Nicht alles aushaltentun & lassen

Finanzielle Gewalt in Beziehungen braucht gute Trennungsberatung

Es gibt vielzählige Gründe, in einer Partnerschaft zu bleiben. Weil sie gut läuft, weil man verliebt ist, weil’s mehr Vor- als Nachteile bringt oder weil die Angst vor den Folgen einer Trennung zu groß ist: Finanzielle Abhängigkeit drängt vor allem Frauen oft dazu, selbst bei solchen Partnern zu bleiben, die ihnen Gewalt antun. Bettina Zehetner schreibt aus der Praxis ihrer Beratungsarbeit, was strukturell und individuell notwendig ist, um nicht zu verarmen und sich trotzdem trennen zu können.

Illustration: Sonia Garziz

Frau B. überlegt, sich nach jahrelangen Streitereien von ihrem Lebensgefährten zu trennen. Sie hält die ständigen Entwertungen und Wutausbrüche ihres Mannes nicht mehr aus. Frau B. hat als Lebensgefährtin keinen Anspruch auf Unterhalt und auch kein Recht auf die Wohnung, deren Mietvertrag auf den Namen ihres Partners läuft. Sie erhält auch keine Notstandshilfe, weil ihr Partner zu viel verdient. Aus Angst, ohne Geld und Wohnung dazustehen, begräbt sie ihren Trennungswunsch und versucht, die Kränkungen nicht mehr so nahe an sich heranzulassen. Frau B. ist eine von vielen verdeckt obdachlosen Frauen.

Viele Frauen ertragen ähnlich wie Frau B. täglich psychische, physische oder sexualisierte Gewalt, um nicht auf der Straße zu landen – eine Zweckgemeinschaft, die von den Betroffenen einen hohen Preis fordert.

Wie es zur Frauenarmut kommt

Immer noch besteht ein massives Lohngefälle zwischen den Geschlechtern: In Österreich liegt dieses Lohngefälle bei nur knapp unter 25 Prozent, das bedeutet fast ein Viertel weniger Lohn für eine Frau, die dieselbe Arbeit macht wie ein Mann. Hinzu kommt die generell niedrigere Entlohnung in frauendominierten Berufen, etwa die geringe Bewertung von Pflege- und Erziehungsarbeit sowie von vielen Dienstleistungsberufen. Bezahlte und unbezahlte Arbeit sind nach wie vor sehr ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt. Auch Frauen, die berufstätig sind, übernehmen meist den überwiegenden Teil der Sorgearbeit. Trotz einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld gehen in Österreich nicht einmal fünf Prozent aller Väter in Karenz.

In allen armutsgefährdeten Gruppen stellen Frauen die Mehrheit der Betroffenen dar: Alleinerzieher_innen, Pensionist_innen, Working Poor. Auf individueller Ebene begegnet mir in der Beratung häufig finanzielle Gewalt in Beziehungen. «Klassische» Arrangements: Die Frau verdient deutlich weniger als der Mann, weil sie die unbezahlte Sorgearbeit für Haushalt und Kinder übernimmt. Die Frau muss ständig um Geld bitten, genaueste Aufzeichnungen über alle Ausgaben führen, sich für jede Reparatur rechtfertigen. Oder auch: Ihr Einkommen wird für das laufende Haushaltsbudget verwendet, seines behält der Mann für sich oder investiert es in seine Firma. Oder auch: Frauen werden dazu genötigt, Kredite ihrer Männer mit zu unterschreiben – Banken machen hier Druck, weil Frauen höhere Zahlungsmoral aufweisen. Nach einer Scheidung oder dem Konkurs des Mannes fordert die Bank die Rückzahlung von der Frau. Darum ist die eigenständige Existenzsicherung jeder Frau – auch im Fall von Scheidung oder Pension – so entscheidend.

Ein politisches Ziel zur Vermeidung von Frauenarmut ist neben der gerechten Aufteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit, öffentlichen Angeboten für die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Menschen auch Transparenz: die Offenlegung aller Einkommen, um sie vergleichbar zu machen.

Der politische Wille zur Armutsvermeidung muss sich in der Steuerpolitik ebenso zeigen wie in strukturellen Veränderungen: beispielsweise den Bedingungen des Notstandshilfebezugs. Es kann nicht sein, dass eine Frau keine Notstandshilfe erhält, weil ihr Lebensgefährte zu viel verdient, obwohl sie keinen Unterhaltsanspruch an ihn hat. Eine solche strukturelle Bedingung schafft Abhängigkeit und ist darum nicht akzeptabel.

«Ich will ihm ja nichts wegnehmen»

Medien verbreiten gerne das Bild der gierigen Frauen, die sich mit ihren Unterhaltszahlungen ein Luxusleben finanzieren. Die Realität ist eine andere: Viele Frauen verzichten bei einer Scheidung auf Unterhalt, fordern nicht einmal die Alimente, die den Kindern zustehen in voller Höhe, um eine einvernehmliche Trennung ohne Streit zu erreichen. Ihr Harmoniebedürfnis macht Frauen erpressbar. Der Wunsch, einem Konflikt auszuweichen, ist verständlich. Aber: Mit einem Verzicht auf Unterhalt gehen sie das Risiko ein, auch keine Sozialhilfe oder Ausgleichszulage zu erhalten. Denn der Staat springt nicht unbedingt ein, wenn sie freiwillig auf einen Unterhaltsanspruch, den sie gehabt hätten, verzichtet haben. Die Strategie «Ich verzichte auf Unterhalt, damit ich endlich meine Ruhe habe» bedeutet also nur eine sehr kurzfristige Entlastung, dafür das langfristige Risiko der Armutsgefährdung. Darum: Mut zur klaren Kommunikation. Es ist wichtig, gut zu verhandeln und sich nicht einschüchtern zu lassen.

