Neulich in einem Wagen der Linie D:tun & lassen

Vogliamo tutto e subito

Sechster Tag der freien Fahrt: Die Stadt kam der Habenichts-Lobby bisher keinen Schritt entgegen. Ein Mitarbeiter des Bürgermeisters zu den TeilnehmerInnen der jüngsten symbolischen Schwarzfahrt: Woher 50 Millionen nehmen?Vogliamo tutto e subito. Wir wollen alles, und zwar sofort. Einer der AUGUSTIN-Leute spricht italienisch. Doch sein Versuch, die radikale Losung der italienischen Jugend- und Sozialbewegung auf das gemütliche Wien zu übertragen, scheint etwas voluntaristisch zu sein. Subito geht in Wien gar nichts.

Vor ziemlich genau einem Jahr überreichte eine Delegation von Obdachlosen und MitarbeiterInnen des AUGUSTIN Finanzstadträtin Ederer 5000 Unterschriften unter die Forderung „Freie Fahrt für Obdachlose und SozialhilfeempfängerInnen“. Am 13. April fand erneut die traditionelle D-Wagen-Demo statt – die sechste bisher. 5000 Unterschriften, sechsmal Besetzung einer Straßenbahngarnitur durch sich als SchwarzfahrerInnen outende SchwarzfahrerInnen, jedesmal positive Medienberichte trotz des doch etwas irregulären Charakters der Aktion – doch die Stadt kommt der Habenichts-Lobby keinen Schritt entgegen.

Dabei ist die Sache so einfach. Viele Personengruppen brauchen nicht den vollen Fahrpreis für die Wiener Linien zu zahlen – ein logischer Ausgleich für soziale Unterprivilegierung. Ausgerechnet die Unterprivilegiertesten müssen den vollen Fahrpreis zahlen – kein Argument der Welt kann das plausibel machen. Es geht um die Gruppe der SozialhilfebezieherInnen, darunter um die Obdachlosen. Ziel der vom AUGUSTIN initiierten „Tage der freien Fahrt“ ist, für diese Gruppe den Nulltarif zu erreichen. Oder zumindest Tarif-Ermäßigungen, wie sie PensionistInnen (unabhängig von ihrem Einkommen) bereits genießen. Wer aus sozialen Gründen schwarz fährt, darf nicht kriminalisiert und mit Schuldenbergen überhäuft werden; Armut darf nicht bestraft werden, das ist doch ganz einfach.

Todo para todos, nada para nosotros. Alles für alle, nichts für uns. Einer der AUGUSTIN-Leute spricht spanisch. Die Losung, weiß er, stammt aus dem zapatistischen Aufstand in Mexiko. Irgendwie passt sie zur AUGUSTIN-Kampagne. Den Einwand, Kontrollorgane der Wiener Linien würden gegenüber ausgewiesenen AUGUSTIN-Verkäufern üblicherweise ohnehin ein Auge zudrücken, beantwortet der AUGUSTIN zapatistisch: Nichts für uns! Lösungen, die spezielle Gruppen von Obdachlosen privilegieren oder die auf einer Ermessensfreiheit der Kontrollorgane basieren, sind keine Lösungen.

Die sechste demonstrative Schwarzfahrt zum Rathaus endete ähnlich wie die fünf früheren. Nada para nadie. Das von den AUGUSTIN-Leuten erwartete Treffen mit dem Boss persönlich kam wieder nicht zustande. Bürgermeister Michael Häupl ließ sich erneut von seinem Sozialreferenten Harald Kaltenböck vertreten. Dieser empfing die DemonstrantInnen in der Volkshalle des Rathauses mit Orangensaft und Mineralwasser und sagte:

„Wir arbeiten intern intensiv an dieser Angelegenheit, in Zusammenarbeit mit den beiden zuständigen Stadträtinnnen Laska und Ederer. Der Herr Bürgermeister lässt ausrichten: Er hat kein Problem damit, einen Gesprächstermin mit dem Initiatoren der ‚Freifahrt‘ festzusetzen – nur sollte dieser dann auch inhaltlich sein. Der Bürgermeister müsste also etwas vor sich haben, worüber man sprechen kann. Das heißt, die Vorarbeiten müssen abgeschlossen sein. Die ganze Sache ist Chefsache, also Bürgermeistersache, aber die zuständigen Stadtratbüros müssen die Materie vorbereiten. Auch mit Bundesstellen ist zu verhandeln. Es ist uns zum Beispiel wichtig, dass es Fahrscheine für Leute gibt, die zu AMS-Kursen unterwegs sind – und die bisher oft beim Schwarzfahren erwischt wurden. Diesbezüglich gibt es bereits Gespräche. Der Bürgermeister käme auch gerne einmal zu einem Plausch zusammen, aber inhaltlich hat ein Treffen erst dann einen Sinn, wenn wir die Facts beisammen haben. Wir sprechen von einer Grundforderung von 50 Millionen Schilling, die wir bedecken müssen. Zudem müsste man zu einer generellen Lösung kommen, die Ermäßigungen nicht nur für Sozialhilfeempfänger (die vom Land Wien unterstützt werden), sondern auch für Notstandshilfeempfänger (die aus Bundesmitteln bezahlt werden) bringt. Kurz, wir brauchen ein Substrat, über das wir sprechen, und dafür gibt es Vorarbeiten. Ich bitte um Entschuldigung, dass das eine gewisse Vorlaufzeit braucht.“

Ein Statement, das wenig Applaus hervorrief. Obdachlose sitzen ihre Schwarzfahrerstrafen im Polizeigefängnis ab, weil ihr Bürgermeister ewig aufs „Substrat“ wartet. „Wir müssen ein Schäuferl nachlegen“, so zogen die SchwarzfahrerInnen Bilanz. Sie laden alle, die sich solidarisieren wollen, zu den nächsten „Tagen der freien Fahrt“ ein: Samstag, 13. Mai und Dienstag, 13. Juni, Treffpunkt jeweils 13 Uhr, Endstelle der Linie D, Südbahnhof.

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