Neue LandwirtschaftsmusikArtistin

Was soll aus mir werden: Bäuerin oder Klarinettistin? Vor dieser Entscheidung stand Barbara Maria Neu. Sie hat sich für Plan B entschieden – präsentiert aber, wie zum Ausgleich, in ihrer ersten Solo-Musikperformance, die auch auf DVD zu sehen ist, unter dem Titel Stalltänze. Ein Konzert in zehn Bildern eine Reflexion von Plan A.

TEXT: ANDREAS FELLINGER
FOTO: IGOR RIPAK

«In Oadåka.» Wo? In Ardagger, beantwortet Barbara Maria Neu im AUGUSTIN-Gespräch die Frage, wo genau sich der elterliche Biobauernhof befinde, auf dem sie mit vier Geschwistern aufgewachsen sei und den sie aus musikalischen Motiven verlassen habe. Den Hof an diesem Ort im Mostviertel, nur durch die Donau vom Mühlviertel getrennt, habe mittlerweile ihr Bruder übernommen. Die Schwestern hätten sich woanders hin orientiert – alle seien aber auf ihre Weise in der Selbstständigkeit gelandet. Ein beharrliches Bestreben nach einer gewissen Autonomie scheint in der Lebensführung der Familie angelegt zu sein. Sie selber, sagt Barbara Maria Neu, sei nicht zuletzt dadurch, dass ihr ihre Mutter, die selber zum Hausgebrauch Geige spielt, dringend dazu geraten habe, mindestens ein Musikinstrument zu erlernen, zur Klarinette gekommen.
In jungen Jahren habe sie viel Verschiedenes musiziert, sowohl klassische als auch Volksmusik. Und um ein Haar, sagt sie, sei sie Kapellmeisterin in der Ardagger Musikkapelle geworden. Stattdessen habe sie in Waidhofen an der Ybbs gelernt, bevor sie an der Bruckner-Uni Linz und klassische Konzertklarinette bei Gerald Pachinger, einem Wiener Symphoniker, in Graz und Wien studiert habe. Und weil ihr Musik allein nicht genügt und sie darstellende Kunst in allen Facetten interessiert habe, habe sie später noch an Atemtechnik- und Körper-Workshops teilgenommen und es zu einem Vorsprechen am Reinhardt-Seminar gebracht. Mittlerweile studiere sie bei Carola Dertnig performative Kunst an der Akademie der Bildenden Künste.

Erweiterung des Klassikrepertoires.

Noch während des Musikstudiums keimt in Barbara Maria Neu der Wunsch nach Erweiterung ihres klassischen Repertoires auf. Sie will sich mit zeitgenössischer Musik beschäftigen und sich auch auf diesem Sektor eine eigene Klangsprache aneignen. Also fragt sie eines Tages während des Impuls-Festivals in Graz den Turn-tablisten und Elektroniker Jorge Sánchez-Chiong, der sich als Künstler JSX nennt, ob er ihr jemanden empfehlen könne, den oder die sie um ein paar Kompositionen bitten könne. Dabei zeigt sie ihm ein paar Skizzen für die Stalltänze, die sie bereits vom Kopf aufs Papier gebracht hat. JSX habe sich die Skizzen angeschaut und sie sofort an keine Geringere als die hervorragende Klarinettistin Petra Stump-Linshalm verwiesen.
«Ich hätte mir ja nie getraut, die Petra darauf anzusprechen», gesteht Barbara Maria Neu heute. Irgendwann sei sie dann aber doch über ihren Schatten gesprungen und habe sie zuerst um vier – «und dann gleich um alle zehn Stücke» gebeten. Die habe glücklicherweise sofort eingewilligt und allen ihren Wünschen entsprochen. Und weil Neu von Beginn an die zwei Kunstdisziplinen miteinander verknüpfen wollte, seien eben die Stalltänze als Musikperformance das erste Resultat ihrer Anstrengungen.
Im Zentrum ihres Solodebüts stehe die Arbeit einer Bäuerin. Vor allem gehe es Barbara Maria Neu auch um eine Richtigstellung des Klischees, dass eine solche sich ausschließlich um Küche und Kinder kümmere. Im Gegenteil: Eine Bäuerin arbeite viel mit Tieren, mit der Motorsäge, auf dem Feld, in der Käserei und in der Werkstatt. Zudem habe Neu, entgegen dem landläufigen Vorurteil, das dörfliche Umfeld als «durchaus offen und interessiert gegenüber Anderem, Fremden und Neuem, sowohl in Kunst und Musik als auch in der Kultur» erfahren. «Ein Thema dabei, das mir besonders wichtig war», sagt Neu, «ist es, dass bei uns daheim auf dem Biobauernhof alles mit der Hand gemacht wird.» Sei es die Fütterung der Ziegen, das Stallausräumen, das Holzmachen, das Ausgraben des Unkrauts, das Brocken der Erdäpfelkäfer. Leider sei zur Drehzeit der DVD keine Erdäpfelsaison gewesen. Also seien keine Käfer im Bild zu sehen, um das sich Maria Gruen gekümmert habe. Maria Sendlhofer führte Regie, Laura Ettel die Kamera, und Rojin Sharafi sorgte für den guten Ton.

