen würde. Nicht einmal das geschah. „Ich hab mich später hingesetzt und wieder welche gefunden,“ so Stern weiter. „Und vor zwei Wochen hab ich mich noch mal hingesetzt und hab zum Beispiel Bestimmungen gefunden über die Bestellung von Dentisten. Und da steht, daß ein Dentist deutschen oder artverwandten Blutes sein muß und zumindest deutsche Volkszugehörigkeit haben muß, um als Dentist zugelassen zu werden.“ Und wie Joachim Stern herausfand, war das immerhin eine von jenen Bestimmungen, die mit 1. Jänner 2000 außer Kraft gesetzt wurden. Also 55 Jahre nach dem offiziellen Ende des Nationalsozialismus.

Der Artikel 10

Und was sind nun wirklich die Gründe für diesen schlampigen Umgang in diesem Bereich? Sind die Rechtsexperten des Bundeskanzleramts alle Nazis, waren es sämtliche Regierungen nach 1945, gab es überhaupt jemals eine ernstgemeinte Absicht Österreichs, sich vom Nazideutschland loszusagen? „Ich denke nicht, daß es hier um irgendwelche bösen Absichten geht,“ so Stern. „Ich denke, es geht hier um Ignoranz und Insensibilität der Thematik gegenüber. Nur handelt es sich hier um unser Rechtssystem und da können Schlamperei und Ignoranz – zumindest meiner Meinung nach – nicht geduldet werden.“ Und warum das öffentliche Stillschweigen darüber, daß 50 Jahre nach Ende des Krieges noch immer Nazibestimmungen in unseren Rechtsvorschriften vorhanden sind? Warum kein Skandal, kein politisches Hickhack? „Das würde bedeuten, eine Lüge zuzugeben, die 50 Jahre lang gebraucht wurde,“ weiß Stern. „Denn das bedeutet ja auch, daß hier ganz eindeutig Staatsvertragsbruch vorliegt. Im Artikel 10 heißt es ausdrücklich, daß die Bundesregierung ihr Bestreben fortsetzen muß, alle der Demokratie widersprechenden Gesetze aufzuheben. Das ist aber nie geschehen. Österreich ist immer davon ausgegangen, daß es ‚besetzt‘ war. Und zu sagen: Österreich war nie Teil des Nationalsozialismus und hatte keine Mitschuld am Holocaust und andererseits bleiben die Gesetze aus der Zeit gültig,- da stellt sich schon die Frage, inwieweit Österreich jemals wirklich geglaubt hat, nicht Teil des Nationalsozialismus zu sein.“ Joachim Stern hat keine Perspektiven mehr. Die politischen Maßnahmen sind ausgeschöpft. Er könnte eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft wegen Wiederbetätigung einbringen. Die Aussichten auf Erfolg sind denkbar gering. Und es wäre wohl zu untersuchen, ob bei den Rechtsexperten, die alles das in die RIS-Datenbank eingegeben haben, ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz vorliegt. „Das ist alles, was ich machen kann,“ sagt er. „Es handelt sich hier um Wiederbetätigung auf Gesetzesebene und insofern sind rechtliche Schritte unmöglich.“

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