Stecken Sie Ihre Energie nicht ins Aufrechterhalten einer schönen Fassade. Machen Sie kein Geheimnis aus Ihren Konflikten, seien es Streit, Alkohol oder Gewalt. Schweigen schwächt, während das Reden über Ihre Angst, Trauer und Wut sowie ein soziales Netzwerk ganz wesentlich zu Ihrer Entlastung beitragen können.

Die Hoffnungskrankheit heilen

Verantwortung und Schuld sind wichtige Themen im Trennungsprozess. Niemand ist allein für den Zusammenhalt der Familie verantwortlich – das ist eine überfordernde Aufgabe. In meinen Beratungsgesprächen begegnet mir häufig ein enormes Leiden an nicht erfüllbaren Idealbildern von «heiler Familie» oder auch «Mutterschaft» und der Glaube, alle anderen Paare und Familien wären alle so harmonisch und glücklich miteinander, wie frau es selbst nicht zustande bringt.

Diese Phantasien gleichen oft Heilserwartungen und entwickeln sich nicht selten zu illusionären Realitäts-Killern. Überzogene, mit dem tonnenschweren Gewicht ihrer «Perfektion» erdrückende Ansprüche an sich selbst und den Partner, die Einheit und die Harmonie der Beziehung können nur an der Realität zerbrechen, Enttäuschung und Scheitern bewirken. Darum sind die Ent-Idealisierung, die Verabschiedung unerreichbarer Ideale und die Entwicklung realistischer Bilder und Ziele so wichtig.

Für eine gelungene Trennungsbewältigung ist auch das Aufgeben noch bestehender, mit dem betreffenden Partner verbundener Hoffnungen wichtig: die Heilung der «Hoffnungskrankheit», wie die Psychoanalytikerin Margarate Mitscherlich die Fixierung auf den Partner und die Verleugnung der Entfremdung nennt. Die oft jahrelange fixe Idee, der Partner möge sich doch irgendwann in die gewünschte Richtung ändern, lenkt ab von den eigenen Entwicklungsmöglichkeiten und hemmt die Realisierung des eigenen Potenzials. Niemand lässt sich gern gegen seinen Willen ändern. Mit dem Veränderungswunsch lässt sich daher sinnvollerweise nur bei sich selbst ansetzen, denn Veränderung erfordert Motivation, den Willen, etwas anders zu machen, und häufig einen gewissen Leidensdruck. Die Verantwortung für die eigenen Entscheidungen und das eigene Verhalten zu übernehmen, markiert den Beginn einer bewussten eigenen Handlungsfreiheit. Auch als Leiterin von Gesprächsgruppen für Frauen in Trennung («Aufbruch – Umbruch – Neubeginn») bin ich immer wieder mit dem Thema Schuld konfrontiert. Bei vielen Frauen haben Schuldgefühle – das Gefühl, für alles verantwortlich zu sein, den Partner, die Kinder, das Scheitern der Beziehung, die fehlende eigene Absicherung aufgrund der Kinderbetreuungsarbeit – selbstzerstörerische Ausmaße angenommen. Auf die Frage am Ende der Gruppe, was sie am liebsten ablegen wollten, antworten viele Gruppenteilnehmerinnen: meine dauernden Schuldgefühle, das beständige Gefühl, etwas falsch zu machen, das dauernde Infragestellen des eigenen Tuns.

Frau X. am Anfang der Beratung: «Ich habe so lange versucht, den Wünschen meines Mannes zu entsprechen, dass ich gar nicht mehr weiß, was ich selbst will.» Frau X. am Ende der Beratung: «Die schöne Fassade brauche ich nicht mehr – ich weiß jetzt, was dahinterstecken kann.»

Ein neues Kapitel beginnen

Auch wenn die angeblich weibliche Qualität des Ertragens und Durchhaltens sich oft über Generationen hinweg als Auftrag an Frauen hält: Sie müssen nicht alles aushalten. Und: Sie müssen nicht alles allein durchstehen. Es gibt Beratung und Gesprächsgruppen, die in diesem Prozess unterstützend sein können.

Die Bewältigung einer Trennung bietet – so schmerzlich die Trennung selbst auch sein kann – die Chance, mehr Klarheit über die eigenen Ziele, Bedürfnisse und Grenzen zu gewinnen und den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Die Erkenntnis des eigenen Anteils an der Paardynamik ermöglicht einen neuen Umgang mit zukünftigen Beziehungen und die Auflösung von einschränkenden, destruktiven Mustern und Glaubenssätzen wie: «Wahre Liebe muss alles ertragen, darf nie nein sagen, darf anderen keine Grenzen setzen.» Anstatt die Rolle der Dulderin oder Retterin, die sich selbst überfordert, zu erfüllen, lassen sich eigene Kompetenzen aktivieren, neue Rollen ausprobieren – mit dem Ziel, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu leben. Jede Trennung ermöglicht neben dem Abschied von Vertrautem neue Perspektiven. Aus dem Mangel kann ein Freiraum werden.

Bettina Zehetner bietet im Verein «Frauen beraten Frauen» psychosoziale Beratung bei Trennung und Scheidung, Gewalt im sozialen Nahraum sowie beruflicher Neuorientierung an. Ebenso anonyme und kostenlose Onlineberatung auf: www.frauenberatenfrauen.at