Von Frauen über Frauen.

Für die DVD waren also ausschließlich Frauen am Set, war das Absicht? Ja, sagte Barbara Maria Neu kürzlich in einem Interview, «das war für mich oberste Prämisse, weil es um das Leben von Bäuerinnen, also von Frauen auf dem Land ging. Es hat sich für mich falsch angefühlt, da mit Männern zusammenzuarbeiten. Dieses interdisziplinäre Arbeiten, dieses Über-die-Grenzen-Denken erschienen mir mit Frauen leichter. Und es haben schon so viele Jahrtausende immer Männer mit Männern im Vordergrund gearbeitet, da ist es jetzt wirklich an der Zeit, auch einmal das Gegenteil zu zeigen.» Vier Wochen habe sie vor den Dreharbeiten am Bauernhof zugebracht und alle Handgriffe eingeübt. Damit habe sie ihr Ziel erreicht, dass alle Aufnahmen in je einem Take ganz ohne Schnitte gelungen seien. «Außerdem wollte ich ohnehin das Raue dieser Arbeiten in der Landwirtschaft ohne Beschönigung zeigen», sagt Neu.
Nach einer Vorpremiere im August in Litschau/Nö kommt es am
5. und 6. November im Brick-5 (15., Herklotzgasse 21), zur Präsentation. Zwischen den verschiedenen Konzertsituationen wird dann die Stalltänze-DVD zu sehen sein. Anfang nächsten Jahres komme es dann zu weiteren Gastspielen, einmal im Mühlviertel, im Jazzatelier Ulrichsberg (6. Februar), zweimal im Schaumbad Graz (10. + 14. Februar).

Fortsetzung folgt.

Eine Fortsetzung der Stalltänze sei bereits in Planung. «Ähnlich aber anders» soll sie werden, sagt sie. Was ihr konkret vorschwebe, seien etwa Vertonungen von Märchen, «dafür habe ich ein Faible», zusammen mit der Kontrabassistin Judith Ferstl. Oder auch die biblische Geschichte von Abraham und Isaak, «tauglich für mehrere Generationen». Dafür werde sie mit dem Tubisten Roland Eitzinger musizieren, die Kompositionen kämen aus der Feder von Simon Zöchbauer, wie Eitzinger Mitglied in der Band Federspiel, sprechen werde die Schauspielerin Lena Kalisch.
Daneben betreibt Barbara Maria Neu, zusammen mit Lena Schwingshandl, die sogenannten Flatconcerts, eine Reihe intimer Musikbegegnungen unterschiedlicher Stile. Da kann es schon einmal zu einem Aufeinandertreffen von Johann Sebastian Bach, Hip-Hop und Elektronik an einem einzigen Abend kommen. Lediglich ein abstraktes Thema wird vorgegeben, konkrete Statements können weit voneinander gestreut sein. Anfänglich betrieben die beiden die Flatconcerts daheim, später an ausgewählten Orten, etwa im Amerlinghaus, und demnächst, am 4. Dezember, im Celeste (5., Hamburger Straße 18).
Zu diesem Gespräch haben wir uns im Café Weidinger verabredet. Das sei so etwas wie ihr verlängertes Wohnzimmer, sagt Barbara Maria Neu. Außerdem sei sie hier mittlerweile so bekannt, dass sie des Öfteren mit dem Wirt in die Oper gehe. Der bekomme nämlich häufig von Stammgästen zwei Karten für eine Aufführung geschenkt. Und hier entstand auch das Foto der multidisziplinären Klarinettistin, fabriziert von einem ihrer WG-Mitbewohner. 

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