«Neunzig Minuten intensiv»vorstadt

Lokalmatador

Ines Schnell steht auf die Hohe Warte und bestärkt weibliche Fans in Fußballstadien.

TEXT: UWE MAUCH, FOTO: MARIO LANG

Ein letzter Freitagabend vor Corona im Stadion auf der Hohen Warte: Die Blau-Gelben empfangen einen Nachzügler aus Favoriten. Dass dieses erste Heimspiel nach der Winterpause nicht erstklassig ist, sondern in der Wiener Stadtliga ausgetragen wird, tut der guten Stimmung im ältesten Stadion Wiens keinen Abbruch. Am äußersten Rand der Haupttribüne, wo die treuesten, lautstärksten, kreativsten, farbenfrohsten Fans des First Vienna Football Clubs soeben ihr emotionales Zuhause beziehen, brodelt es sogar.
Unter den Stammgästen auch wieder die Frauen: Sie trinken Bier, schwenken ihre Fahne und skandieren lautstark: «We are the Vienna Rude Grrrls!»

Mit den Rude Grrrls.

Frauen in Fanblocks gibt es schon lange. Doch wurden sie bisher kaum wahrgenommen. Dass die Gleichberechtigung bei den Ultras weiterhin keine Selbstverständlichkeit ist, darüber kann die Schwenkerin der Fahne viel erzählen: «Nicht zuletzt aus der Perspektive einer Betroffenen.»
Spieltag für Spieltag feuert die Sozialpädagogin Ines Schnell ihren verehrten Verein an. Darüber hinaus engagiert sie sich im Netzwerk «Frauen im Fußball» und nimmt an Vernetzungstreffen teil. «Weil mir die Verbesserung unserer Position ein großes Anliegen ist.»
Im Vorjahr hat Schnell mit viel ehrenamtlichem Enthusiasmus und einigen Mitstreiterinnen die internationale Wanderausstellung «Fan.Tastic.Females» nach Wien geholt. Die Schau, die auch in Innsbruck, Graz und Linz zu sehen war, räumt mit Vorurteilen auf. Sie zeigt filmische Biografien von 78 weiblichen Fans. Diese sind über den europäischen Fußball-Kontinent verstreut, von Arsenal London bis zum FC Sankt Pauli, von Amedspor in Kurdistan bis zum First Vienna Football Club in Döbling. Sie gehen regelmäßig ins Stadion, um dort ihre Teams beherzt anzufeuern.

Mit dem Vater.

Eine der Porträtierten ist Ines Schnell. Ihre Leidenschaft, erzählt die 35-jährige Salzburgerin bald nach dem Anpfiff, hat sie im Lehener Stadion entdeckt: «Ich bin schon als Kind mit meinem Vater zur Austria gegangen. Ich erinnere mich an Heimo Pfeifenberger und all die anderen in einer tollen Mannschaft.» Und: «Selbst ein Teil der Masse auf den Rängen zu sein, das hat mich von Anfang an sehr beeindruckt.»
Ihr Fußballkosmos schien zu jener Zeit noch halbwegs im Lot: Die Geldregenmaschine Red Bull hatte Salzburg noch nicht auf dem Radar, und an der Seite des Vaters war sie als Mädchen voll akzeptiert.
Die Kräfteverhältnisse änderten sich in der Pubertät, dem natürlichen Auf-Distanz-Gehen zu den Eltern und dem damit einhergehenden geografischen und emotionalen Standortwechsel im Stadion. Der Umzug vom Sitz- in den Stehplatzsektor bedeutet für viele Frauen noch immer eine harte Zäsur: Dort sind sie – grob gesagt – weiterhin nur als schmückendes Anhängsel halbstarker Burschen toleriert.
«Wenn du als junge Frau alleine zum Fußball gehen willst, musst du Fragen beantworten», weiß Ines Schnell aus eigener Erfahrung. Sowohl in der Arbeit als auch im privaten Umfeld zeigt man sich zumindest verwundert.

Mit einem Freund.

Ines Schnell hatte ihre alte Liebe schon fast vergessen, wollte sich mehr auf ihre Ausbildung und politischen Ambitionen verlegen, als sie ein Freund dazu ermunterte, ein Fußballspiel auf der Hohen Warte zu besuchen. Das war im Mai 2009. «Die Vienna fixierte an diesem Abend den Meistertitel, und bei mir war das alte Gefühl wieder da. Ich wusste sofort: Da geh ich nicht mehr weg.» Rude Grrrl forever!
Seit mehr als zehn Jahren fiebert sie mit ihrem Verein mit, auch in den zuletzt eher miserablen Saisonen, die sie auf harte Proben stellten. Doch das ist in diesem Augenblick nicht weiter wichtig. Auch am heutigen Abend, bei einem Spiel, dessen Ergebnis in den Samstagzeitungen nur kurz notiert sein wird, ist Ines Schnell wie elektrisiert.
Nebenbei sagt sie: «Du freust dich schon die ganze Woche auf das Match. In der Gemeinschaft Fußball schauen heißt: neunzig Minuten intensiv mitfiebern, ein ganzes Leben durchleben, in der Euphorie ebenso wie im Leiden.»
Derzeit überwiegt wieder einmal der Zweifel auf der Hohen Warte, das Spiel gegen den FavAC endet zwar 3:0. Doch schon wenig später verhindert ein Virus die rasche Rückkehr des alten Fußballvereins in die dritte Liga, und lässt damit an den Vienna-Film Es geht sich immer nicht aus erinnern.
Lieber erzählt die leidenschaftliche Anhängerin nun von einer Fachtagung in Deutschland, wo ein Teilnehmer angemerkt hat: «Übrigens gibt es auch in Wien eine sehr lebendige Frauen-Fanszene.»

Mehr über Frauen im Fußball: f-in.org