Nehmen wir an …tun & lassen

Die fiktive Stadt Vineta hat eine neue Vizebürgermeisterin. Eine überzeugte Linke.
Aber wie lange bleibt sie unkorrumpiert?

Ein Kommentar von Robert Sommer, Foto: Lisa Bolyos

Dies sind Nachrichten einer fiktiven Stadt, nennen wir sie Vineta, und Überlegungen eines fiktiven Beobachters. Der Beobachter will was erforschen: Was passiert mit Linken, die sich mit Mandatar_innenfleiß einen politischen Karrieresprung erarbeitet haben, wie z. B. die Chefin der grünen Minderheitsfraktion, die Vizebürgermeisterin geworden ist. Evident ist, dass sie als Neo­politikerin aus ihren alten Zusammenhängen geschleudert wird – aus den kleinen zivilgesellschaftlichen, rebellischen Zusammenhängen, in denen sie das System analysieren und dann praktisch negieren lernte. Sie entgleitet, sanft oder abrupt, den Orten ihrer Sozialisierung.

Einsame Linke.

Zweierlei zwingt sie zu dieser Entfremdung, die man auch als strukturelle Vereinsamung der Linken in den parlamentarischen Institutionen bezeichnen könnte. Erstens füllt sich der fiktive Terminkalender progressiv, und in ihm häufen sich Namen aus einer Welt, die nicht die ihre war: Personen der politischen und administrativen Klasse, die sich benehmen, als gehöre Vineta ihnen allein.
Zweitens wird sie sich in ihren ehemaligen sozialen und politischen Zusammenhängen zunehmend unwohl fühlen, denn mit ihren politischen Kompromissen, zu denen sie gezwungen zu sein vorgibt, um die Koalition mit der SPÖ – und im Weiteren auch die mit der ÖVP – nicht schon im Anfangsstadium in Frage zu stellen, verspielt sie ihre Unabhängigkeit. Und enttäuscht die angestammten Crews.
Lange war sie wie unsereins: Sie lernte, wie frau in einem falschen System das Richtige sagt, und sie beschämte alle kleingläubigen Skeptiker_innen, als sie im Fernsehen das Allerrichtigste sagte: Links zu sein in Vineta, dieser Stadt des untolerierbaren sozialen Gefälles, sei eine Selbstverständlichkeit. Es tat ihr gut, dass die Freundinnen und Freunde ihres Vorlebens applaudierten – doch der Applaus drückte andrerseits schon ein strukturelles Problem aus. Denn schon ersetzt der Applaus die differenzierenden Beurteilungen ihrer Schritte durch die früheren Genoss_innen, die eine korrigierende Funktion hatten, was aber nie zu persönlichen Kränkungen geführt hatte.

Asphaltierte Commons.

Auch in imaginären Städten wie Vineta führt der parlamentaristische «Sachzwang» all jene, die sich eben noch unängstlich zur Linken bekannten, zu einem Punkt der Entscheidung: Bleibe ich (Vize-)Bürgermeisterin und verhindere dadurch einen faschistischen (Vize-)Bürgermeister – oder setze ich linke Ideen in linkes Handeln um. Man könnte einwenden, einen Faschisten in der Regierung zu verhindern, sei eine linke Handlung. Dieser Unsicherheit ist meiner Meinung nach mit dem Instrumentarium der marxistischen Gesellschaftsanalyse beizukommen, die von den unsichtbaren Fäden weiß, die jede Stadtregierung vom großen Kapital abhängig machen. In unserer fiktiven Stadt Vineta hat der größte Baukonzern der Welt, die Firma Haselnuss, so viel Macht, dass die wichtigste Frage nicht Grün oder Blau heißt. Die wichtigste Frage heißt mehr oder weniger Asphalt und mehr oder weniger Freiheit.
Auch das ist eine wichtige Frage: privat oder common? Zu spät gefragt: Common ist längst out, auch in Vineta. Die Pavilllons am Steinhof – beste Lage, gesündeste Luft – werden denen gehören, die unverschämtes Gerstl am Konto haben. Frau Vize feiert trotzdem einen grünen Sieg. Das Grüne zwischen den Pavillons darf vom Volk betreten werden. Zehn solche Siege, und die Gesinnungsgrünen sehnen sich nach einer neuen Rolle. Es ist die alte und nennt sich APO.
Verblüffend rasch oder verblüffend spät wird in unserer eingebildeten Stadt die Rebellion der Jugend entstehen, die alle Parteien ablehnt und Vineta von den Fabriken aus, von den besetzten Pisten, von den Perinetkellern und den Plätzen aus regiert – und nicht vom Rathaus aus.