Neugierig, was als Nächstes kommt …tun & lassen

Eine Alliierte für erniedrigte soziale Gruppen: Verena Krausneker

Verena Krausneker ist ein Original. Kreative Sprachwissenschaftlerin. Selbstbewusste Aktivistin gegen Rassismus. Solidarische Kämpferin für Gehörlose. Original Wienerin mit originalem Stammbaum aus Ungarn, Slowenien, Deutschland, Österreich, Tschechien und Polen. Dass die 33-Jährige heute in Wien lebt, ist vielleicht ihrer jüdischen Großmutter zuzuschreiben, die, vor den Nazis geflüchtet, später als Kommunistin nach Wien zurückkehrte, um „das Land wiederaufzubauen“. Gerade wurde Krausneker von den Grünen für ihr zivilgesellschaftliches Engagement zur „Frau des Jahres 2006“ geehrt.Du bist oft mit einer für Österreich typischen prekären Langsamkeit konfrontiert worden. Ob es sich nun um den 15 Jahre andauernden Kampf um die Anerkennung der Gebärdensprache als offizielle Sprache handelt oder darum, staatliche Gelder für die Arbeit gegen Rassismus einzufordern – die von dir gegründete Antirassismus-Institution ZARA erhält diese bis heute kaum. Auch dauerte es furchtbar lange, von den Nazis enteignete Zeichnungen an deine Vorfahren zurückzuerhalten. Inwieweit kann man gegen einen solchen Charakterzug überhaupt ankommen?

Man muss schauen, dass man nicht zwischen die langsam mahlenden Mühlen kommt. Ich hab das große Glück, dass es in den Bereichen, die mich in den letzten zehn Jahren beschäftigt haben, Gebärdensprache und Rassismus in Österreich, eine rasante Entwicklung gab. Es ist viel passiert! Ich weiß nicht, wie jemand lebt, der 20 Jahre versucht, die Leute von etwas zu überzeugen. Wie lange würde meine Geduld da halten? Ich schreib das nicht unbedingt meinen persönlichen Fähigkeiten zu, dass ich durchgehalten habe. Geduld ist leider nicht meine ausgeprägteste Eigenschaft.

Du bist Wiener Jüdin, in Wien und auch in Mexiko aufgewachsen, hast teilweise im Ausland studiert. Identität ist sicher ein wesentliches Thema für dich.

Ich bin Alliierte für manche Gruppen und Themen. Das ist eine Identität. Dazu gehört ein ganz starkes Solidaritätsgefühl. Wo sind die Grenzen dieser Rolle? Wo kann ich nicht mehr Sprecherin einer Gruppe sein, weil das absurd wäre? Als jüdische Österreicherin gehöre ich auch zu einer Minderheit, bin damit aber sehr wenig öffentlich aufgetreten. Es gab bisher noch keinen Anlass dazu. Aber natürlich hat meine Identität sehr viel mit meinem Engagement zu tun. Ich möchte, dass sich andere auch solidarisch erklären mit meiner Minderheit. Es ist angenehm, zu wissen: Es gibt Leute, die mich beschützen würden. Meine Mutter war eine brillante Deutsch-Russisch-Dolmetscherin, von der ich eine Selbstverständlichkeit von Sprachenvielfalt mitbekommen habe. Dass das nicht jeder so mitbekommt, habe ich erst mit über 30 verstanden. Meine Mutter hat, gemeinsam mit anderen, eine Schule gegründet und versucht, eine ihren Ansprüchen angemessene Bildung für uns zu organisieren. Der Zeit entsprechend hat das viel mit Engagement und Revolution zu tun gehabt. Ich hab in der Volksschule italienische Widerstandslieder gesungen. Was mit meiner Mutter nicht so viel zu tun hat, ist die Identitätsklarheit. Das ist etwas, das ich mir selbst erarbeitet hab‘, worauf ich sehr stolz bin. Da gab’s bei ihr, meiner Meinung nach, eher eine Identitätsverwirrung.

Ist es nicht so, dass man nicht zu viel darüber reden wollte, weil es in der Vergangenheit eh so mühsam war?

Irgendwann kam meine Mutter darauf, dass es wichtig ist, aber da war ich schon ein Teenager, das hat mich dann nicht mehr so geprägt. Es war für mich aber erleichternd, weil ich mich nicht im Kampf gegen meine Familie, sondern mit deren Verständnis auseinandersetzen konnte.

Es gibt einen wunderbaren Text im Band „Das kann einem nur in Wien passieren“ von dir, der mich sehr berührt hat. Dort erzählst du über antisemitische Alltagserlebnisse als Jüdin.

Ich hab zwei Gründe, warum ich damit nicht hausieren gehe: Ich finde das immer noch wahnsinnig subtil. Es sind die orthodoxen Juden im zweiten Bezirk, die mit direkten Attacken zu tun haben, weil sie erkennbar sind. Ich dagegen bin „getarnt“. Der andere Grund ist: Es gibt Leute, die rennen gerne als Opfer herum – ich nicht. Es gibt einfach keine Normalität gegenüber Jüdisch-Sein hier in Österreich, du bist immer „besonders“. Es ist faszinierend, bei der dritten Generation nach der Nazigeneration genau dasselbe Unwohlsein zu erleben, wie bei deren Großeltern.

Wie wichtig sind Wurzeln für uns? Wie kommentierst du die im Sterben begriffenen Lokalkulturen und Dialekte? Warum machen PolitikerInnen den Fehler, das Thema Identität RechtspopulistInnen zu überlassen?

Ich bin nicht sicher, ob es die eine Wiener Identität gibt und ob ich sie kenne. Ich glaube, dass ich in einer Seifenblase lebe. Ich habe nur mit einem gewissen Ausschnitt der Gesellschaft zu tun, in der ich sein kann, wie ich bin. Wien ist im Wandel und ich find’s eigentlich gut. Das Wien der 70er-Jahre ist nicht der Ort, an dem wir beide uns wohl gefühlt hätten – so was von kleinkariert und starr und eng! Vielfalt verlangt aber auch nicht die Aufgabe seiner Identität.

Du bist die einzige Hörende im Vorstand des Österreichschen Gehörlosenbundes. Es ist – auch dein – Riesenerfolg, dass die Gebärdensprache (die ja als Sprache viel älter sein müsste als jede Lautsprache) im Gesetz verankert wurde. Was bedeutet das für den Alltag Gehörloser?

Es müssen jetzt lauter Einzelgesetze für alle Lebensbereiche erlassen werden, etwa wer wann den Dolmetsch zahlen muss. Doch es gibt noch keine Klarheit, keine Präzedenzfälle. Wir haben die komische Situation, dass wir einen Riesenschritt gemacht haben und ein halbes Jahr danach alle noch immer ein bisserl schmähstad sind; sowohl der Staat als auch die Sprachgemeinschaft.

Wie mach‘ ich mich als Hörende am besten für Gehörlose deutlich? Werde ich verstanden, wenn ich meine Lippen deutlich bewege?

Ich kann mich genau erinnern, als ich, vor vielen Jahren, zum ersten Mal mit einer gehörlosen Gebärdensprachlehrerin zu tun hatte und ich wahnsinnig unsicher war, wie ich mit ihr kommunizieren solle. Für diese Frau, die ihr ganzes Leben damit konfrontiert war, ist es Normalität, dass man mit ihr was besprechen will. Peinlich ist die Situation meist nur für die Hörenden. Man muss einfach ein wenig Vertrauen haben. Das mit dem Lippenlesen ist problematisch und braucht ganz viel Training und Talent. Nur 30 Prozent der Laute sind sichtbar. Alles andere macht man irgendwo hinten, und das ist einfach nicht zu sehen. Den Rest muss man aus dem Kontext erraten. Das ist als Kommunikationsmedium eine Herausforderung und eine unglaubliche Leistung von jemandem, sich so durchzuschlagen. Man kann außerdem bei keinen Tischgesprächen teilnehmen. Ich glaube, dass es eine große Einschränkung ist, auf Gebärdensprache zu verzichten, um so angenehme, lockere Kommunikationssituationen im Leben zu haben.

Ich kenne Gehörlose, die einfach nie die Gelegenheit hatten, die Gebärdensprache zu erlernen.



Es gibt so viele Lebensgeschichten, wo man liest: Als ich das erste Mal zwei Gehörlose miteinander gebärden gesehen habe, ist mir aufgegangen, wo ich hingehöre, wer ich bin, was Sprache ist, wie man kommunizieren kann, dass es nicht anstrengend sein muss. Manche waren 15, manche 40, als das passiert ist.

Links von deiner Küche gibt es eine Riesenwand voller Bücher, rechts davon eine stolze Sammlung von Handtaschen.

Es spießt sich da nichts in mir. Ich versuche manchmal, mich hineinzuversetzen in jemanden, der mich zum ersten Mal sieht: In welche Kategorie ordnet er mich ein, rein äußerlich. Ich glaube, für manche ergibt das einen unangenehmen Konflikt, dass sie sich ein blondes Weibchen erwartet haben, und dann ist das jemand, der ihnen mit dem Oasch ins Gesicht fährt, und sie überhaupt nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.

Wie wird das erst, wenn du Mutter werden solltest?

Das ist doch mindestens so wichtig wie eine politische Aktivistin zu sein. Doch es wird total darauf hinuntergeschaut. Das regt mich ziemlich auf! Ja, ich will irgendwann Kinder haben. Aber kann ich mir dann noch den Luxus leisten, aktivistisch zu sein? Was ist, wenn man Kinder hat und versucht, alles zu tun, damit das bestmögliche Menschen werden? Wie groß ist dieser Beitrag für eine gerechtere und bessere Welt? Würden wir in einem Matriarchat leben, dann hätten gute, liebe Eltern die bestbezahlten, wichtigsten Positionen in unserer Gesellschaft, weil sie das Menschheitswohl absichern.

Die richtigen Dinge kommen schon. Ich habe bisher wenig planen müssen, alles ist mir in den Schoß gefallen. Und es ist mir wichtig, dass ich mir meine Dankbarkeit über dieses große Glück bewahre! Ich bin schon neugierig, was als Nächstes kommt…

Mit Verena Krausneker sprach Doris Kittler

Info:

ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus Arbeit: www.zara.or.at

Österreichischer Gehörlosenbund: www.oeglb.at

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